{"id":6876,"date":"2023-10-31T12:48:42","date_gmt":"2023-10-31T11:48:42","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=6876"},"modified":"2024-01-18T10:22:11","modified_gmt":"2024-01-18T09:22:11","slug":"banner-drop-aufspannen-eines-banners-uber-der-strasse-im-rahmen-einer-demonstration","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/banner-drop-aufspannen-eines-banners-uber-der-strasse-im-rahmen-einer-demonstration\/","title":{"rendered":"Banner Drop – Aufspannen eines Banners über der Straße im Rahmen einer Demonstration"},"content":{"rendered":"
OVG Lüneburg, Urteil vom 02.12.2021 – AZ: 11 LC 84\/20, BVerwG, Beschluss vom 10.03.2022 – 6 B 5.22 und OVG Lüneburg, Urteil vom 3. Dezember 2021 – 11 LB 231\/20.\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

(abgewandelt und gekürzt)\n\n\n\n

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Am 25.04.2022 wird in der niedersächsischen Stadt L eine sich fortbewegende Versammlung für den 01.07.2022 zwischen 18-20 Uhr angemeldet unter dem Motto „G 20 Warm Up – Die Verhältnisse zum Tanzen bringen“. Die Veranstalter V und R wollen die Demo anmelden, um gegen die schädliche Wirtschaftspolitik der G20-Staaten zu demonstrieren. Das Kooperationsgespräch wird zwischen denjenigen, die die Versammlung anmelden, sowie Vertreter:innen der Stadt und Vertreter:innen der Polizei geführt. Dort wird vereinbart, dass die Demonstration eine Auftaktkundgebung, eine Zwischenkundgebung und eine Abschlusskundgebung haben soll. Von der Zwischenkundgebung soll die Demonstration über die B-Straße zur Abschlusskundgebung laufen. Als Materialien für die Demo geben die Anmelder einen Lautsprecherwagen, Megaphone und Transparente an.\n\n\n\n

A und B haben auch von der Demo gehört und wollen ihre eigene Protestform beisteuern. Sie haben bereits in der Vergangenheit durch spektakuläre Kletteraktionen auf verschiedenen Demonstrationen auf – aus ihrer Sicht – bestehende Missstände aufmerksam gemacht. Für diese Demonstration haben sie sich überlegt, dass sie einen sog. „Banner Drop“ machen wollen. Dazu wollen sie auf zwei an der B-Straße sich gegenüberstehende Bäume klettern und ein Transparent aufspannen auf dem steht „Dem Kapitalismus auf der Nase herum tanzen“. Dazu müssen beide Kletternden von den Bäumen eine Kordel herablassen, die dann von einer dritten Person auf der zwischen den Bäumen liegenden Straße miteinander verknotet werden. Auf dem so entstehenden Seil kann dann das Transparent aufgehängt werden. Dabei wollen A und B sicherstellen, dass die Einschränkungen für die Passant:innen und den Verkehr so gering wie möglich sind. Deshalb haben sie die B-Straße ausgewählt, auf der zu dieser Tageszeit nur noch wenig Verkehr ist. Außerdem wollen sie das Transparent so hoch aufhängen, dass LKW gut darunter durchfahren können. Wie hoch die Schnur dafür hängen muss, wissen sie allerdings nicht ganz genau. Das sei aber kein Problem, weil sie eventuell durchfahrenden LKW und Bussen signalisieren könnten, ob die Höhe passt. Sonst könnten sie das Transparent höher aufhängen. Außerdem werde ja auch bald die Polizei eintreffen, wenn der Demonstrationszug in der B-Straße ankommt. Die könnte eventuell entstehende Behinderungen auflösen.\n\n\n\n

