{"id":7789,"date":"2024-05-20T16:05:22","date_gmt":"2024-05-20T14:05:22","guid":{"rendered":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/?p=7789"},"modified":"2024-05-28T08:31:37","modified_gmt":"2024-05-28T06:31:37","slug":"verbot-von-parolen-auf-versammlungen","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/verbot-von-parolen-auf-versammlungen\/","title":{"rendered":"Verbot von Parolen auf Versammlungen"},"content":{"rendered":"

Hessischer VGH Beschl. vom 22.03.2024 – 8 B 565\/24; VGH Baden-Württemberg Beschl. vom 03.04.2024 – 12 S 1947\/23; OVG NRW Beschl. vom 02.12.2023 – 15 B 1323\/23; OVG Bremen Beschl. v. 30.04.2024 – 1 B 163\/24\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

(abgewandelt und gekürzt)\n\n\n\n

\n
\n

Die Gruppe G ist entsetzt über das Leiden, welches der Konflikt zwischen Israel und der Hamas auf beiden Seiten gebracht hat. Sie organisiert deshalb eine Demonstration unter dem Titel „Frieden für Palästina, Frieden für Israel“. Die Gruppe ist ihrer Selbstbeschreibung nach überparteilich, hat sich aber in der Vergangenheit häufiger für die Rechte der Palästinenser:innen eingesetzt, als für die Rechte der Israelis. Ihrer eigenen Aussage nach mache sie dies, weil die Palästinenser:innen weniger Unterstützung in der Allgemeinbevölkerung hätten. Deshalb sei diese Schwerpunktsetzung notwendig, um ein Gleichgewicht herzustellen. Sie wollen sich aber nicht als „Palästina-unterstützende-Organisation“ ansehen lassen. Sie seien für den Frieden für alle Menschen in der Region.\n\n\n\n

Der A ist Deutscher und Aktivist bei der Gruppe G und meldet für die G die Kundgebung bei der zuständigen Versammlungsbehörde der niedersächsischen Stadt S mit einer Vorlaufzeit von 14 Tagen an.\n\n\n\n

Diese meldet sich bei A zurück und gibt diesem schriftlich auf, dass er als Leiter der Versammlung dafür verantwortlich sei, Personen von der Demonstration auszuschließen, die den Ausspruch „From the River to the Sea – Palestine will be free“ rufen\/öffentlich verwenden würden. Diese Anordnung erklärt die Behörde mit einer ausführlichen Begründung für sofort vollziehbar. Die Anordnung sei unter anderem notwendig, weil ein Rechtsverstoß, der durch die Verwendung des Ausspruchs begangen werden würde, durch ein späteres polizeiliches Einschreiten nicht rückgängig gemacht werden könnte.\n\n\n\n

Das Bundesinnenministerium hatte vor kurzem erst die Terrororganisation „Hamas“ in Deutschland verboten und den Ausspruch „From the River to the Sea“ als Ausruf und Erkennungszeichen der Hamas eingeordnet. Damit sei das Erkennungszeichenstets als nach § 20 I Nr. 5 VereinsG verbotenes Erkennungszeichen bei Versammlungen allgemein untersagt, schreibt die Behörde.\n\n\n\n

Der A ist entsetzt, er würde sich niemals mit der Hamas identifizieren. Aber er verstehe Personen, die den Ausspruch „From the River to the Sea“ benutzen würden, um für eine Befreiung der Palästinenser:innen von – so wie er es beschreibt – der israelischen Besatzung politisch zu fordern. Er selbst verwende den Ausspruch auch, aber er fordere mit dem Ausspruch „From the River to the Sea“ eine sog. „Ein-Staaten-Lösung“ durch die alle Menschen, die im Gebiet zwischen dem Mittelmeer (Sea) und dem Jordan (the River) lebten, gleichberechtigt in dem gleichen Staat leben könnten. Er würde niemals und auch niemand Anderes sollte seiner Meinung nach das Existenzrecht Israels in Frage stellen. Wenn dies ausdrücklich geschehe, würde er sofort Menschen von der Demo ausschließen.\n\n\n\n

Der A legt mit dieser Begründung Widerspruch gegen den Teil der Rückmeldung der Behörde ein, der ihm aufgibt alle auszuschließen, die den Ausspruch verwenden. Er sieht sich dadurch in seiner Demonstrationsfreiheit verletzt.\n\n\n\n

Er meint, es wären auch noch andere politische Modelle denkbar, die mit dem Ausspruch politisch gefordert werden könnten und ebenfalls nicht das Existenzrecht Israels beträfen und mit der Hamas nichts zu tun hätten. Es handele sich eben um eine politische Forderung, um deren Umsetzung seit Jahrzehnten Uneinigkeit bestehe.\n\n\n\n

