{"id":7835,"date":"2024-06-12T11:21:45","date_gmt":"2024-06-12T09:21:45","guid":{"rendered":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/?p=7835"},"modified":"2024-06-24T13:31:20","modified_gmt":"2024-06-24T11:31:20","slug":"nutzungsaenderung-zum-pizzalieferservice","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/nutzungsaenderung-zum-pizzalieferservice\/","title":{"rendered":"Nutzungsänderung zum Pizzalieferservice"},"content":{"rendered":"

VGH München, Beschluss v. 19.04.2023 – 9 ZB 22.1495, BeckRS 2023, 8770\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

(abgewandelt und gekürzt)\n\n\n\n

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Der A betreibt eine Pizzeria in Bayern. Die Pizzeria liegt in einem Gebiet, welches als Art der baulichen Nutzung ein allgemeines Wohngebiet gemäß § 4 der Baunutzungsverordnung (BauNVO) vorsieht. Entsprechend § 3 Nr. 1 der Bebauungsplan-Satzung wurden die Ausnahmen gemäß § 4 III BauNVO, mit Ausnahme einer Tankstelle, rechtmäßig ausdrücklich ausgeschlossen.\n\n\n\n

Die Räumlichkeiten des A wurden in den 70er Jahren ursprünglich als eine „Gast- und Schankwirtschaft“ mit der näheren Konkretisierung als „Einbau einer Pizzeria“ genehmigt. Bis zum heutigen Tag erfolgte auch eine Nutzung zuerst als Pizzeria und zuletzt als türkisches Restaurant, wo indes auch Pizzen verkauft wurden, mit 20 Innenraumgastplätzen und 15 Sitzplätzen in der Außengastronomie. Der A möchte den Betrieb wieder als reine Pizzeria betreiben, jedoch mit dem zusätzlichen Angebot eines Lieferservice. Die Öffnungszeiten seien ganzwöchig von 10:00 Uhr bzw. 11:00 Uhr bis 22:30 Uhr geplant. Wobei Speisen vor Ort nur in der Zeit zwischen 15:00 und 22:00 Uhr verzehrt werden können. Vor Ort sei kein Alkoholausschank vorgesehen. Der Lieferservice sei vor allem für die Nachbarschaft im Baugebiet angedacht. Die Bestellungen können nicht nur vor Ort, sondern auch per Telefon oder Internet erfolgen. Die Auslieferung sei mit insgesamt drei Fahrzeugen und drei Fahrrädern geplant. Der Betrieb erfolge in zwei Schichten mit jeweils sechs Mitarbeitern.\n\n\n\n

Der A meint, dass aufgrund der Kombination aus Verzehr vor Ort und dem Lieferangebot, der Betrieb entsprechend der Beschreibung auch unter den Begriff der Schank- und Speisewirtschaft falle. Die Umwandlung der Pizzeria in eine Pizzeria mit Lieferservice stelle daher als lediglich geringfügige und zeitgemäße Anpassung an die heutigen und üblichen Verhältnisse keine Nutzungsänderung dar und bedürfe keiner Genehmigung.\n\n\n\n

Falls widererwartend doch eine Genehmigungspflicht bestünde, sei nach der Ansicht des A eine bauplanungsrechtliche Zulässigkeit gegeben, zumindest sei eine Befreiung zu erteilen. Das Vorhaben finde als Teil des Gesamtkonzeptes statt. Entsprechend der heutigen Lebensgewohnheiten nehme der Betrieb eine Versorgungsfunktion für ein weitreichendes Wohnumfeld in Form des Verzehrs vor Ort oder zu Hause wahr, insbesondere um kurzfristig auf das Zubereiten von warmen Mahlzeiten im eigenen Haushalt verzichten zu können. Es gehöre heute zum typischen Erscheinungsbild von Pizzerien, dass diese zusätzlich zum Verzehr vor Ort das Speisen-Angebot auch ins Haus liefern würden. Dies entspreche den heutigen Lebensgewohnheiten und würde auch von der Wohnbevölkerung im unmittelbaren Nahbereich gewünscht. Das Störpotenzial des Betriebs sei zudem gering und sei auch angesichts der Vorbelastung im Wohngebiet mit dem Charakter des Wohngebiets vereinbar. Das Vorhaben befinde sich an einer sehr stark befahrenen Straße. Das zusätzliche Verkehrsaufkommen mit An- und Abfahrt falle daher nicht ins Gewicht. Zudem erfolge die Auslieferung mit E-Bikes und vorzugsweise mit elektrischen Kfz`s, sodass keine Abgas- oder Lärmbelästigung wahrnehmbar sei.\n\n\n\n

