{"id":6996,"date":"2024-01-10T08:46:27","date_gmt":"2024-01-10T07:46:27","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=6996"},"modified":"2024-01-15T17:48:50","modified_gmt":"2024-01-15T16:48:50","slug":"inlandsgeheimdienst","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/inlandsgeheimdienst\/","title":{"rendered":"Inlandsgeheimdienst"},"content":{"rendered":"

BVerfG, Urteil vom 14.12.2022 (2 BvE 8\/21), NVwZ 2023, 239\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n
\n
\n

Bei Durchsicht der Verfassungsschutzberichte des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) fällt dem Abgeordneten im Bundestag A auf, dass in den Berichten zunehmend internationale Bedrohungen thematisiert werden. A ist besorgt. Seiner Meinung nach bestünde hier ein Zuständigkeitskonflikt zwischen dem BfV, der gemeinhin als „Inlandsgeheimdienst“ betitelt wird, und dem Bundesnachrichtendienst (BND), als „Auslandsgeheimdienst“. Darin sieht er eine Gefahr, da in der Vergangenheit, z.B. beim NSU, Unklarheiten über die Zuständigkeit zu Problemen geführt haben. Außerdem würde dies eine strategische Umorientierung des Verfassungsschutzes auf das Ausland darstellen, was nicht parlamentarisch legitimiert sei. Deswegen wendet sich A mit einer Einzelfrage an die Bundesregierung. Diese lautet:\n\n\n\n

„Wie viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundesamts für Verfassungsschutz sind in den letzten fünf Jahren für eine nachrichtendienstliche Tätigkeit in das Ausland entsandt worden (bitte aufschlüsseln nach Jahr) und wie bewertet die Bundesregierung die Entsendung dieser Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Blick auf die Aufgabenverteilung zwischen dem Bundesamt für Verfassungsschutz und dem Bundesnachrichtendienst?“\n\n\n\n

Die Bundesregierung lehnt die Beantwortung der Frage aus Geheimhaltungsgründen ab. Ihrer Ansicht nach würden durch die Beantwortung der Frage Informationen preisgegeben, die in besonderem Maße das Staatswohl berühren. Mit Blick auf die künftige Aufgabenerfüllung und Einsatzerfolge sind die operativen Arbeitsmethoden und Vorgehensweisen der Sicherheitsbehörden besonders schutzwürdig: Eine (zur Veröffentlichung bestimmte) Antwort würde spezifische Informationen zur Tätigkeit, insbesondere zu Methodik und konkreten Fähigkeiten der Sicherheitsbehörden, einem nicht eingrenzbaren Personenkreis im Inland sowie im Ausland zugänglich machen. Insbesondere durch die Auskunft über die „Größenordnung des eingesetzten Personals“ könnten Rückschlüsse auf die Arbeitsweise des BfV gezogen werden. Da andere Nachrichtendienste Informationen sammeln, um diese wie ein „Mosaik“ zusammenzusetzen, könnte die begehrte Auskunft ein entscheidendes Teilstück sein, um sicherheitsrelevante Rückschlüsse auf die Tätigkeit des BfV im Ausland zu ziehen. Dies würde einen Nachteil für die Interessen der Bundesrepublik bedeuten. Daher müsse hier eine „Bereichsausnahme“ für das Fragerecht erfolgen – eine ausreichende Kontrolle erfolge bereits über die vertraulichen Kontrollgremien im Bundestag (PKGrG).\n\n\n\n

A gibt sich mit dieser Antwort nicht zufrieden. Es sei sein gutes Recht als Abgeordneter über die Tätigkeiten der Bundesregierung und der ihr unterstehenden Behörden informiert zu werden; dies sei Teil seiner Kontrollfunktion als Abgeordneter. Er rügt daher die Bundesregierung erfolglos. Nach Erhalt dieser erneuten Verweigerung möchte A die B vor dem BVerfG zur Antwort verpflichten. In der Zwischenzeit ist die ursprüngliche Legislaturperiode beendet und eine neue Regierung im Amt; A ist weiterhin Abgeordneter. \n\n\n\n

\n\n\n\n

Hätte das Vorhaben des A Erfolg?\n\n\n\n

\n\n\n\n

\n\n\n\n

Sachverhalt als PDF\n\n\n\n\n\n
\n\n\n\n

Skizze\n\n\n\n\n\n
\n\n\n\n

Gutachten \n\n\n\n
\n
\n

Das Vorhaben des A hat Erfolg, wenn sein Antrag zulässig und soweit er begründet ist.\n\n\n\n

A. Zulässigkeit \n\n\n\n

Die Zulässigkeitsvoraussetzungen des Organstreitverfahrens müssten erfüllt sein, Art. 93 I Nr. 1 GG, § 13 Nr. 5 BVerfGG, §§ 63 ff. BVerfGG.\n\n\n\n

I. Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts\n\n\n\n

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet gem. Art. 93 I Nr. 1 GG über die Auslegung des Grundgesetzes aus Anlass von Streitigkeiten über den Umfang der Rechte und Pflichten eines obersten Bundesorgans oder anderer Beteiligter, die durch das Grundgesetz oder in der Geschäftsordnung eines obersten Bundesorgans mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Vorliegend streiten ein Bundestagsabgeordneter und die Bundesregierung über die Beantwortungspflicht der letzteren, sodass das BVerfG zuständig ist.\n\n\n\n

II. Beteiligtenfähigkeit\n\n\n\n

Sowohl der Antragsteller A als auch die B als Antragsgegnerin müssten beteiligtenfähig sein. Dies wird durch § 63 BVerfGG konkretisiert. Die Bundesregierung ist explizit in § 63 BVerfGG genannt und damit auch beteiligtenfähig. \n\n\n\n

Fraglich ist, inwieweit A beteiligtenfähig ist. Nach § 63 BVerfGG können auch Organteile beteiligtenfähig sein, sofern sie im Grundgesetz oder in den Geschäftsordnungen mit eigenen Rechten ausgestattet sind. Als Organteile werden ständig unterhaltene Gliederungen, die die Arbeit des Organs ermöglichen oder erleichtern, verstanden.[1]BVerfG, BeckRS 1953, 107287.