{"id":930,"date":"2020-09-22T23:48:35","date_gmt":"2020-09-22T21:48:35","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=930"},"modified":"2022-04-28T22:27:35","modified_gmt":"2022-04-28T20:27:35","slug":"kennzeichnungspflicht","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/kennzeichnungspflicht\/","title":{"rendered":"Kennzeichnung f\u00fcr Polizist*innen"},"content":{"rendered":"
BVerwG , <\/em> Urt.  v. <\/em> 26.9.2019  \u2013 <\/em> 2 C 32.18<\/a>, <\/em>NVwZ 2020, 247<\/a> & VerfG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 07.05.2019 \u2013 LVG 4\/18<\/a>; BeckRS 2019, 10350<\/a>; NVwZ 2019, 1198<\/a>.<\/h6>\n\n\n\n

Sachverhalt<\/strong> (abgewandelt und gek\u00fcrzt)<\/h1>\n\n\n\n

Der Landesgesetzgeber L verabschiedet \u00a7 12 a LSOG. Dieser sieht vor, dass alle Polizeibeamt*innen des Landes L grunds\u00e4tzlich bei jedem \u00f6ffentlichen T\u00e4tigwerden ein Namensschild f\u00fcr alle offen lesbar tragen m\u00fcssen. Bei besonders sensiblen Eins\u00e4tzen, wird dies durch eine f\u00fcnfstellige r\u00fcckverfolgbare Dienstnummer ersetzt. Innerhalb einer Einsatzeinheit (Hundertschaft) m\u00fcssen individuell r\u00fcckverfolgbare Kennzeichnungen (taktische Kennzeichnung) getragen werden. Das Gesetz trifft au\u00dferdem Regelungen zur Speicherung und dem regelm\u00e4\u00dfigen L\u00f6schen der Daten. Darin ist geregelt, dass ein Abgleich der Daten nur bei tats\u00e4chlichen Anhaltspunkten f\u00fcr eine Straftat oder eine nicht unerhebliche Dienstpflichtverletzung im Dienst erfolgt. W\u00e4hrend das Gesetz vor allem darauf abzielt die Strafverfolgung von strafbaren Handlungen von Polizist*innen zu erm\u00f6glichen, legt der Gesetzgeber auch Wert darauf, dass durch das offene Tragen eines Namensschildes die Polizeibediensteten den B\u00fcrgern offener entgegen treten lie\u00dfe und B\u00fcrgern\u00e4he dadurch gest\u00e4rkt werden w\u00fcrde.<\/p>\n\n\n\n

Viele Polizist*innen st\u00f6ren sich an der Regelung. Man w\u00fcrde damit einen Generalverdacht aussprechen, der nicht gerechtfertigt sei. Au\u00dferdem greife diese Regelung \u00fcber die Ma\u00dfen in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein, v.a. m\u00fcsse man ab jetzt immer Angst vor radikalen Polizeigegnern oder von Eins\u00e4tzen pers\u00f6nlich negativ Betroffenen haben, die nun auch private Informationen kennen w\u00fcrden. Au\u00dferdem m\u00fcsste man damit rechnen, dass dann immer wieder ungerechtfertigte Anzeigen gegen Polizist*innen erhoben werden w\u00fcrden. Einige f\u00fchlen sich besonders \u201ehintergangen\u201c, da das Land ja eine besondere F\u00fcrsorgepflicht f\u00fcr seine Bediensteten treffe.<\/p>\n\n\n\n

So oder so, zeigten doch die extrem geringen Erfolgsquoten von Anzeigen gegen Polizeibeamte von weniger als 1 %, dass es kein Bed\u00fcrfnis gebe Polizistinnen und Polizisten im Einsatz identifizieren zu k\u00f6nnen. Das findet auch die A-Partei. Die A-Fraktion im Bundestag nimmt es auf sich, sich f\u00fcr die Polizist*innen einzusetzen und stellt einen Antrag vor dem Bundesverfassungsgericht auf \u00dcberpr\u00fcfung des \u00a712 a LSOG. Man sei sich sicher, dass die diffizile Abw\u00e4gung der hier widerstreitenden Interessen zu Gunsten der tadellosen Arbeit der 99,9 % der Polizist*innen ausfallen m\u00fcsse und das Gesetz verfassungswidrig sei. Die A-Fraktion findet insgesamt 189 Mitstreiter*innen, die allesamt \u201eder Polizei den R\u00fccken st\u00e4rken\u201c wollen.<\/p>\n\n\n\n

Den Argumenten widersprechen die Fraktionen, die das Gesetz unterst\u00fctzten: Man wisse bis heute gar nicht, wie gro\u00df die Dunkelziffer von nicht angezeigten Delikten sei, weil es bisher fast unm\u00f6glich sei Polizeibeamte zu identifizieren, die sich nicht angemessen verhalten haben, gerade im Gewusel eines Einsatzes. Au\u00dferdem seien die Polizist*innen besondere Repr\u00e4sentanten des Staates. Man m\u00fcsste gerade bei ihnen hohe Anforderungen bez\u00fcglich der Verfolgbarkeit von Straftaten stellen k\u00f6nnen.<\/p>\n\n\n\n

Wie wird das angerufene Bundesverfassungsgericht \u00fcber den zul\u00e4ssigen Antrag entscheiden?<\/p>\n\n\n\n

Bearbeitervermerk:<\/strong> Pr\u00fcfungsma\u00dfstab ist allein das GG.<\/p>\n\n\n\n

Anmerkung<\/strong>: Der Fall ist zwar etwas konstruiert, da es nur wirklich selten vorkommt, dass durch ein Bundesorgan die \u00dcberpr\u00fcfung von Landesrecht angestrengt wird, denkbar ist es.<\/em><\/p>\n\n\n\n


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Skizze<\/strong><\/h1>\n\n\n\n\n\n
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Gutachten<\/strong><\/h1>\n\n\nAnmerkung:<\/b> Welche Antragsart kann hier dem Ziel der A-Fraktion gerecht werden?<\/span>
\nDie A-Fraktion (und ihre Mistreiter*innen) im Bundestag haben Zweifel daran, ob \u00a712a LPOG verfassungskonform ist. Damit kommt eine abstrakte Normenkontrolle in Betracht, Art. 93 I Nr. 2 GG<\/a>.
\n<\/div>\n\n\nAnmerkung:<\/b> Was h\u00e4tte in der Zul\u00e4ssigkeit noch besonders adressiert werden m\u00fcssen?<\/span>
\nArt. 93 I Nr. 2 GG<\/a> setzt lediglich Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel bez\u00fcglich der Vereinbarkeit des angegriffenen Gesetzes mit dem h\u00f6herrangigen Recht voraus. \u00a776 I BVerfGG<\/a> setzt voraus, dass der Antragssteller das angegriffene Gesetz f\u00fcr nichtig h\u00e4lt. Unabh\u00e4ngig von dem hier als uneindeutig beschriebenen Fall, stellt sich also die Frage, welche Anforderungen an den Antrag gestellt werden m\u00fcssen.
\nOffensichtlich ist zun\u00e4chst, dass die Regelung in
Art. 93 I Nr. 2 GG<\/a> h\u00f6herrangiges Recht ist.
\nDas Bundesverfassungsgericht sieht in den strengeren Voraussetzungen des
\u00a7 76 I BVerfGG<\/a> die Regelung des besonderen objektiven Kl\u00e4rungsinteresses, also eher eine Konkretisierung der grundgesetzlichen Vorschrift.[1]<\/sup><\/a>Morgenthaler in BeckOK GG, 43. Ed. Art. 93, Rn. 34<\/span><\/span>