{"id":7854,"date":"2024-06-26T13:44:12","date_gmt":"2024-06-26T11:44:12","guid":{"rendered":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/?p=7854"},"modified":"2024-06-26T13:44:15","modified_gmt":"2024-06-26T11:44:15","slug":"du-navigierst-ich-zerquetsche","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/du-navigierst-ich-zerquetsche\/","title":{"rendered":"„Du navigierst, ich zerquetsche!“"},"content":{"rendered":"

BGH, Beschluss vom 15.08.2023 – 4 StR 227\/23, BeckRS 2023, 41499\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n
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A und sein Bruder B fassen den Plan, den verhassten O zu töten. B steuert den auf A zugelassenen und in dessen Eigentum stehenden PKW während A auf der Rückbank sitzt und B zum Aufenthaltsort des O navigiert. Als A den O auf dem Bürgersteig entdeckt, weist er B an, absprachegemäß mit 25 km\/h auf den O zuzufahren, um diesen zwischen PKW und Hausfassade zu zerquetschen. Der Bürgersteig befindet sich unmittelbar neben der Fahrbahn, auf der B das Fahrzeug führt und es befinden sich keinerlei andere Fahrzeuge, Radfahrer oder Fußgänger in der Nähe. O gelingt es jedoch in letzter Sekunde auf das Autodach zu springen und sich über das Fahrzeug abzurollen. Er bleibt unverletzt und kann sofort flüchten und außer Sichtweite von A und B gelangen. Als A und B das erkennen, begeben sie sich sofort zu ihrem Haus zurück, um unentdeckt zu bleiben.\n\n\n\n

Strafbarkeit von A nach dem StGB? (§ 211 StGB ist nicht zu prüfen.)\n\n\n\n

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Skizze\n\n\n\n\n\n

Gutachten\n\n\n\n
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A. Strafbarkeit des A gem. §§ 212 I, 22, 23 I, 25 II StGB\n\n\n\n

A könnte sich des versuchten Totschlags in Mittäterschaft gem. §§ 212 I, 22, 23 I, 25 II StGB strafbar gemacht haben, indem er mit dem B plante, den O mit dem Fahrzeug an der Hauswand zu zerquetschen und O lediglich im letzten Moment ausweichen konnte.\n\n\n\n

I. Vorprüfung\n\n\n\n

Der Versuch ist gem. §§ 23 I, 12 I StGB strafbar, weil es sich bei dem Totschlag um ein Verbrechen (Mindestfreiheitsstrafe über ein Jahr) handelt. Da O ausweichen konnte und unverletzt blieb, bleibt der Totschlag unvollendet.\n\n\n\n

II. Tatbestand\n\n\n\n

1. Tatentschluss\/Tatplan\n\n\n\n

A und B planten gemeinsam den O mittels des von A navigierten und von B geführten Fahrzeugs zu zerquetschen. Sie hatten jeweils Tatentschluss hinsichtlich des Todes des O. Auch planten sie eine gemeinsame Tatausführung der Tat, bei der beide ihren Tatbeitrag im Ausführungsstadium der Tat erbringen wollten: Der B sollte die Tötung durch das Führen des Fahrzeugs steuern; der A sollte einen zentralen (tatherrschaftlichen) Tatbeitrag durch die Bereitstellung des Fahrzeugs (noch im Vorbereitungsstadium) und sodann durch die Navigation im Einzelnen erbringen. Daher planten A und B auch die gemeinsame Tatausführung und damit die mittäterschaftliche Begehung (§ 25 II StGB). \n\n\nAnmerkung: Strenge und gemäßigte Tatherrschaftslösung

\nVgl. zum Streit, ob es für eine funktionelle Tatherrschaft ausreicht, wenn der Tatbeitrag im Vorbereitungsstadium erbracht werden soll, den Beitrag „Wer wird Millionär?“
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2. Unmittelbares Ansetzen\n\n\n\n

A müsste zur Tat auch unmittelbar angesetzt haben. Unmittelbares Ansetzen ist das subjektive Übertreten der Schwelle zum „Jetzt-geht´s-los“ während objektiv keine weiteren wesentlichen Handlungsakte notwendig sind, um in die objektive Verwirklichung des Tatbestandes einzumünden. Bei der mittäterschaftlichen Begehung ist indessen fraglich, ob es für ein unmittelbares Ansetzen darauf ankommt, dass einer der Mittäter unmittelbar ansetzt (sog. Gesamtlösung) oder ob es für jeden Mittäter einzeln entscheidend ist, dass zum Tatbeitrag unmittelbar angesetzt wird (sog. Einzellösung). Hier hat A seinen Tatbeitrag in Form der Navigation jedenfalls schon selbst erbracht, sodass er zu seinem individuellen Tatbeitrag angesetzt hat. Daher liegt auch nach der strengeren Einzellösung ein unmittelbares Ansetzen vor und eine Stellungnahme ist entbehrlich. \n\n\nAnmerkung: Unmittelbares Ansetzen bei mittelbarer Täterschaft

