{"id":6694,"date":"2023-09-20T09:00:00","date_gmt":"2023-09-20T07:00:00","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=6694"},"modified":"2024-01-23T10:31:24","modified_gmt":"2024-01-23T09:31:24","slug":"polizei-und-neue-rechte","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/polizei-und-neue-rechte\/","title":{"rendered":"Polizei und Neue Rechte"},"content":{"rendered":"

OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 27.07.2023 – OVG 4 S 11.23\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

(gekürzt und abgewandelt)\n\n\n\n

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Seit seiner Kindheit träumte Polizeianwärter P davon Polizist bei der Kriminalpolizei zu werden. Im Oktober 2020 wurde dieser Kindheitstraum wahr, und er wurde in ein Beamtenverhältnis auf Widerruf zur Vorbereitung auf den gehobenen Dienst in der Kriminalpolizei Berlin berufen. Privat führte P eine inzwischen gelöschte Instagram-Seite, in deren Profil er auf „German“, „Heimat“, „Treue um Treue“ und ein Bibelzitat verwies. Mit diesem Profil folgte er den Instagram-Seiten „patriotische_boomer_partei“, „bananenrepublik.de“ sowie einem, wegen seiner rechten Einstellung vom Staatsschutz beobachteten und verurteilten, Influencer. Auf all diesen Seiten likte er mehrfach Beiträge.\n\n\n\n

Am 13. April 2022 sprachen Beamte des Staatsschutzes P daraufhin in der Polizeihochschule zur Durchführung einer Gefährderansprache an – eine Maßnahme zur Verhütung von Straftaten, bei der ein potenzieller Gefahrenverursacher ermahnt wird, Störungen der öffentlichen Sicherheit zu unterlassen. P äußerte, dass es sich bei den gelikten Posts um Satire gehandelt habe und er sich somit über verfassungsfeindliche Einstellungen habe lustig machen wollen. Er selber sei verfassungstreu, verstehe aber, dass das Liken der relevanten Posts einen missverständlichen Eindruck erwecken könne. Den Beamten zufolge sei seine Ausdrucksweise sowie sein überdurchschnittlich ausgeprägtes Wissen über beispielsweise nordische Mythologien oder den „Heimatbegriff“ besonders auffällig gewesen. Insgesamt habe er einen informierten und kontrollierten Eindruck ohne jugendlichen Leichtsinn oder Naivität vermittelt.\n\n\n\n

Kurz darauf wurde P, nach einer Anhörung, aus dem Beamtenverhältnis auf Widerruf entlassen, weil berechtigte Zweifel daran bestünden, dass er die erforderliche charakterliche Eignung für einen Beamten bei der Kriminalpolizei besitze. Der zuständige Dienstherr begründete die Entscheidung damit, dass P einer Reihe von Instagram-Seiten der Neuen Rechten folge und seine Zustimmung zu einzelnen Beiträgen mehrfach durch Likes ausgedrückt habe. Dabei verwiesen sie unter anderem auf das Liken verschiedener offen antisemitischer und muslimfeindlicher Beiträge, die unter anderem die Coronapolitik mit dem Nationalsozialismus gleichsetzten. \n\n\n\n

Mit gesonderter Begründung und nach Anhörung wurde ferner die sofortige Vollziehbarkeit der Entlassung schriftlich angeordnet. Es bestünde ein öffentliches und fiskalisches Interesse daran, dass P nicht weiter unter Fortzahlung der Bezüge im Beamtenverhältnis auf Widerruf verbleibt.\n\n\n\n

P machte geltend, dass sein Instagram-Konto nicht zu beanstanden sei. Man könne nicht einzelne Aspekte herausgreifen, ohne den Gesamtkontext zu betrachten. Bei den von ihm gelikten Posts handle es sich, wie bereits erwähnt, um Satire. Schon von Hause aus sei er insbesondere mit der Geschichte des Holocausts vertraut gemacht worden. Sein Vater, über den er auf den Leitspruch „Treue um Treue“ aufmerksam geworden sei, sei bis 2004 Bundeswehrsoldat gewesen. Seine Eltern seien im öffentlichen Dienst tätig. Er stehe absolut auf dem Boden des Grundgesetzes und sei sich seiner Treuepflicht als Beamter bewusst. Abgesehen davon greife auch die Meinungsfreiheit. Außerdem müsse auch sein einwandfreies Verhalten im Dienst berücksichtigt werden. P erhebt Widerspruch. Nun möchte er auch gerichtlich die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung erreichen.\n\n\n\n