A und B sind der Versammlung vorausgefahren und haben sich gerade daran gemacht, auf die beiden ausgewählten Bäume zu klettern, als die Polizei sie bemerkt. Die zuständigen Polizist:innen fordern A und B formell rechtmäßig auf, das Klettern zu unterlassen. Es sei verboten, auf Bäume zu klettern, auch im Rahmen einer Demonstration. Außerdem bestehe durch die „Banner Drop“-Aktion, die die Polizist:innen durch Gespräche mit den beiden verstanden haben, die Gefahr, dass der Verkehr behindert werde. A ist jedoch schon zu einem Punkt ungefähr in 3 Metern Höhe geklettert und weigert sich, herunterzukommen. B war noch unten auf der Straße, unterlässt es dann aber zu klettern.\n\n\n\n

A und B sind empört, schließlich seien sie Teil der angemeldeten Versammlung und es könne nicht sein, dass ihre Protestform unterdrückt werde. A, der bis zum Ende der großen Demonstration auf dem Baum ausharrte, will gegen die polizeiliche Anordnung vorgehen. Er sei in seiner Demonstrationsfreiheit verletzt, wenn seine Kletterpartnerin daran gehindert werde, auf den anderen Baum zu klettern und sie dadurch den „Banner Drop“ nicht durchführen könnten. Außerdem seien sie überhaupt nicht die richtigen Adressat:innen der Anordnung, schließlich müssten die Demonstration betreffende Anordnungen gegenüber den Versammlungsleitern ausgesprochen werden. Sie seien nur Teil der Versammlung.\n\n\n\n

Die Polizeidirektion in L meint, A und B seien die richtigen Adressat:innen, denn es handele sich um eine eigene Versammlung, schließlich hätten die Versammlungsanmelder zu keinem Zeitpunkt etwas von einer Kletteraktion berichtet. Sollten A und B gerichtlich vorgehen wollen, sei bereits fraglich, ob ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse gegeben sei, denn eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht. Auch ein Rehabilitationsinteresse sei nicht zu erkennen.\n\n\n\n

A will die Fragen gerichtlich klären und wendet sich zwei Monate nach der Demo an das örtlich zuständige Verwaltungsgericht.\n\n\n\n

Hat das Vorgehen von A Aussicht auf Erfolg? \n\n\n\n

Auf folgende Vorschriften wird hingewiesen:\n\n\n\n

§ 8 NVersG – Beschränkung, Verbot, Auflösung\n\n\n\n

(1) Die zuständige Behörde kann eine Versammlung unter freiem Himmel beschränken, um eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren.\n\n\n\n

(2) 1Die zuständige Behörde kann eine Versammlung verbieten oder auflösen, wenn ihre Durchführung die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet und die Gefahr nicht anders abgewehrt werden kann. 2Eine verbotene Versammlung ist aufzulösen. 3Nach der Auflösung haben sich die teilnehmenden Personen unverzüglich zu entfernen.\n\n\n\n

(3) Geht die Gefahr nicht von der Versammlung aus, so sind die in den Absätzen 1 und 2 genannten Maßnahmen nur zulässig, wenn\n\n\n\n

    1.    Maßnahmen gegen die die Gefahr verursachenden Personen nicht oder nicht rechtzeitig möglich sind oder keinen Erfolg versprechen und\n\n\n\n

    2.    die zuständige Behörde die Gefahr nicht oder nicht rechtzeitig selbst oder mit durch Amts- und Vollzugshilfe ergänzten Mitteln und Kräften abwehren kann.\n\n\nAnmerkung: Prüfung in anderen Bundesländern

\n§ 8 NVersG entspricht (weitestgehend wortgleich): Art. 15 I BayVersG, § 14 VersFG BE, § 14 HVersFG, §13 VersG NRW, § 15 SächsVersG, § 13 VersammlG LSA, § 13 VersFG SH.\n

In Baden-Württemberg, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland und Thüringen gilt das Bundesversammlungsgesetz (VersG) fort (Art. 125a I 1 GG). § 15 VersG enthält eine ebenso fast wortgleiche Norm zu § 8 NVersG.\n\n\n\n\n

§ 4 Verordnung über die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (SOV) der Stadt L\n\n\n\n

