{"id":8053,"date":"2024-09-18T10:08:17","date_gmt":"2024-09-18T08:08:17","guid":{"rendered":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/?p=8053"},"modified":"2024-09-18T10:08:24","modified_gmt":"2024-09-18T08:08:24","slug":"manipulation-mit-toedlicher-aussicht","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/manipulation-mit-toedlicher-aussicht\/","title":{"rendered":"Manipulation mit tödlicher Aussicht"},"content":{"rendered":"

BGH, Beschluss v. 25.10.2023 – 4 StR 81\/23, BeckRS 2023, 47800\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n
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A war mit dem ungefähr 30 Jahre älteren N befreundet. Dem mittelosen A ging es vornehmlich darum, Geld und Geschenke von N zu erhalten. N verheimlichte seine sexuelle Orientierung vor seinem Umfeld, befand sich in schweren Depressionen und hoffte auf eine dauerhafte Lebenspartnerschaft, wobei er bereit war, große Summen seines Vermögens für A auszugeben. Im Laufe der Zeit wurde A zu seiner wichtigsten Bezugsperson, von der N emotional abhängig war. Als das Vermögen des N fast aufgebraucht war, bezogen beide eine gemeinsame Wohnung, wobei sich das Verhältnis, das von Streit und Demütigungen durch A geprägt war, zunehmend verschlechterte. A empfand den N als Belastung und begann, diesen zu tyrannisieren, wobei es zu Beleidigungen und körperlichen Übergriffen kam. A isolierte N von seinem sozialen Umfeld, versuchte ihn zu destabilisieren und ihn dahin zu bringen, auf Anweisung des A Suizid zu begehen. Am Tattag wirkte A über einen Zeitraum von mehr als acht Stunden telefonisch auf N ein, um diesen mit Beleidigungen, Demütigungen und Aufforderungen zur Selbsttötung zu bewegen. N, der dadurch psychisch schwer getroffen war, bat den A, damit aufzuhören; dieser fuhr jedoch mit seinem Verhalten fort. Er ging im weiteren Verlauf des Telefonats davon aus, dass N sich nun töten und dabei zu einer freiverantwortlichen Willensbildung nicht in der Lage sein werde. A beendete nunmehr das Telefonat. N stach sich daraufhin mehrfach in den Hals, wobei er das Bewusstsein verlor, aber keine lebensgefährlichen Verletzungen erlitt. Weil N die Kontrollanrufe von A nicht annahm, ging dieser davon aus, dass N sich getötet habe. Um sich als aufopferungsvoller Freund darzustellen, alarmierte er die Polizei. Die Rettungskräfte fanden den nur verletzten N, so dass dieser gerettet werden konnte. \n\n\n\n

Wie hat sich A strafbar gemacht? Ggf. erforderliche Strafanträge gelten als gestellt.\n\n\n\n

Bearbeiterhinweis: § 211 StGB ist nicht zu prüfen.\n\n\n\n

Sachverhalt als .pdf\n\n\n\n\nAnmerkung: Hilfe bei Suizidgedanken
\nHaben Sie den Verdacht, an Depression zu leiden? Oder haben Sie sogar suizidale Gedanken? Andere Menschen können Ihnen helfen. Sie können sich an Familienmitglieder, Freun­d:in­nen und Bekannte wenden. Sie können sich auch professionelle oder ehrenamtliche Hilfe holen – auch anonym. Bitte suchen Sie sich Hilfe, Sie sind nicht allein. Anbei finden Sie einige Anlaufstellen.\n

Akute suizidale Gedanken: Rufen Sie den Notruf unter 112 an, wenn Sie akute suizidale Gedanken haben. Wenn Sie sofort behandelt werden möchten, finden Sie Hilfe bei der psychiatrischen Klinik oder beim Krisendienst.\n

Depression und depressive Stimmung: Holen Sie sich Hilfe durch eine Psychotherapie. Die Stiftung Deutsche Depressionshilfe kann Ihnen ferner Hilfe und Information zum Umgang mit Depression bieten.\n

