{"id":8065,"date":"2024-09-24T11:32:59","date_gmt":"2024-09-24T09:32:59","guid":{"rendered":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/?p=8065"},"modified":"2024-09-25T21:45:44","modified_gmt":"2024-09-25T19:45:44","slug":"abwahl-aus-dem-ausschuss","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/abwahl-aus-dem-ausschuss\/","title":{"rendered":"Abwahl aus dem Ausschuss"},"content":{"rendered":"

BVerfG, Urteil vom 18.09.2024 (2 BvE 1\/20, 2 BvE 10\/21)\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

(abgewandelt und gekürzt)\n\n\n\n

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Die A-Partei wurde in der letzten Wahlperiode in den Bundestag gewählt und hat dort sogleich die A-Fraktion gegründet. Die A-Fraktion ist bei den anderen Fraktionen wegen der rechtsradikalen und rechtsextremistischen Positionen ihrer Landesverbände und ihrer Mitglieder sowie ihres „rüpelhaften“ Verhaltens im Parlament sehr unbeliebt. Am liebsten würden die anderen Fraktionen ganz ohne die A-Fraktion arbeiten. Jedoch muss die A-Fraktion entsprechend ihres Wahlergebnisses und damit entsprechend ihrer Stärke in den derzeit 25 Bundestagsausschüssen vertreten sein, was auch geschehen ist. Als Teil ihres Protests entschieden sich die anderen Fraktionen, dann zumindest keine Vorsitzposten an die A-Fraktion zu „verteilen“. Die Vorsitzenden und stellvertretenden Vorsitzenden werden von den jeweiligen Ausschussmitgliedern gewählt. In den konstituierenden Sitzungen der Ausschüsse, bei dessen Durchführung die Vizepräsidentin des Bundestags unterstützte, weigerten sich die Ausschussmitglieder der anderen Fraktionen die jeweils von A berufenen Ausschussmitglieder als Ausschussvorsitzende zu wählen: Sie verfehlten jedes Mal die erforderlichen Mehrheiten. Diese Ergebnisse wurden von der Bundestagspräsidentin festgestellt und verkündet. In Ermangelung eines Vorsitzenden wurden die Ausschüsse sodann von den stellvertretenden Ausschussvorsitzenden, die anderen Fraktionen angehörten, geleitet. \n\n\n\n

Im Ausschuss für Recht- und Verbraucherschutz gelang es der A-Fraktion dann aber doch eine Abgeordnete – und zwar die X – als Ausschussvorsitzende wählen zu lassen. Kurz nach ihrer Wahl äußerte sich diese außerhalb der Ausschussarbeit mehrmals antisemitisch, was zu öffentlichen Irritationen führte. Die anderen Ausschussmitglieder, die nicht der A angehörten, kritisierten, dass X offenbar Eigenschaften fehlten, die für den Vorsitz des Rechtsausschusses, der über die Demokratie und den Schutz des Rechts wache, erforderlich seien. X Agieren beschädige die Arbeit des Ausschusses und das Amt des Vorsitzenden und schade dem Ansehen des Gremiums und des gesamten Parlaments. Sie sei deshalb in dieser Funktion, die auch Repräsentationsaufgaben umfasse, nicht mehr tragbar. Die anderen Mitglieder forderten X zum Rücktritt auf. Jedenfalls müsse die A-Fraktion aber ein anderes Fraktionsmitglied stellen, durch das X ersetzt würde. X und A kamen diesen Bitten nicht nach. Daraufhin wählen die Mitglieder des Ausschusses X – zum ersten Mal in der Geschichte der Bundesrepublik – ab. Die A-Fraktion wurde vorzeitig über den Abwahlantrag und dessen Gründe informiert. Auch wurde ihr und X im Ausschuss eine Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt. \n\n\n\n

Die A-Fraktion ist empört und stört sich an zweierlei: Zum einen möchte die A-Fraktion vor dem BVerfG festgestellt wissen, dass der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz und der Bundestag gegen ihre Rechte verstoßen habe, indem der Rechtsausschuss die von ihr entsandte X als Vorsitzende durch Mehrheitsbeschluss abgewählt hat. Zum anderen hätte sie ganz grundsätzlich ein Recht darauf, ihres prozentualen Anteils im Bundestags entsprechend Ausschussvorsitzende in den Ausschüssen zu stellen. Die Ausschüsse müssten – inklusive ihrer Vorsitzposten – die Sitzverteilung im Parlament widerspiegeln. Sie möchte daher gegen den Innenausschuss, in welchem sie ihrer Meinung nach einen Anspruch auf einen Vorsitzposten habe, und den Bundestag klagen. \n\n\n\n

