{"id":7200,"date":"2024-01-16T18:22:08","date_gmt":"2024-01-16T17:22:08","guid":{"rendered":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/?p=7200"},"modified":"2024-01-22T09:16:26","modified_gmt":"2024-01-22T08:16:26","slug":"probefahrt-die-ii-ortungsmoeglichkeit-schuetzt-vor-strafe-nicht","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/probefahrt-die-ii-ortungsmoeglichkeit-schuetzt-vor-strafe-nicht\/","title":{"rendered":"Probefahrt die II. – Ortungsmöglichkeit schützt vor „Strafe“ nicht"},"content":{"rendered":"

OLG Celle, Urteil vom 12.10.2022 – 7 U 974\/21, NJW 2023, 229\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

(abgewandelt und gekürzt)\n\n\n\n

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Die Beklagte (B), die gewerblich mit Kraftfahrzeugen handelt, überließ am 8. September 2020 einen gebrauchten Audi Q5 an einen angeblichen Kaufinteressenten (S) für eine einstündige Probefahrt. In dem Fahrzeug waren zwei Sim-Karten verbaut, die eine Ortung (ausschließlich) durch die Polizei mit Unterstützung der Herstellerin ermöglichen. B behielt die Zulassungsbescheinigung Teil II und einen Zweitschlüssel. S, der falsche Personalien angegeben hatte, kehrte mit dem Fahrzeug von der Probefahrt jedoch nicht zurück. Vielmehr bot S das Auto bei Ebay für 32.550 € an. Der spätere Kläger (K) war an dem Auto interessiert und vereinbarte mit S ein Treffen in einem Wohngebiet in Hannover. K kam aufgrund hohen Verkehrsaufkommens jedoch rund zwei Stunden zu spät zum Treffpunkt. S erklärte K sodann telefonisch, dass er persönlich nicht mehr kommen kann, aber seine Partnerin (P), die ohnehin Eigentümerin des Fahrzeugs sei, vor Ort anzutreffen ist. Am vereinbarten Treffpunkt ließ sich K dann von P einen Personalausweis vorlegen. Dieser war zwar echt, aber wurde der auf dem Ausweis eingetragenen Person entwendet. Der Name auf dem Personalausweis stimmte nicht mit dem Namen aus dem Inserat bei Ebay bzw. dem Namen auf dem Kaufvertrag überein. P sah, mit Ausnahme der Körperstatur (die Person, die auf dem Ausweis zu sehen war, sah etwas pummeliger aus) der Person auf dem Personalausweis ähnlich. Zweifel an der Identität der P hatte K nicht. Bei dem Treffen monierte der K die Ausstattung des Autos gegenüber P, da diese nicht wie inseriert gewesen ist. Nach einem Telefonat mit dem S einigten sich die Parteien dann auf einen finalen Kaufpreis von 31.000 €, welchen K bar bezahlte. P übergab dem K (gut gefälschte) Zulassungspapiere II (die inhaltlich auch zu den Angaben auf dem Personalausweis passten), die auf K echt wirkten, und einen Schlüssel. Zusätzlich wurde K mitgeteilt, dass S ihm den Zweitschlüssel im Nachgang übersenden wird.\n\n\n\n

Indes wandte sich B an die Polizei sowie die Herstellerin, um den Ort des Fahrzeugs anhand der verbauten SIM-Karten ermitteln zu können. Die Polizei konnte das Fahrzeug bei K finden und die Staatsanwaltschaft nahm den Wagen in Verwahrung, da K lediglich die gefälschten Papiere vorlegen konnte.\n\n\n\n

Die Staatsanwaltschaft gab das in Verwahrung genommene Fahrzeug sodann an B, welcher die echten Fahrzeugpapiere vorlegen konnte, heraus. Dieser veräußerte das Auto am 29. Oktober 2020 für 35.000 € weiter an E. E kannte den vorherigen Sachverhalt nicht. Vielmehr hegte er aufgrund der echten vorgelegten Zulassungspapiere keinerlei Zweifel an der Rechtmäßigkeit.\n\n\n\n

In der Folge konnten S und P nicht ausfindig gemacht werden.\n\n\n\n

K fragt sich nun, ob er Ansprüche gegen E und\/oder B hat.\n\n\n\n

Sachverhalt als .pdf\n\n\n\n\n\n
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Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten\n\n\n\n
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A. Ansprüche gegen E\n\n\n\n

K könnten Ansprüche gegen E zustehen.\n\n\n\n

I. Vertragliche und quasivertragliche Ansprüche\n\n\n\n

Zwischen K und E bestehen keinerlei vertragliche oder quasivertragliche Beziehungen. Insofern scheiden solche Ansprüche aus.\n\n\n\n

II. Dingliche Ansprüche\n\n\nVernetztes Lernen: Herausgabeansprüche
\nIn sachenrechtlichen Klausuren, in denen es um die Herausgabe einer Sache geht, sollten (zumindest kurz) folgende Anspruchsgrundlagen angesprochen werden:\n