Kummer: Sind Sie traurig und möchten jemanden zum Reden haben? Wollen Sie Sorgen loswerden und möchten, dass Ihnen jemand zuhört? Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr besetzt. Die Telefonnummern sind 0800 111 0 111 und 0800 111 0 222. Sie können auch das schriftliche Angebot via Chat oder Mail in Anspruch nehmen.\n

Onlineberatung bei Suizidgedanken: Die MANO Suizidprävention bietet eine anonyme Onlineberatung an. Wenn Sie über 26 Jahre alt sind, können Sie sich auf der Webseite registrieren. Sollten Sie jünger sein, können Sie hier eine Helpmail formulieren.\n

Hilfsangebot für Kinder, Jugendliche und Eltern: Die Nummer gegen Kummer hat sich zum Ziel gesetzt, Kindern, Jugendlichen und Eltern zu helfen. Kinder erhalten dort Unterstützung unter der Nummer 116 111, Eltern unter 0800 111 0 550, und bei der Helpline Ukraine unter 0800 500 225 0 finden Sie auch Hilfe auf Russisch und Ukrainisch.\n

Hilfsangebot für Mus­li­m:in­nen: Die Ehrenamtlichen des Muslimischen Seelsorgetelefons erreichen Sie anonym und vertraulich unter 030 443 509 821.
\nBei der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention können Sie nach weiteren Seiten und Nummern suchen, die Ihrem Bedarf entsprechen.
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Skizze\n\n\n\n\n\n

Gutachten\n\n\n\n
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Strafbarkeit gemäß §§ 212, 22, 23 I, 25 I 2. Alt. StGB\n\n\n\n

A könnte sich wegen versuchten Totschlags in mittelbarer Täterschaft gemäß §§ 212, 22, 23 I, 25 I 2. Alt. StGB strafbar gemacht haben, indem er N über einen langen Zeitraum sozial isolierte und am Tattag in dem über mehrere Stunden dauernden Telefonat psychischen Druck aufbaute, emotional destabilisierte und hierdurch N zu einem Suizid veranlassen wollte. \n\n\n\n

0. Vorprüfung \n\n\n\n

N hat die Stiche in den Hals überlebt. Die Tat ist nicht vollendet. Die Versuchsstrafbarkeit ergibt sich aus §§ 23 I, 12 StGB.\n\n\n\n

I. Tatentschluss\n\n\n\n

A müsste einen Tatentschluss gefasst haben, also vorsätzlich in Bezug auf die Verwirklichung aller objektiven Tatbestandsmerkmale gehandelt haben.\n\n\n\n

1. Bzgl. des Erfolgs\n\n\n\n

A handelte bzgl. des Todes des N und insoweit bzgl. des Erfolgs des § 212 I StGB absichtlich.\n\n\n\n

2. Bzgl. der Tötungshandlung in mittelbarer Täterschaft\n\n\n\n

A wollte N nicht eigenhändig töten, sondern hin zu einer Selbsttötung veranlassen. Für eine strafrechtliche Haftung müsste er auch einen Tatentschluss hinsichtlich der Begehung der Tötungshandlung in mittelbarer Täterschaft aufweisen. \n\n\n\n

a) (Wissens- oder Willens-)Mangel beim Vordermann\n\n\n\n

Dafür müsste A sich zunächst vorgestellt haben, dass der Vordermann, also der N, mit einem „Mangel“, der seine Verantwortung für das Geschehen ausschließt, handeln würde. Dies wäre zu bejahen, wenn N nicht eigenverantwortlich gehandelt hat. Nur in Fällen, in denen der Suizidentschluss aufgrund eines Wissens- oder Verantwortlichkeitsdefizits nicht freiverantwortlich gebildet ist, kann der sich selbst Tötende bei wertender Betrachtung als Werkzeug gegen sich selbst angesehen werden.[1]BGH BeckRS 2023, 47800, Rn. 16.