Sie sind Rechtsanwalt und der A sucht Sie mit den Fragen auf, ob er das Vorhaben einfach umsetzen oder ob er eine Genehmigung beantragen kann. Der A bringt Ihnen auch schon den geplanten Internetauftritt mit, wo er hauptsächlich auf den Lieferservice hinweist.\n\n\n\n

Auszüge aus der BayBO\n\n\n\n

Art. 55 Grundsatz\n\n\n\n

(1) Die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von Anlagen bedürfen der Baugenehmigung, soweit in Art. 56 bis 58, 72 und 73 nichts anderes bestimmt ist.\n\n\n\n

(2) Die Genehmigungsfreiheit nach Art. 56 bis 58, 72 und 73 Abs. 1 Satz 3, die Beschränkung der bauaufsichtlichen Prüfung nach Art. 59, 60, 62a Abs. 2, Art. 62b Abs. 2, Art. 73 Abs. 2 und Art. 73a sowie die Genehmigungsfiktion nach Art. 68 Abs. 2 entbinden nicht von der Verpflichtung zur Einhaltung der Anforderungen, die durch öffentlich-rechtliche Vorschriften an Anlagen gestellt werden, und lassen die bauaufsichtlichen Eingriffsbefugnisse unberührt\n\n\n\n

Art. 59 Vereinfachtes Baugenehmigungsverfahren\n\n\n\n

1Außer bei Sonderbauten prüft die Bauaufsichtsbehörde\n\n\n\n

1. die Übereinstimmung mit\n\n\n\n

a) den Vorschriften über die Zulässigkeit der baulichen Anlagen nach den §§ 29 bis 38 BauGB,\n\n\n\n

b) den Vorschriften über Abstandsflächen nach Art. 6,\n\n\n\n

c) den Regelungen örtlicher Bauvorschriften im Sinn des Art. 81 Abs. 1,\n\n\n\n

2. beantragte Abweichungen im Sinn des Art. 63 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 sowie\n\n\n\n

3. andere öffentlich-rechtliche Anforderungen, soweit wegen der Baugenehmigung eine Entscheidung nach anderen öffentlich-rechtlichen Vorschriften entfällt, ersetzt oder eingeschlossen wird.\n\n\n\n

2Die Art. 62 bis 62b bleiben unberührt\n\n\n\n

Anmerkung: Es ist davon auszugehen, dass kein Sonderbau nach Art. 2 IV Nr. 1 bis 20 BayBO vorliegt.\n\n\n\n


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Sachverhalt als PDF\n
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Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten\n\n\n\n
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Damit das Vorhaben des A rechtmäßig ist, müsste die Änderung von einer Pizzeria in eine Pizzeria mit Lieferservice entweder genehmigungsfrei sein oder bei einer bestehenden Genehmigungspflicht bauplanungsrechtlich zulässig sein.\n\n\nAnmerkung: Prozessuale Ausgangssituation im streitgegenständlichen Verfahren

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In dem dem Urteil zu Grunde liegenden Sachverhalt hatte der Kläger schon die Nutzung als Pizzeria mit Lieferservice aufgenommen. Er ging von einer Genehmigungsfreiheit aus und beantragte laut eigenen Angaben die Baugenehmigung rein vorsorglich. Insofern war in dem Fall die statthafte Klageart die Verpflichtungsklage. \n\n\n\n\n

A. Genehmigungspflichtigkeit\n\n\n\n

Das Vorhaben des A könnte genehmigungspflichtig sein. Nach Art. 55 BayBO bedarf die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung von Anlagen einer Baugenehmigung. Eine Nutzungsänderung liegt grundsätzlich vor, wenn die angestrebte Nutzung nicht mehr von der erteilten Baugenehmigung gedeckt ist.\n\n\n\n

I. Variationsbreite als Ausgangspunkt\n\n\n\n

Ausgangspunkt ist die in der Baugenehmigung enthaltende Variationsbreite. Das Vorhaben stellt daher eine Nutzungsänderung dar, wenn durch die Verwirklichung eines Vorhabens die Variationsbreite verlassen wird. Daher ist nicht jede Änderung genehmigungspflichtig. Eine Nutzungsänderung ist jedoch jedenfalls dann anzunehmen, wenn sich durch die geänderte Nutzung die Genehmigungsfrage unter bodenrechtlichen Gesichtspunkten neu stellt.[1]BVerwGE 138, 166.