\nFür die Frage, wann bei einer mittelbaren Täterschaft unmittelbar angesetzt wird vgl. die Beiträge „Vergiftete Babygläschen“ und „Süßes für Saures“.
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II. Rechtswidrigkeit\n\n\n\n

A handelt rechtswidrig.\n\n\n\n

III. Schuld\n\n\n\n

A handelt auch schuldhaft. \n\n\n\n

IV. Rücktritt\n\n\n\n

Ein Rücktritt gem. § 24 II StGB muss ausscheiden, wenn der Versuch fehlgeschlagen ist. Fehlgeschlagen ist der Versuch, wenn der Täter die Tat aus dem Rücktrittshorizont, also nach seiner Vorstellung während der Tat, nicht mehr mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln vollenden kann. Da O sofort flieht, können A und B die Tat nach ihrem Plan (tödliche Zerquetschung des O mit dem Fahrzeug) nach ihrer Vorstellung nicht mehr vollenden, sodass der Versuch fehlgeschlagen ist und eine gemeinsame Aufgabe des Tatplans nicht zu einem strafbefreienden Rücktritt führen kann. \n\n\nAnmerkung: Rücktritt nach Para. 24 II StGB bei mittelbarer Täterschaft

\nVgl. zur Frage, ob sich ein Rücktritt des mittelbaren Täters (stets) nach § 24 II StGB richtet, den Beitrag „Vergiftete Babygläschen“.
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V. Ergebnis\n\n\n\n

A hat sich gem. §§ 212 I, 22, 23 I, 25 II StGB strafbar gemacht. \n\n\n\n

B. Strafbarkeit des A gem. §§ 315b I Nr. 3, III i.V.m. § 315 III Nr. 1 a), 25 II StGB \n\n\n\n

A könnte sich des mittäterschaftlichen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in einem besonders schweren Fall gem. §§ 315b I Nr. 3, III i.V.m. § 315 III Nr. 1 a), 25 II StGB strafbar gemacht haben, indem er das Fahrzeug navigierte und B auf O zufuhr, um ihn zwischen Fahrzeug und Hausfassade zu zerquetschen.\n\n\n\n

I. Tatbestand\n\n\n\n

1. Öffentlicher Straßenverkehr\n\n\n\n

Zunächst müsste sich das Geschehen im öffentlichen Straßenverkehr ereignet haben. Der Begriff „Straßenverkehr“ umfasst jede Verkehrsart auf für jedermann bestimmten Straßen, Wegen und Plätzen. Darunter fällt auch der für jedermann zugängliche Bürgersteig, wie der, auf dem sich O bewegt. Daher liegt ein öffentlicher Straßenverkehr vor. \n\n\n\n

2. Handlungsteil: Ähnlicher, ebenso gefährlicher Eingriff (Nr. 3)\n\n\n\n

Sodann müsste A die Sicherheit des Straßenverkehrs abstrakt durch einen zu § 315b I Nr. 1 oder Nr. 2 StGB ähnlichen und ebenso gefährlichen Eingriff beeinträchtigt haben. Ein solcher Eingriff könnte im Befahren des Bürgersteiges durch B zu sehen sein, um den O zu töten, der dem A im Rahmen der Mittäterschaft zuzurechnen sein könnte. \n\n\n\n

a) Verkehrsfremder Inneneingriff\n\n\n\n

Fraglich ist aber, inwiefern die Gefährdungshandlungen des § 315b I StGB auf Eingriffe in den Straßenverkehr von außen begrenzt sind. Ein solcher Ausschluss von Inneneingriffen ergibt sich dabei zwar nicht aus dem Wortlaut des § 315b I StGB, jedoch (insbesondere) aus einem systematischen Blick auf § 315c StGB. Denn § 315c StGB soll Handlungen erfassen, die aus dem Straßenverkehr selbst vorgenommen werden und durch die Außerachtlassung von Straßenverkehrsregeln gefährlich sind. Aus dieser systematischen Perspektive ergibt sich ein Exklusivitätsverhältnis zwischen § 315b StGB und § 315c StGB. \n\n\n\n

Fraglich ist aber, ob sich der Eingriff des B derart vom Bild einer Außerachtlassung von Verkehrsregeln entfernt, dass es sich nicht mehr um einen Inneneingriff i.S.v. § 315c StGB handelt. Eine Ausnahme ist nämlich dann anzunehmen und dem § 315b StGB zuzuordnen, wenn es sich um einen verkehrsfeindlichen Inneneingriff handelt. Voraussetzung für diese Ausnahme ist es, dass es sich um eine grobe Einwirkung auf den Straßenverkehr handelt, eine Pervertierungsabsicht i.S.e. bewussten Zweckentfremdung des Fahrzeugs als Waffe oder Verletzungswerkzeug vorliegt und der Fahrer eventualvorsätzlich hinsichtlich einer Schädigung handelt.[1]BGH BeckRS 2023, 41499, Rn. 7; Eisele, JuS 2024, 471, 472; abw. König, in: LK-StGB, § 315b Rn. 13 ff., 41 ff.