(1) Auf Straßen ist es verboten,\n\n\n\n

a) zu liegen oder zu übernachten,\n\n\n\n

b) auf Abgrenzungsmauern, Bänken und Stühlen, soweit sie auf öffentlichen Straßen stehen, zu liegen oder zu übernachten,\n\n\n\n

c) Straßenlaternen, Lichtmasten, Feuermelder, Notrufanlagen, Denkmäler, Brunnen und Bäume zu erklettern.\n\n\n\n

(…)\n\n\n\n

§ 13 SOV\n\n\n\n

(1) Ausnahmen von den vorstehenden Bestimmungen können im Einzelfall zugelassen werden, wenn sie im Rahmen der öffentlichen Sicherheit erforderlich oder zulässig sind.\n\n\n\n

(2) Ausnahmen bedürfen der schriftlichen Erlaubnis. Sie können befristet, mit Bedingungen und Auflagen verbunden und unter dem Vorbehalt jederzeitigen Widerrufs erteilt werden.\n\n\n\n

(3) Ausnahmegenehmigungen sind mitzuführen und berechtigten Personen auf Verlangen zur Kontrolle auszuhändigen.\n\n\n\n

§ 14 SOV\n\n\n\n

Ordnungswidrig gemäß § 59 Abs. 1 NPOG handelt, wer vorsätzlich oder fahrlässig gegen eine Vorschrift über\n\n\n\n

1. die Überquerung von Wegen gemäß § 3,\n\n\n\n

2. den Schutz öffentlicher Einrichtungen gemäß § 4,\n\n\n\n

3. Verkehrsgefährdungen gemäß § 5,\n\n\n\n

4. Hausnummern gemäß § 6,\n\n\n\n

(…)\n\n\n\n

dieser Verordnung zuwiderhandelt. Die Ordnungswidrigkeit kann gemäß § 59 Abs. 2 NPOG mit einer Geldbuße bis zu 5.000 Euro geahndet werden.\n\n\n\n

Sachverhalt als .pdf\n\n\n\n\n\n
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Sachverhalt als PDF\n\n\n

Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten\n\n\n\n
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Die Klage von A hat Aussicht auf Erfolg, wenn diese zulässig und soweit sie begründet ist.\n\n\n\n

A. Zulässigkeit\n\n\n\n

Zunächst müsste die Klage zulässig sein.\n\n\n\n

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges\n\n\n\n

Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges richtet sich mangels aufdrängender Sonderzuweisung nach § 40 I 1 VwGO. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist dabei nach der modifizierten Subjektstheorie eine solche, bei der die streitentscheidenden Normen einseitig einen Träger öffentlicher Gewalt berechtigen oder verpflichten. Streitentscheidend ist hier § 8 NVersG, der die zuständige Behörde als Träger öffentlicher Gewalt einseitig berechtigt. Da die Streitigkeit auch nichtverfassungsrechtlicher Art ist und eine abdrängende Sonderzuweisung nicht ersichtlich ist, ist der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.\n\n\n\n

II. Statthafte Klageart (P)\n\n\n\n

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem Begehren des Klägers, § 88 VwGO. A wendet sich hier gegen die Anordnungen der Polizist:innen, den Baum nicht zu beklettern. Dies stellt einen Verwaltungsakt dar, sodass eine Anfechtungsklage in Betracht käme. Der Verwaltungsakt hat sich jedoch durch Zeitablauf erledigt. Statthaft könnte damit eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 I 4 VwGO analog sein. Die analoge Anwendung kommt in Betracht, weil § 113 I 4 VwGO direkt nur die Erledigung nach Klageerhebung, aber vor Aufhebungserklärung durch das Verwaltungsgericht, erfasst.\n\n\n\n

Die für die Analogie erforderliche Regelungslücke könnte aufgrund der Möglichkeit einer allgemeinen Feststellungsklage gem. § 43 I VwGO abzulehnen sein.[1]BVerwG NVwZ 2000, 63,  64.