{"id":817,"date":"2020-08-11T00:52:31","date_gmt":"2020-08-10T22:52:31","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=817"},"modified":"2022-04-28T22:27:29","modified_gmt":"2022-04-28T20:27:29","slug":"grundrechte-im-ausland","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/grundrechte-im-ausland\/","title":{"rendered":"„Der BND hört mit – Grundrechte im Ausland“"},"content":{"rendered":"

BVerfG, Urt. V. 19.05.2020 – 1 BVR 2835\/17 – NJW 2020, 2235\n\n\n\n

\n\n\n\n

Sachverhalt (abgewandelt und gekürzt)\n\n\n\n

Jahrelang war die Praxis der Auslandsaufklärung des Bundesnachrichtendienstes weitgehend ungeregelt. 2016 wurde das BNDG geändert. Seitdem ist die sog. strategische Telekommunikationsüberwachung gesetzlich geregelt. Dieses Instrument zur Informationsgewinnung über Aktivitäten von Ausländern im Ausland ermöglicht es dem BND u.a. am weltweit größten Internetknotenpunkt in Frankfurt a.M. Daten verdachtsunabhängig abzugreifen und anhand von sog. Selektoren zu durchsuchen. Selektoren können E-Mail-Adressen, Stichworte, Geräteadressen u.ä. sein. Da die Tätigkeit des BND auf die Auslandsaufklärung begrenzt ist, ist es dem BND verboten die Daten von deutschen Staatsangehörigen und im Inland ansässigen Personen auszuwerten. Diese werden bereits technisch weitestgehend gefiltert (z.B. alle Internetadressen mit der Endung .de). Später von Mitarbeiter*innen des BND bei der Prüfung der Daten entdeckte Daten, die in der Form das Inland betreffen und die nicht schon technisch aussortiert wurden, werden umgehend händisch gelöscht.\n\n\n\n

Die strategische Telekommunikationsüberwachung soll der Aufklärung von Ereignissen mit außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung für die BRD dienen.\n\n\n\n

Der Gesetzgeber hatte dabei lediglich Tätigkeiten des BND vom Inland aus geregelt. Den BND für Tätigkeiten im Ausland zu ermächtigen hielt der Gesetzgeber mangels Grundrechtsrelevanz für nicht notwendig.\n\n\n\n

Die gewonnenen Informationen können – auf das neue Gesetz gestützt – auch mit ausländischen Geheimdiensten ausgetauscht werden.\n\n\n\n

Die Beschwerdeführerin J ist Journalistin in Lateinamerika. Der Verein Reporter ohne Grenzen (R) ist ein französischer Verein, der sich für die Pressefreiheit weltweit einsetzt. Der Anwalt A ist deutscher Staatsangehöriger, der für eine außereuropäische Organisation im Ausland tätig ist. Die drei Beschwerdeführer*innen meinen in Art. 10 I GG verletzt zu sein. J meint darüber hinaus auch in Art. 5 I S. 2 GG verletzt zu sein. Schließlich nutzten sie alle drei regelmäßig Internetkommunikation, um mit Personen im Ausland zu kommunizieren, die – angesichts ihrer Funktionen – wahrscheinlich auch im Fokus des BND stünden. Sie müssten also auch davon ausgehen, von Maßnahmen auf Grundlage der neu geschaffenen Befugnisse betroffen zu sein.\n\n\n\n

Deshalb reichen die Drei form- und fristgerecht Verfassungsbeschwerde ein. Ihrer Ansicht nach sind die §§ 6, 7, 13 bis 15 BNDG verfassungswidrig, soweit sie die Ausland-Ausland-Aufklärung in Form der strategischen Kommunikationsüberwachung betreffen.\n\n\n\n

Die Vertreter*innen der BRD meinen, dass die Auslandstätigkeiten bereits nicht in den Anwendungsbereich der Grundrechte fielen.\n\n\n\n

Hat die Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg?\n\n\n\n

Beachte dabei folgende Vorschriften: \n\n\n\n

§ 6 BNDG\n\n\n\n

(1) Der Bundesnachrichtendienst darf zur Erfüllung seiner Aufgaben vom Inland aus mit technischen Mitteln Informationen einschließlich personenbezogener Daten aus Telekommunikationsnetzen, über die Telekommunikation von Ausländern im Ausland erfolgt (Telekommunikationsnetze), verarbeiten (Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung), wenn diese Daten erforderlich sind, um\n\n\n\n

1. frühzeitig Gefahren für die innere oder äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland erkennen und diesen begegnen zu können,\n\n\n\n

2. die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland zu wahren oder\n\n\n\n

3. sonstige Erkenntnisse von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung (…)\n\n\n\n

(2) (…)\n\n\n\n

§ 7 BNDG\n\n\n\n

(1) Für die weitere Verarbeitung der vom Bundesnachrichtendienst mit Mitteln der Fernmeldeaufklärung vom Ausland aus erhobenen Daten gilt § 6 Absatz 1 Satz 1, Absatz 3 bis 6 entsprechend. (…)\n\n\n\n

§ 13 BNDG\n\n\n\n

(1) Soweit der Bundesnachrichtendienst im Rahmen der Ausland-Ausland-Fernmeldeaufklärung (§ 6) mit ausländischen öffentlichen Stellen, die nachrichtendienstliche Aufgaben wahrnehmen (ausländische öffentliche Stellen) kooperiert, dürfen dabei auch Informationen einschließlich personenbezogener Daten nach § 14 erhoben und nach § 15 ausgetauscht werden.\n\n\n\n

(2) Eine Kooperation nach Absatz 1 mit einer ausländischen öffentlichen Stelle ist zulässig, wenn\n\n\n\n

1. sie den Zielen des § 6 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 3 dient und\n\n\n\n

2. die Aufgabenerfüllung durch den Bundesnachrichtendienst ohne eine solche Kooperation wesentlich erschwert oder unmöglich wäre.\n\n\n\n

\n\n\n\n


\n\n\n\n

Skizze\n\n\n\n\n\n
\n\n\n\n

Gutachten\n\n\n\n

Die Verfassungsbeschwerde hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und soweit sie begründet ist. \n\n\n\n

A. Zulässigkeit\n\n\n\n

I. Zuständigkeit\n\n\n\n

Das BVerfG ist gem. Art. 93 I Nr. 4a GG, § 13 Nr. 8a BVerfGG zuständig für Verfassungsbeschwerden, wie hier in Form einer Rechtssatzverfassungsbeschwerde.\n\n\n\n

II. (P) Beteiligtenfähigkeit\n\n\n\n

Gemäß § 90 I BVerfGG ist jedermann, also jeder Träger von Grundrechten, beteiligtenfähig. J und A sind natürliche Personen und damit Grundrechtsträger*innen und beteiligtenfähig.\n\n\n\n

Fraglich ist, ob R, als französischer Verein beteiligtenfähig ist. Gemäß Art. 19 III GG gelten die Grundrechte auch für inländische juristische Personen, soweit die Grundrechte ihrem Wesen nach anwendbar sind.\n\n\n\n

R ist mit Sitz in Frankreich keine inländische juristische Person. Das BVerfG hat jedoch anerkannt, dass juristische Personen aus dem innereuropäischen Ausland, die sich im Anwendungsbereich des allgemeinen Diskriminierungsverbots aus Art. 18 AEUV und der jeweiligen speziellen Grundfreiheiten bewegen, auch auf Art. 19 III GG berufen können (sog. Anwendungserweiterung über den Wortlaut hinaus).[1]Enders in Epping\/Hillgruber 43. Edition Art. 19 GG Rn. 37.