{"id":6891,"date":"2023-11-07T14:00:26","date_gmt":"2023-11-07T13:00:26","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=6891"},"modified":"2024-01-22T08:56:47","modified_gmt":"2024-01-22T07:56:47","slug":"widerruf-bei-haustuergeschaeften","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/widerruf-bei-haustuergeschaeften\/","title":{"rendered":"Widerruf: Gleichzeitige Anwesenheit bei Haustürgeschäften?"},"content":{"rendered":"

BGH Urteil vom 6.7.2023 – VII ZR 151\/22, NJW 2023, 3082\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n
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A ist Eigentümer eines Hauses. Im Sommer 2018 entdeckt er, dass seine Dachrinnen erneuert und im Eingangsbereich einige Abdichtungen vorgenommen werden müssen. Kurzerhand entschließt er sich, die B zu kontaktieren. B führt einen Dachdeckerbetrieb. A beschließt, die B zu beauftragen, die Arbeiten vorzunehmen. Am 22.08. beginnt B mit den Arbeiten und baut ein Gerüst auf. Dabei entdeckt sie, dass ein Wandanschluss des Daches defekt ist und teilt es dem A vor Ort mit und beziffert zugleich die ungefähre Größenordnung der für diese Arbeiten anfallenden Vergütung sowie die voraussichtliche Dauer der Arbeiten. Die Möglichkeit eines etwaigen Widerrufsrechts erwähnt die B nicht. A will aber noch eine Nacht darüber schlafen. Dabei überlegt er, dass er sich besser eilig entschließen sollte. Schließlich ist bereits ein Gerüst aufgebaut, welches bei erneutem Aufbauen weitere Kosten verursachen könnte. Als die B ihre Arbeiten am Folgetag – dem 23.08. – fortsetzt, geht der A zu ihr und nimmt ihr Angebot über die weiteren Arbeiten an. Die B erbringt diese in der Folgezeit mangelfrei. Für die zusätzlichen Arbeiten stellt die B dem A 1.164,38 EUR brutto in Rechnung, die dieser auch bezahlt.\n\n\n\n

Am 06.09.2019 liest der A einen Flyer mit der Überschrift „Der Handwerker-Widerruf – Schützen Sie sich vor unseriösen Handwerkern“. Überzeugt davon, dass auch ihm ein Widerrufsrecht zustehe, formuliert er kurzerhand am selben Tag einen Brief, in dem er den Vertrag mit der B widerruft und wirft diesen um 19:35 Uhr in den Briefkasten der B.\n\n\n\n

Die B ist empört. Sie meint, dem A würde schon kein Widerrufsrecht zustehen. Im Zweifel habe er dieses aber auch zu spät ausgeübt.\n\n\n\n

Kann der A von B die Rückzahlung der 1.164,38 EUR verlangen?\n\n\n\n

Sachverhalt als .pdf\n\n\n\n\n\n
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Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten\n\n\n\n
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A. Anspruch aus §§ 355 Abs. 1, 3 S. 1, 357 Abs. 1, 312g Abs. 1 BGB i.V.m. § 312b Abs. 1 BGB\n\n\n\n

A könnte gegen die B einen Anspruch auf Rückgewähr der gezahlten 1.164,38 EUR aus §§ 355 Abs. 1, 3 S. 1, 357 Abs. 1, 312g Abs. 1 BGB i.V.m. § 312b Abs. 1 BGB haben. Dies setzt das Bestehen eines Widerrufsrechts i.S.d. § 355 BGB sowie eine Widerrufserklärung innerhalb der Widerrufsfrist voraus.\n\n\n\n

I. Widerrufserklärung\n\n\n\n

In dem Schreiben des A, welches er in den Briefkasten der B legte, liegt zweifelsfrei eine Widerrufserklärung.\n\n\nAnmerkung: Prüfungsaufbau

\nEigentlich wäre es sinnvoll, zunächst das Bestehen eines Widerrufsrechts zu prüfen. Gleichwohl würde man sich in diesem Fall die Probleme bei der Widerrufsfrist abschneiden. Daher bietet es sich in vorliegender Konstellation an, zunächst die Widerrufsfrist zu prüfen.
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II. Wahrung der Widerrufsfrist, § 355 Abs. 2 BGB\n\n\n\n
1. Ablauf der Widerrufsfrist\n\n\n\n

Diese Widerrufserklärung müsste jedoch auch fristgerecht ergangen sein. Gem. § 355 Abs. 2 S. 1 BGB beträgt die Widerrufsfrist 14 Tage. Der Fristlauf beginnt mit Vertragsschluss, § 355 Abs. 2 S. 2 BGB. Nicht jedoch, bevor der Unternehmer den Verbraucher entsprechend den Anforderungen des Artikels 246a § 1 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 oder des Art. 246b § 2 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuche unterrichtet hat, § 355 Abs. 3 S. 1 BGB. Unabhängig der Frage, ob ein Widerrufsrecht des A tatsächlich besteht, wäre er über ein solches nicht belehrt worden. Der Lauf der Frist hätte damit noch nicht begonnen.\n\n\n\n

2. Erlöschen des Widerrufsrechts \/ „lange Widerrufsfrist“\n\n\n\n

Möglich erscheint aber, dass ein etwaiges Widerrufsrecht bereits erloschen ist. Gem. § 356 Abs. 3 S. 2 BGB erlischt das Widerrufsrecht unabhängig vom Beginn der Widerrufsfrist spätestens zwölf Monate und 14 Tage nach dem Vertragsschluss. Maßgebend für den Vertragsschluss ist der Zugang der Annahmeerklärung.[1]BeckOK BGB\/Müller-Christmann, 67. Ed. 1.5.2023, BGB § 355 Rn. 29