{"id":7764,"date":"2024-05-15T09:39:49","date_gmt":"2024-05-15T07:39:49","guid":{"rendered":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/?p=7764"},"modified":"2024-05-15T12:05:12","modified_gmt":"2024-05-15T10:05:12","slug":"vielen-dank-fuer-ihren-clearing-service","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/vielen-dank-fuer-ihren-clearing-service\/","title":{"rendered":"Vielen Dank für Ihren (Clearing) Service! "},"content":{"rendered":"

BGH Beschluss vom 04.10.2023 – 6 StR 258\/23 – NJW 2023, 3803\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

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A ist wie immer knapp bei Kasse, weshalb sie sich einen ausgeklügelten Plan überlegt, um innerhalb kürzester Zeit an relativ viel Geld zu kommen. Wie der Zufall es möchte, ist sie Geschäftsführerin und alleinige Gesellschafterin der A-GmbH, die keinen Geschäftsbetrieb ausübt, sondern ihr ausschließlich zur Begehung von Straftaten dient. \n\n\n\n

A wendet sich in ihrer Funktion als Geschäftsführerin der A-GmbH an das Zahlungsdienstleistungsunternehmen Z mit dem Ziel, die Z mittels fingierter Lastschrifteinzüge zu Zahlungen an die A-GmbH zu veranlassen. Geschäftsmodell der Z ist es, ihren Kunden ein mobiles Point-of-Sale (PoS) für die Abwicklung von Bezahlvorgängen zur Verfügung zu stellen und dafür im Gegenzug ein monatliches Entgelt sowie eine Beteiligung pro Transaktion zu erhalten.\n\n\n\n

Bei einem PoS handelt es sich um ein elektronisches Kartenlesegerät, das dem einkaufenden Endkunden erlaubt, am Verkaufsort beim Händler Waren mittels EC- oder Kreditkarte entweder kontaktlos, via PIN oder durch eine Ermächtigung zum Lastschrifteneinzug (elektronisches Lastschriftenverfahren (ELV)) zu bezahlen. \n\n\n\n

A schließt in ihrer Funktion als Geschäftsführerin der A-GmbH einen Vertrag mit der Z über die Nutzung eines solchen PoS, wobei sie suggeriert, das PoS bei realen Zahlungsvorgängen durch Endkunden einsetzen zu wollen. \n\n\n\n

Das von Z wenige Tage nach Vertragsschluss an die Privatadresse der A zu übersendende PoS sollte, wie von A geplant, geeignet sein, Transaktionen im ELV durchzuführen.\n\n\n\n

Üblicherweise werden beim ELV die einzelnen Zahlungen der Endkunden von deren Konten durch die Z eingezogen und dann gesammelt nach einem bestimmten Zeitabschnitt an den Vertragspartner – hier die A – überwiesen. Auf diese Weise liegt das mögliche Risiko eines Zahlungsausfalls bei der A, denn wenn das Konto eines Endkunden keine ausreichende Deckung aufweist (oder der Abbuchung bei der Bank widersprochen wird), kommt es durch einen Widerruf der Lastschrift zu einer Rückbuchung über eine sog. Rücklastschrift.\n\n\n\n

Mit dem Ziel, genau solche Rücklastschriften zu vermeiden und das Risiko eines Zahlungsausfalls auf die Z zu übertragen, vereinbart A mit der Z einen sog. „Clearing-Service“. Konkret wird vereinbart, dass die Z der A die Beträge der durch das PoS abgewickelten Bezahlvorgänge nicht erst gesammelt überweist, nachdem sie die Gutschriften der Banken der Endkunden erhalten hat (sog. „Clearing“ der Banken), sondern schon davor. Auf diese Weise wird Z vorleistungspflichtig und das Risiko eines Zahlungsausfalls durch Rücklastschriften verlagert sich von A auf Z. Der „Clearing-Service“ gehört grundsätzlich zum normalen Angebots-Repertoire der Z, da durch ihn die Liquidität ihrer Kunden gesichert werden kann und die Anzahl an Rücklastschriften im normalen Geschäftsverkehr vernachlässigbar klein ist. \n\n\n\n

Wie von Anfang an geplant verwendet A das PoS in den folgenden Wochen jedoch ausschließlich vertragswidrig dafür, Bezahlvorgänge im ELV durch ihre und weitere, nicht gedeckte EC-Karten abzuwickeln. Die so ausgelösten Lastschriften werden allesamt – wie A bewusst ist – durch die jeweilige Bank widerrufen und Z wird aufgrund ihres „Clearing-Service“ durch die jeweiligen Rücklastschriften belastet. Auf diese Weise löst A 100 Zahlungsvorgänge im ELV in Höhe von 350.000€ aus, die zunächst – dem Vertrag mit Z entsprechend – dem Konto der A-GmbH gutgeschrieben und sodann zeitnah von A abgehoben und für private Zwecke ausgegeben werden.\n\n\n\n

Strafbarkeit der A gem. § 263 StGB?\n\n\n\n\n\n

Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten\n\n\n\n
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A könnte sich durch den Abschluss des PoS-Nutzungsvertrages mitsamt „Clearing-Service“-Abrede mit der Z gem. § 263 Abs. 1 StGB gegenüber und zu Lasten der Z strafbar gemacht haben.\n\n\nAnmerkung: Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit

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Eine der Schwierigkeit des Falles liegt darin, bereits an dieser Stelle zu erkennen, dass der Anknüpfungspunkt für die Betrugsstrafbarkeit nicht erst jede einzeln ausgelöste Lastschrift mit dem PoS, sondern bereits der Abschluss des PoS-Nutzungsvertrages unter Vereinbarung des „Clearing-Service“ sein kann, da A von Beginn an plante, das Gerät ausschließlich zu deliktischen Zwecken und damit das Vermögen der Z mindernd einzusetzen.
\nDer Kniff besteht also darin, bei Geschäften, die letztlich tatsächlich vollzogen wurden, auch auf den anfänglichen Vertragsschluss als denkbaren Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit zu kommen.
[1]Kudlich, JA 2024, 163 (165).