{"id":6642,"date":"2023-09-13T10:00:00","date_gmt":"2023-09-13T08:00:00","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=6642"},"modified":"2024-01-23T10:33:18","modified_gmt":"2024-01-23T09:33:18","slug":"der-flug-in-ein-nicht-geplantes-land","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/der-flug-in-ein-nicht-geplantes-land\/","title":{"rendered":"Der Flug in ein nicht geplantes Land"},"content":{"rendered":"

BGH Urteil v. 08.06.2022 – 5 StR 406\/21, NJW 2022, 2422\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n
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F lebt in Ungarn. Sie plant ihre Familie zu verlassen, da sie nicht mehr mit den gelebten Werten einverstanden ist. Dafür sucht sie sich Hilfe bei ihrer Cousine A und ihrem Cousin B. Sie versprechen ihr, ihr dabei zu helfen, das Land zu verlassen. Tatsächlich planen sie jedoch, sie in ihr Heimatland Polen zu bringen, und nicht wie versprochen nach Deutschland, damit sie dort von ihrer Familie zur Vernunft gebracht werden kann. Sie wissen aber, wenn F von dem eigentlichen Ziel wüsste, würde sie nicht mitkommen und sich zur Wehr setzen. \n\n\n\n

Wie geplant bringen A und B die F unter dem Vorwand der Hilfeleistung zum Flughafen, wobei sie im Auto links und rechts neben ihr sitzen, sodass F zu keinem Zeitpunkt hätte aussteigen können, falls sie es wollte. Auch am Flughaften selbst lassen sie F nicht aus den Augen. Beim Check-In „helfen“ sie der F, damit sie den wahren Ort ihrer Flugreise nicht erfährt. F steigt freiwillig ins Flugzeug. Auch während des Flugs weichen ihr A und B nicht von der Seite. Erst bei der Landung bemerkt sie, dass sie nicht in Deutschland, sondern in Polen ist. \n\n\n\n

Wie haben sich A und B strafbar gemacht?\n\n\n\n

Bearbeitervermerk: Es ist davon auszugehen, dass deutsches Strafrecht anwendbar ist. \n\n\n\n

Sachverhalt als .pdf\n\n\n\n\n\n
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Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten\n\n\n\n
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Strafbarkeit A und B gem. §§ 239 I, 25 II StGB\n\n\n\n

Indem A und B die F im Auto auf der Rückbank einrahmten und sie auf dem Flughafen zu keinem Zeitpunkt aus den Augen gelassen haben, könnten sich A und B wegen einer Freiheitsberaubung in Mittäterschaft gem. §§ 239 I, 25 II StGB strafbar gemacht haben. \n\n\n\n

I. Tatbestand\n\n\n\n
1. Objektiver Tatbestand\n\n\n\n
a) einen anderen Menschen eingesperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt\n\n\n\n

A und B müssten die F eingesperrt oder auf andere Weise ihrer Freiheit beraubt haben. Ein Einsperren kommt hier nicht in Betracht, da es ein Festhalten in einem umschlossenen Raum durch äußere Vorrichtung benötigt. Weder das Auto, mit dem sie zum Flughafen fahren, noch der Flughafen selbst erfüllen die Kriterien. \n\n\n\n

Daher kommt die Freiheitsberaubung auf andere Weise in Betracht. Diese liegt vor, wenn eine Handlung objektiv die vollständige Aufhebung der Fortbewegungsfreiheit bewirkt.[1]Vgl. Fischer, 69. Aufl. 2022, StGB § 239 Rn. 8.