Durch die beiden Maßnahmen der Ausschüsse und des Bundestages sei gegen Art. 38 I 2 GG verstoßen worden, da ihr ein Recht auf Gleichbehandlung der Fraktionen zustünde. Dieses drücke sich auch dadurch aus, dass ein Recht auf faire und loyale Anwendung der Geschäftsordnung bestünde. Die GO-BT, die laut A ein Recht auf stärkemäßige Besetzung der Ausschussvorsitze vorsieht, wäre missachtet worden, indem Mehrheitswahlen zur Besetzung durchgeführt wurden. Vielmehr hätte A in den entsprechenden Ausschüssen ein Recht zur Benennung gehabt. Für die Abwahl von X habe es schon gar keine Rechtsgrundlage gegeben. Außerdem sei durch diesen „verschwörerischen Wahl-Boykott“ gegen den Grundsatz der effektiven Opposition verstoßen worden, da sie, die A-Fraktion, bewusst ausgeschlossen würde. Mit Blick auf die aktuelle Wahlperiode, in der sie wieder in den Bundestag gewählt wurde, plant sie daher vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.\n\n\n\n

Die verschiedenen Ausschüsse entgegnen gemeinsam, dass die von A gerügten Rechte nicht verletzt seien, da die Abgeordneten der A-Fraktion inhaltlich vollumfänglich in den Ausschüssen mitarbeiten könnten. Bei den Vorsitzposten handele es sich um rein organisatorische Posten, die nichts mit der eigentlichen inhaltlichen Arbeit gemein hätten. Es ginge bei dem Vorsitzposten vor allem um die Wahrnehmung der allgemeinen Geschäftsleitung (Einberufung der Sitzungen, Durchführung der Beschlüsse u.s.w.) sowie die Repräsentation des Ausschusses und die Darstellung seiner Arbeit gegenüber der Fachöffentlichkeit.  Die Besetzung der Vorsitzposten durch Mehrheitswahl wäre die demokratischste Art und man könne die Mitglieder ja nun nicht zu einer bestimmten Wahl zwingen. Ein Benennungsrecht der Fraktionen würde jedenfalls nicht existieren. Wieso A dadurch ihre Oppositionsrechte nicht ausüben könne, würde nicht ersichtlich. Auch die Bundestagspräsidentin äußert sich kritisch zu dem prozessualen Vorhaben der A. Ihr würde nicht einleuchten, was der Bundestag mit den Belangen zu tun hätte. Jedenfalls wären diese Fragen nun nicht mehr klärungsbedürftig, da die Wahlperiode längst vorbei sei und der Bundestag sich schon neu konstituiert habe. \n\n\n\n

Hätte ein Antrag der A vor dem Bundesverfassungsgericht, angenommen dieser wäre fristgerecht, Erfolg?\n\n\n\n

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Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten \n\n\n\n
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Das Vorhaben der A hätte Erfolg, soweit der Antrag zulässig und begründet wäre.\n\n\n\n

A. Zulässigkeit \n\n\n\n

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Organstreitverfahrens müssten erfüllt sein, Art. 93 I Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG, §§ 63 ff. BVerfGG.\n\n\n\n

I. Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts\n\n\n\n

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet gem. Art. 93 I Nr. 1 GG über die Auslegung des Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch das Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. \n\n\n\n

II. Beteiligtenfähigkeit\n\n\n\n

Sowohl die Antragstellerin A als auch die beklagten Ausschüsse sowie der Bundestag als Antragsgegnerinnen müssten beteiligtenfähig sein. Dies wird durch § 63 BVerfGG konkretisiert. \n\n\n\n

1. Antragsstellerin A\n\n\n\n

A ist als Fraktion in § 63 BVerfGG nicht mit einer selbstständigen Beteiligtenfähigkeit ausgestattet. Ihre Beteiligtenfähigkeit könnte sich aber aus einer Eigenschaft als Organteil ergeben, sofern die Fraktionen im Grundgesetz oder in den Geschäftsordnungen mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Als Organteile werden ständig unterhaltene Gliederungen, die die Arbeit des Organs ermöglichen oder erleichtern, verstanden.[1]BVerfG, BeckRS 1953, 107287.