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Hat der Antrag vor dem Verwaltungsgericht Erfolg?\n\n\n\n

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§ 7 Polizei-Laufbahnverordnung (Pol-LVO)\n\n\n\n

[…] (3) Wer sich während des Vorbereitungsdienstes auf Grund der dienstlichen Leistungen, der Fähigkeiten oder der Persönlichkeit als nicht geeignet erweist […], ist aus dem Vorbereitungsdienst und dem Beamtenverhältnis auf Widerruf zu entlassen\n\n\n\n

§ 33 BeamtStG\n\n\n\n

(1) Beamtinnen und Beamte dienen dem ganzen Volk, nicht einer Partei. Sie haben ihre Aufgaben unparteiisch und gerecht zu erfüllen und ihr Amt zum Wohl der Allgemeinheit zu führen. Beamtinnen und Beamte müssen sich durch ihr gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten.\n\n\n\n

(2) Beamtinnen und Beamte haben bei politischer Betätigung diejenige Mäßigung und Zurückhaltung zu wahren, die sich aus ihrer Stellung gegenüber der Allgemeinheit und aus der Rücksicht auf die Pflichten ihres Amtes ergibt.\n\n\n\n

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Sachverhalt als .pdf\n\n\n\n\n\n
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Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten \n\n\n\n
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Der Antrag des P hat Erfolg, wenn er zulässig und soweit er begründet ist.\n\n\n\n

A. Zulässigkeit des Antrags\n\n\n\n

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs\n\n\n\n

Der Verwaltungsweg müsste eröffnet sein. Vorliegend greift eine aufdrängende Sonderzuweisung aus § 54 BeamtStG, da P Beamter auf Widerruf i.S.d. § 4 IV BeamtStG ist.  \n\n\n\n

II. Ordnungsgemäßer Antrag\n\n\n\n

Es müsste ein statthafter Antrag seitens P vorliegen. Welcher Antrag statthaft ist, richtet sich nach dem Antragsbegehren, §§ 88, 122 VwGO. P möchte die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs gegen den Widerruf aus dem Beamtenverhältnis wiederherstellen. \n\n\n\n

Zuerst muss zwischen § 123 VwGO und §§ 80 V, 80a VwGO differenziert werden. Nach § 123 V VwGO sind die §§ 80, 80a VwGO vorrangig. Gem. § 80 V i.V.m. 80 I 1 VwGO finden diese Anwendung, wenn der Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat, d.h. wenn in der Hauptsache eine Anfechtungsklage (§ 42 I Alt. 1 VwGO) oder ein Anfechtungswiderspruch (§ 68 VwGO) statthaft ist. Der Widerruf aus dem Beamtenverhältnis stellt einen Verwaltungsakt i.S.d. § 35 S. 1 VwVfG dar, sodass Anfechtungsklage und -widerspruch statthaft sind. Gegen diesen Verwaltungsakt hat P auch bereits Widerspruch gem. § 68 I 1 VwGO erhoben, sodass § 80 V VwGO heranzuziehen ist.\n\n\n\n

Nach § 80 V VwGO dürfte dieser Widerspruch auch keine aufschiebende Wirkung entfalten. Entweder weil der Rechtsbehelf schon keine aufschiebende Wirkung hat (§ 80 II 1 Nr. 1–3 VwGO) oder weil dies besonders angeordnet wurde (§ 80 II 1 Nr. 4 VwGO). Insofern muss innerhalb des § 80 V 1 VwGO die Anordnung der aufschiebenden Wirkung (Alt. 1) von der Wiederherstellung der Anordnung (Alt. 2) abgegrenzt werden. Vorliegend wurde der Entfall der aufschiebenden Wirkung nach § 80 II 1 Nr. 4 VwGO durch den Dienstherrn besonders angeordnet, sodass § 80 V 1 Alt. 2 VwGO einschlägig ist.[1]VG Berlin, Beschl. v. 21.2.2023, AZ 26 L15\/23, Rn. 20.