{"id":726,"date":"2020-07-20T16:17:24","date_gmt":"2020-07-20T14:17:24","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=726"},"modified":"2022-02-01T21:49:39","modified_gmt":"2022-02-01T20:49:39","slug":"corona-vo-ausgangsbeschrankung","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/corona-vo-ausgangsbeschrankung\/","title":{"rendered":"Corona-VO: Ausgangsbeschränkung"},"content":{"rendered":"

VGH München, Beschluss vom 30.03.2020 – 20 NE 20.632; NJW 2020, 1236\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

Das zuständige Bayerische Staatsministerium für Gesundheit und Pflege (BS) erlässt zur Bekämpfung der pandemischen, gesundheits- und lebensgefährlichen und nicht umfassend erforschten Infektionskrankheit COVID-19 die folgende „Bayerische Verordnung über eine vorläufige Ausgangsbeschränkung anlässlich der Corona-Pandemie“ (Corona-VO). In der Einleitungsformel nimmt es Bezug auf § 32 S. 1 IfSG.\n\n\n\n

Corona-VO\n\n\n\n

§ 1 (1) Jeder wird angehalten, die physischen und sozialen Kontakte zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstands auf ein absolut nötiges Minimum zu reduzieren. Wo immer möglich, ist ein Mindestabstand zwischen zwei Personen von 1,5 m einzuhalten.
…\n\n\n\n

(4) Das Verlassen der eigenen Wohnung ist nur bei Vorliegen triftiger Gründe erlaubt.\n\n\n\n

(5) Triftige Gründe sind insbesondere:
a) die Ausübung beruflicher Tätigkeiten,
b) die Inanspruchnahme medizinischer und veterinärmedizinischer Versorgungsleistungen (zB Arztbesuch, medizinische Behandlungen; Blutspenden sind ausdrücklich erlaubt) sowie der Besuch bei Angehörigen helfender Berufe, soweit dies medizinisch dringend erforderlich ist (zB Psycho- und Physiotherapeuten),
c) Versorgungsgänge für die Gegenstände des täglichen Bedarfs,
d) der Besuch bei Lebenspartnern, Alten, Kranken oder Menschen mit Einschränkungen (außerhalb von Einrichtungen) und die Wahrnehmung des Sorgerechts im jeweiligen privaten Bereich,
e) die Begleitung von unterstützungsbedürftigen Personen und Minderjährigen,
f) die Begleitung Sterbender sowie Beerdigungen im engsten Familienkreis,
g) Sport und Bewegung an der frischen Luft, allerdings ausschließlich alleine oder mit Angehörigen des eigenen Hausstands und ohne jede sonstige Gruppenbildung und
h) Handlungen zur Versorgung von Tieren.\n\n\n\n

(6) Die Polizei ist angehalten, die Einhaltung der Ausgangsbeschränkung zu kontrollieren. Im Falle einer Kontrolle sind die triftigen Gründe durch den Betroffenen glaubhaft zu machen.\n\n\n\n

§ 2 Diese Verordnung tritt mit Wirkung vom 21. März 2020 in Kraft und mit Ablauf des 3. April 2020 außer Kraft.\n\n\n\n

Auszug aus dem Infektionsschutzgesetz des Bundes (IfSG)\n\n\n\n

§ 28 Schutzmaßnahmen
(1) 1Werden Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt oder ergibt sich, dass ein Verstorbener krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider war, so trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.
…\n\n\n\n

§ 32 Erlass von Rechtsverordnungen
1Die Landesregierungen werden ermächtigt, unter den Voraussetzungen, die für Maßnahmen nach den §§ 
28 bis 31 maßgebend sind, auch durch Rechtsverordnungen entsprechende Gebote und Verbote zur Bekämpfung übertragbarer Krankheiten zu erlassen. 2Die Landesregierungen können die Ermächtigung durch Rechtsverordnung auf andere Stellen übertragen. 3Die Grundrechte der Freiheit der Person (Artikel 2 Abs. 2 Satz 2 Grundgesetz), der Freizügigkeit (Artikel 11 Abs. 1 Grundgesetz), der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Grundgesetz), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 Abs. 1 Grundgesetz) und des Brief- und Postgeheimnisses (Artikel 10 Grundgesetz) können insoweit eingeschränkt werden.\n\n\n\n

H, wohnhaft in Bayern, möchte sich das nicht bieten lassen. Sie bittet RAin R am 25.03.2020, schnellstmöglich für die Außervollzugsetzung des § 1 I, IV, V Corona-VO zu sorgen. Zur Abwehr schwerer Nachteile sei das dringend geboten. Die durch die VO beschränkte Freiheit könne nicht nachträglich wiederhergestellt werden. Auch sei mit weiteren Beschränkungen zu rechnen. § 1 I Corona-VO lasse den vollziehbaren Teil der Verordnung nicht erkennen und sei daher unbestimmt.\n\n\n\n

Das BS weist die Bedenken mit dem Hinweis zurück, eine Außervollzugsetzung sei nicht zur Verhinderung von Nachteilen dringend geboten. Die Corona-VO verstoße nicht gegen höherrangiges Recht, stütze sich auf eine hinreichende Ermächtigung und sei ausreichend bestimmt und verhältnismäßig.\n\n\n\n

Wird ein schnelles verwaltungsgerichtliches Vorgehen von R für H Erfolg haben?\n\n\n\n


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Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten\n\n\n\n

In Betracht kommt vorläufiger Rechtsschutz im Normenkontrollverfahren nach § 47 VI VwGO. Ein solches Vorgehen von R für H hat Erfolg, wenn es zulässig und soweit es begründet ist.\n\n\nAnmerkung: Aufbau

\nWenngleich man die Statthaftigkeit des Antrags nicht vorwegnehmen darf, ist eine erste Orientierung bereits erforderlich, um die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges präzise prüfen zu können.
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A. Zulässigkeit\n\n\n\n

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges\n\n\n\n

Auch im Verfahren nach § 47 VI VwGO entscheidet das Gericht „im Rahmen seiner Gerichtsbarkeit“, § 47 I VwGO.[1]Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 11. Aufl. 2019, § 34 Rn. 3.