§ 985 BGB (zumeist der primäre Anknüpfungspunkt), § 861 Abs. 1 BGB, § 1007 Abs. 1 BGB und § 1007 Abs. 2 BGB. Hin und wieder, je nach Sachverhalt, sind auch §§ 812 ff. BGB sowie §§ 823 ff. i.V.m. § 249 BGB anzusprechen.
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1. Anspruch aus § 985 BGB\n\n\n\n

K Könnte gegen E einen Anspruch auf Heraushabe des Autos haben. Dafür müsste eine Vindikationslage gegeben sein. K müsste Eigentümer und E Besitzer ohne Recht zum Besitz sein.\n\n\n\n

a. P als Besitzer\n\n\n\n

P müsste im Besitz des Autos gewesen sein. Hier war P unmittelbare Besitzerin des Autos.\n\n\n\n

b. Eigentümerstellung des K\n\n\n\n

K müsste Eigentümer des Autos sein.\n\n\n\n

aa. Ursprüngliche Eigentümerstellung\n\n\n\n

Ursprünglich war B Eigentümerin, § 1006 Abs. 1 BGB.\n\n\n\n

bb. Erwerb von S\n\n\n\n

Dann könnte S das Eigentum erworben haben, als B dem S die Schlüssel für das Auto zum Zwecke der Probefahrt überreichte, § 929 S. 1 BGB. Es bedarf zumindest der Einigung darüber, dass das Eigentum übergehen soll. Dies ist hier nicht gegeben. B hat S das Auto nur für die Probefahrt überlassen. Das Eigentum ist nicht übergegangen.\n\n\n\n

cc. Übergang auf K\n\n\n\n

K könnte das Eigentum von P erworben haben, § 929 S. 1 BGB. Dafür müssten sich K und P darüber einig gewesen sein, dass das Eigentum übergeht, es müsste eine Übergabe stattgefunden haben, bei welcher beide Parteien noch einig gewesen sein müssen und P müsste zur Eigentumsübertragung berechtigt gewesen sein.\n\n\n\n

(1) Einigung\n\n\n\n

P und K müssten sich einig gewesen sein, dass das Eigentum übergeht. Sowohl K als auch P waren sich darüber einig, dass K Eigentümer des Fahrzeugs werden soll. Eine Einigung ist gegeben.\n\n\n\n

(2) Übergabe\n\n\n\n

P müsste die Sache an K übergeben haben. Eine Übergabe setzt den Gewahrsamswechsel an der betreffenden Sache sowie die Aufgabe jeglicher Einwirkungsmöglichkeit auf die Sache durch den Veräußerer voraus. Hier hat P dem K die Schlüssel und das Auto ausgehändigt. Sie selbst hatte insofern keine Einwirkungsmöglichkeit mehr. Eine Übergabe ist gegeben.\n\n\n\n

(3) Einigsein\n\n\n\n

P und K waren sich im Zeitpunkt der Übergabe auch einig.\n\n\n\n

(4) Berechtigung\n\n\n\n

P müsste auch berechtigt gewesen sein. Berechtigter ist der verfügungsbefugte Eigentümer und der verfügungsbefugte Nichteigentümer. Vorliegend war P weder Eigentümerin (s. oben) noch war sie anderweitig verfügungsbefugt (insb. nicht durch § 185 Abs. 1 BGB durch den wahren Eigentümer). P hatte keine Berechtigung inne.\n\n\n\n

(5) Gutgläubiger Erwerb, § 932 Abs. 1 BGB\n\n\n\n

K könnte das Eigentum jedoch gutgläubig erworben haben, § 932 Abs. 1 BGB.\n\n\n\n

(a) Rechtsgeschäft im Sinne eines Verkehrsgeschäfts\n\n\n\n

Es müsste ein Rechtsgeschäft im Sinne eines Verkehrsgeschäfts gegeben sein. Ein Rechtsgeschäft liegt unproblematisch vor. „Verkehrsgeschäft“ bedeutet, dass auf Veräußerer- und Erwerberseite unterschiedliche Personen beteiligt sein müssen. Dies ist hier ebenfalls der Fall.\n\n\n\n

(b) Rechtscheintatbestand\n\n\n\n

Weiterhin muss ein Rechtsscheintatbestand in Gestalt des Besitzes auf Veräußererseite, vgl. § 1006 Abs. 1 BGB, gegeben sein. Dies ist hier der Fall.\n\n\n\n

(c) Guter Glaube, § 932 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 BGB\n\n\n\n

K müsste gutgläubig iSd. § 932 Abs. 1 S. 1 BGB gewesen sein. Der Erwerber ist gem. § 932 Abs. 2 BGB nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört.\n\n\n\n

K war nicht bekannt, dass das Auto nicht im Eigentum der P stand. Fraglich ist jedoch, ob K dieser Umstand grob fahrlässig unbekannt geblieben ist.[1]zu den Anforderungen an den guten Glauben beim Kraftfahrzeughandel BeckOK BGB\/Kindl, 68. Ed. 1.11.2023, BGB § 932 Rn. 17