{"id":859,"date":"2020-08-26T08:51:31","date_gmt":"2020-08-26T06:51:31","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=859"},"modified":"2021-02-20T17:03:28","modified_gmt":"2021-02-20T16:03:28","slug":"spice","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/spice\/","title":{"rendered":"Spice"},"content":{"rendered":"
BGH, Urteil vom 11.09.2019 – 2 StR 563\/18 – BeckRS 2019, 34879\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

A, S und K trafen sich abends in der Wohnung von A, um dort zu „chillen“. Als ihnen langweilig wurde, verließen sie die Wohnung und liefen, jeweils mit Mobiltelefonen ausgerüstet, in der Stadt umher. Zwischen 0.00 und 0.30 Uhr befanden sie sich auf dem Gelände der Kreisrealschule und trafen dort zufällig auf den M, der allen Beteiligten bekannt war. A, S und K erkannten, dass M, erheblich alkoholisiert war (BAK von 2,26 pro Mille). In der Folge stand M mit A, S und K zusammen. K holte nun einen Joint mit „Spice“ hervor, der von A hergestellt wurde und den Wirkstoff 5F-ADB enthielt. Dieses synthetische Cannabinoid wirkt um ein Vielfaches stärker als normales THC. K und S nahmen im Wechsel einige Züge von dem Joint. M fragte, ob er den Joint auch einmal haben könne. K und S folgten dieser Bitte nicht. Sie hatten zwar keine Kenntnis von gesundheitlich negativen Folgen des Joints, wussten aber, dass es sich nach Aussagen des A um „starkes Zeug“ handele. M rief „Kindergarten“ in Richtung von A, S und K, nahm dem K eigenmächtig den Joint aus der Hand und rauchte einen Zug. Danach ging er einen Schritt zurück und nahm einen zweiten Zug. Sodann machte er einen Schritt nach vorne und ging unter dem vernehmbaren Ausspruch „Ups“ zunächst auf die Knie, bevor er nach vorne auf die Wiese fiel und regungslos liegen blieb. A, S und K waren schockiert und rannten einige Meter davon. S beschloss aber sodann, nach dem Geschädigten zu schauen, und lief zu ihm zurück. M erbrach sich nun ein erstes Mal. S und K brachten ihn in eine „Art stabile Seitenlage“, wobei sich M zwei weitere Male erbrach. M war nicht ansprechbar. Die A, S und K beschlossen, dem M keine weitere Hilfe, etwa durch einen Notruf, zukommen zu lassen, da sie im Hinblick auf den von dem Geschädigten konsumierten Joint strafrechtliche Konsequenzen fürchteten. K fertigte um 0.30 Uhr ein kurzes Video von dem M und äußerte dazu: „Ich hab dem sein Leben gerettet, Alter“. Die Angeklagten erkannten weder den tödlichen Ausgang des Geschehens noch nahmen sie seinen Tod billigend in Kauf. M verstarb vermutlich spätestens um 4.00 Uhr an einem zentralen Regulationsversagen, verursacht durch eine Mischintoxikation von Alkohol und dem synthetischen Cannabinoid 5F-ADB. M wurde gegen 6.10 Uhr tot aufgefunden. Bei unverzüglichem Absetzen eines Notrufs wäre eine Rettung überwiegend wahrscheinlich gewesen. \n\n\n\n

Strafbarkeit von A, S und K? \n\n\n\n

Bearbeitungshinweis: Der Wirkstoff 5F-ABD war zum Tatzeitpunkt noch nicht in der Anlage II zum BtMG enthalten.\n\n\n\n


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Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten\n\n\n\n

A. Strafbarkeit gem. §§ 222 I, 13 I StGB\n\n\n\n

A, S und K könnten sich (nebentäterschaftlich) der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen gem. §§ 222 I, 13 I StGB strafbar gemacht haben, indem sie keinen Notruf absetzten, nachdem M einen Zug von dem Joint mit „Spice“ nahm, zusammenbrach und sich mehrfach erbrach.\n\n\n\n

I. Tatbestand\n\n\n\n

1. Objektiver Tatbestand\n\n\n\n
a) Taterfolg\n\n\n\n

Der tatbestandsmäßige Erfolg des Todes eines anderen ist durch das Versterben des M eingetreten.\n\n\n\n

b) Unterlassen trotz Möglichkeit\n\n\n\n

Zudem müssten es A, S und K jeweils trotz physisch-realer Möglichkeit unterlassen haben, eine (gebotene) Handlung vorzunehmen. Alle drei waren zwar mit Mobiltelefonen ausgerüstet, setzten jedoch keinen Notruf ab.\n\n\n\n

c) Quasikausalität\n\n\n\n

Dieses Unterlassen müsste für den Erfolg auch kausal gewesen sein. Ein Unterlassen ist für den Erfolg dann kausal, wenn die Vornahme der gebotenen Handlung nicht hinzugedacht werden kann, ohne dass der Erfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele. [1]Ransiek, JuS 2010, 490, 492.