{"id":6971,"date":"2023-12-13T08:00:00","date_gmt":"2023-12-13T07:00:00","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=6971"},"modified":"2024-01-17T20:12:29","modified_gmt":"2024-01-17T19:12:29","slug":"diebstahl-auf-bestellung-verkehrssicherungspflicht-bei-autoschluesseln","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/diebstahl-auf-bestellung-verkehrssicherungspflicht-bei-autoschluesseln\/","title":{"rendered":"Diebstahl auf Bestellung – Verkehrssicherungspflicht bei Autoschlüsseln"},"content":{"rendered":"
 BGH Urteil vom 28.03.2023 – VI ZR 19\/22, NJW 2023, 2037\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

(abgewandelt und gekürzt)\n\n\n\n

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Die A ist gewerbliche Autohändlerin für Neuwagen. Im Jahr 2015 erwarb A von ihrer Vertragshändlerin, der D-GmbH, vier Kraftfahrzeuge unterschiedlicher Marken. Die Fahrzeuge wurden daraufhin zum Firmengelände der A verbracht und dort öffentlich zum Verkauf ausgestellt. Direkt nach dem Erhalt versicherte die A alle vier Fahrzeuge bei dem Kaskoversicherer V-AG unter anderem gegen Diebstahl.\n\n\n\n

In der Folgezeit wurden alle vier Fahrzeuge vom ordnungsgemäß gesicherten Gelände der A durch unbekannte Diebe gestohlen. Die Diebe setzten echte Ersatzschlüssel ein, die von einem angestellten Mitarbeiter der D-GmbH zuvor im Rahmen seiner üblichen Tätigkeit bei den jeweiligen Herstellern bestellt und dann durch die D-GmbH an ein Unternehmen in Litauen versendet worden sind, welches die Schlüssel vorher angefordert hatte. Die Diebe erlangten diese Schlüssel im Anschluss von den Mitarbeitern des litauischen Unternehmens. Das litauische Unternehmen ist ein sogenannter „nicht organisationsgebundener rabattbegünstigter Abnehmer von Originalteilen“, mit dem die D-GmbH eine längere Vertragsbeziehung hat. Um einen solchen Status zu erreichen, muss ein Unternehmen einen Werkstattbetrieb nachweisen, der nicht Servicepartner des Konzerns sein darf, also entweder eine markenungebundene Werkstatt oder eine Markenwerkstatt eines anderen Herstellers.\n\n\n\n

Für die Schlüsselbestellungen wurden dem Mitarbeiter der D-GmbH von dem litauischen Unternehmen die Fahrzeugidentifikationsnummer des jeweiligen Fahrzeugs mitgeteilt. Eine weitere Prüfung der Berechtigung der Bestellung erfolgte nicht. Insbesondere wurde nicht geprüft, ob der Besteller (das litauische Unternehmen) auch im Besitz des jeweiligen Fahrzeugs ist. Auch eine Überprüfung der Legitimation zur Schlüsselbestellung durch Vorlage von Ausweispapieren oder Zulassungsbescheinigungen erfolgte durch die D-GmbH nicht.\n\n\n\n

Die gestohlenen Fahrzeuge wurden in eine Halle verbracht, wo im Zuge polizeilicher Durchsuchungen Fahrzeugteile wie auch Belege über die Schlüsselbestellungen sowie nachbestellte Schlüssel selbst vorgefunden wurden.\n\n\n\n

Die A meldete sämtliche Diebstähle bei der V-AG als Kaskoversicherung, welche daraufhin den Einkaufspreis in Höhe von 150.000,00 EUR ersetzte.\n\n\n\n

Die V-AG möchte nunmehr diese 150.000,00 EUR von der D-GmbH ersetzt bekommen. Zu Recht?\n\n\n\n

Hinweise:\n\n\n\n

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  1. Die Fahrzeugidentifikationsnummer (FIN) ist zum einen in der Zulassungsbescheinigung, zum anderen aber auch am Fahrzeug (bspw. Motorraum, Türrahmen etc.) wiederzufinden. \n\n\n\n
  2. Fahrzeughersteller empfehlen bei fehlenden oder defekten Fahrzeugschlüsseln die Beschaffung eines Ersatzschlüssels nach besonderer Verfahrensweise und Dokumentation. Insbesondere soll ein Fahrzeugbesitznachweis in Verbindung mit einer Legitimation erbracht und bei Verlust\/Diebstahl des Altschlüssels die Polizei und\/oder die Versicherung informiert werden.\n\n\n\n\n
    Sachverhalt und Skizze als .pdf\n\n\n\n\n\n
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    Skizze\n\n\n\n\n\n
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    Gutachten\n\n\n\n
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    A.   Anspruch auf Schadensersatz i.H.v. 150.000,00 EUR gegen die D-GmbH aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 86 VVG\n\n\n\n

    Die V-AG könnte zunächst einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 150.000,00 EUR aus übergegangenem Recht gegen die D-GmbH gemäß § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 86 VVG haben.\n\n\n\n

    I.   Anspruch der A aus § 823 Abs. 1 BGB\n\n\n\n

    Für einen Anspruch aus übergegangenem Recht müsste zunächst ein Anspruch der A gegen die D-GmbH (nachfolgend: D) auf Schadensersatz in Höhe von 150.000,00 EUR bestanden haben. Ein solcher könnte sich aus § 823 Abs. 1 BGB ergeben.\n\n\n\n

    1. Rechtsgutsverletzung\n\n\n\n

    Eine Rechtsgutsverletzung in Form einer Eigentumsverletzung ist gegeben, da die Fahrzeuge vom Gelände der A entwendet worden sind.\n\n\n\n

    2. Verletzungshandlung der D\n\n\n\n

    Weiterhin müsste eine Verletzungshandlung bzw. ein Unterlassen der D gegeben sein. In Betracht kommt vorliegend die Versendung der Ersatzschlüssel an das litauische Unternehmen – ohne die Berechtigung des Unternehmens zur Anforderung der Schlüssel zu überprüfen. Durch das Unterlassen der Legitimationsprüfung könnte die D eine ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt haben.\n\n\n\n

    a)   Bestehen einer Verkehrssicherungspflicht der D\n\n\n\n

    Zunächst müsste auf Seiten der D eine Verkehrssicherungspflicht gegenüber der A bestanden haben.\n\n\n\n

    Hinsichtlich der Pflicht zur Verkehrssicherung gilt, dass der, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet ist, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Zu berücksichtigen ist dabei, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, besteht nicht. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr daher erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Deshalb muss nicht für alle denkbaren Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden. Es sind vielmehr die Vorkehrungen zu treffen, die geeignet sind, eine Schädigung anderer tunlichst abzuwenden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren und die den Umständen nach zuzumuten ist.[1]BGH, Urteil vom 28.03.2023 – VI ZR 19\/22; NJW 2023, 2037 Rn. 13 m.w.N.