Gewalt lehnten er und alle seine Freunde und Bekannten, von denen er viele bei der Demo erwarte, ab. Es wäre aber nicht möglich den Ausspruch „From the River to the Sea“ mit der Hamas gleichzusetzen. Außerdem sei der Ausspruch älter als die Hamas.  \n\n\n\n

Der Widerspruch bleibt erfolglos. Die Versammlungsbehörde meint, dass der Ausspruch regelmäßig im Zusammenhang mit der Ideologie der Hamas stehe und damit die Auflage dem Ziel diene Tätigkeiten der Hamas in Deutschland zu unterbinden und wegen drohender und zu erwartender Verstöße gegen § 20 I Nr. 5 VereinsG notwendig sei.  \n\n\n\n

Noch vor der geplanten Demonstration erhebt A Klage beim zuständigen VG im Wege des Eilrechtsschutzes.\n\n\n\n

Hat das Vorgehen des A Aussicht auf Erfolg?\n\n\n\n

Bearbeitervermerk: Anzuwenden ist das Versammlungsgesetz des Bundes. Äquivalente Vorschriften finden sich ebenfalls in den Versammlungsgesetzen der Länder.\n\n\n\n

Bei der Prüfung nicht zu berücksichtigen ist ein möglicher Verstoß gegen §§ 130 I, 140, 111, § 86a I Nr. 1 iVm § 86 II StGB.\n\n\n\n


\n\n\n\n
Sachverhaltals PDF\n
 \n\n\n\n

Skizze\n\n\n\n\n\n
\n\n\n\n

Gutachten\n\n\n\n
\n
\n

Der Antrag des A ist begründet, wenn er zulässig und soweit er begründet ist.\n\n\n\n

A. Zulässigkeit\n\n\n\n

Zunächst müsste der Antrag zulässig sein.\n\n\n\n

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs \n\n\n\n

Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweg richtet sich mangels aufdrängender Sonderzuweisung nach § 40 I S. 1 VwGO. Dafür müsste eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegen und es dürfte keine abdrängende Sonderzuweisung ersichtlich sein.\n\n\n\n

Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt nach der modifizierten Subjektstheorie vor, wenn die streitentscheidende Norm eine solche des öffentlichen Rechts ist, die Hoheitsträger einseitig berechtigt oder verpflichtet. Streitentscheidend sind hier die Vorschriften des VersammlG. Dabei handelt es sich um Normen des öffentlichen Rechts die die Versammlungsbehörden einseitig berechtigen. Mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit handelt es sich auch um eine Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art. Eine abdrängende Sonderzuweisung ist ebenfalls nicht ersichtlich.\n\n\nVernetztes Lernen: Wie sähe die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs aus, wenn die Polizei einzelne Personen wegen der Verwirklichung von Straftatbeständen verfolgt hätte?

\n

Mit § 23 EGGVG liegt eine abdrängende Sonderzuweisung für repressives staatliches Handeln vor. Fraglich wäre sodann, ob die Polizei präventiv oder repressiv vorgegangen wäre. Hätte die Polizei einzelne Personen von der Demonstration ausgeschlossen, weil diese gröblich gegen die Ordnung der Versammlung gestört haben, könnte dies auf § 18 VersammlG gestützt werden. Wenn die Polizei jedoch tätig wird, um auf der Demonstration begangene Straftaten zu verfolgen, wird sie nicht präventiv, sondern repressiv tätig. In dem Fall wäre § 23 EGGVG einschlägig und der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet.
\n\n\n\n\n

Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet. \n\n\n\n

II. Statthafte Antragsart\n\n\n\n

Die statthafte Antragsart richtet sich nach der Auslegung des Interesses des Antragsstellers, §§ 122 I, 88 VwGO. Der A begehrt vorliegend einstweiligen Rechtsschutz gegen die Beschränkung der Versammlung und der Anordnung der sofortigen Vollziehung. In Betracht kommt ein Antrag nach § 80 V VwGO oder § 123 VwGO. Der Antrag nach § 123 VwGO ist subsidiär und nur einschlägig, wenn in der Hauptsache nicht eine Anfechtungsklage oder ein Anfechtungswiderspruch statthaft ist.\n\n\n\n

Da eine Versammlung keiner Genehmigung bedarf (Art. 8 I GG), handelt es sich bei der Anordnung der Behörde nicht um eine Nebenbestimmung gem. § 36 VwVfG i.V.m. § 1 I NVwVfG.[1]Im Folgenden wird auf die Verweisnorm verzichtet.