{"id":6614,"date":"2023-08-30T13:16:16","date_gmt":"2023-08-30T11:16:16","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=6614"},"modified":"2024-01-23T11:22:24","modified_gmt":"2024-01-23T10:22:24","slug":"beseitigung-von-kiesbeeten","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/beseitigung-von-kiesbeeten\/","title":{"rendered":"Beseitigung von Kiesbeeten"},"content":{"rendered":"

OVG Lüneburg, Beschl. v. 17.01.2023 – 1 LA 20\/22, BeckRS 2023, 215\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n
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(geändert und gekürzt)\n\n\n\n

Der A besitzt ein Grundstück in der Gemeinde G im Bundesland N. Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des seit 2004 rechtswirksamen Bebauungsplanes Nr. 2-34. Dieser setzt dort ein allgemeines Wohngebiet fest. Entlang der nördlichen und östlichen Grundstücksgrenzen befinden sich seit 15 Jahren außerhalb der durch den Bebauungsplan festgesetzten überbaubaren Grundstücksflächen zwei insgesamt etwa 50qm große Kiesbeete, in welches etwa 25 (Nadel-)Pflanzen eingesetzt sind. Mit Schreiben vom 08.10.2021 hörte die zuständige Behörde (B) den A zu einer in Aussicht genommenen Ordnungsverfügung an; die Beteiligten korrespondierten, ohne zu einer Einigung zu gelangen. Mit formell rechtmäßig ergangenem Bescheid vom 18.01.2021 ordnete die B an, dass der Kies bis zum 28.02.2021 aus den Beeten auf dem Grundstück entfernt werden muss. Sie verwies zur Begründung darauf, dass nicht überbaute Grundstücksflächen nach § 9 II NBauO als Grünflächen auszugestalten seien, solange sie nicht als Zufahrt, Gartenweg oder Stellplatz für eine andere Nutzung erforderlich seien. Zulässig seien Rasen, Gehölze und Zier- oder Nutzpflanzen, nicht jedoch ein Kiesbeet. Zweck der Vorschrift sei es, ökologisch sinnvolle und erhaltenswerte Flächen zu schaffen. Kies- und Schottergärten leisteten keinen ökologischen Beitrag und seien nach der Vorschrift deshalb unzulässig. Hinzu trete die negative Vorbildwirkung, die sich aus dem Gesamtbild des im nördlichen Bereich vollständig versiegelten Grundstücks ergebe.\n\n\n\n

Dagegen legte der A form- und fristgerecht Widerspruch ein. Mit Widerspruchsbescheid vom 08.02.2021 wies die B den Widerspruch zurück. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, dass es sich trotz der dort eingesetzten und nicht zu beanstandenden 25 Pflanzen um ein Kiesbeet handele, da die Steinflächen dominierend seien. Der Einwand, dass es sich mit 50 qm um eine nur untergeordnete Fläche handele, überzeuge nicht, da Steinbeete grundsätzlich untersagt seien. Der Norm lasse sich keine Differenzierung nach der überwiegenden Flächennutzung entnehmen. Ob nicht ins Gewicht fallende Elemente eines Steingartens zulässig seien, könne dahingestellt bleiben, da eine 50 qm große Kiesfläche erheblich sei. Es liege auch kein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz vor, da die B sich im Rahmen ihrer Kapazitäten auch weiterhin vergleichbaren Verstößen annehmen wolle und das Gebiet straßenzugsweise abarbeiten werde. Dies habe sie auch schon dem A beim Ortstermin mitgeteilt.\n\n\n\n

Der A erhob am 01.03.2021 hiergegen Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht. Der A trägt vor, dass die im Bescheid erwähnten Kiesflächen schon keine baulichen Anlagen seien. Hinsichtlich der Rückbauanordnung für das Baugrundstück ist er der Auffassung, dass Kiesflächen keine relevante Beeinträchtigung der Bodenfunktionen bedeuteten und § 9 II NBauO den Kiesflächen nicht entgegengehalten werden könne; es bestehe kein grundsätzliches Pflanzgebot.\n\n\n\n

Hat die Klage des A Aussicht auf Erfolg?\n\n\n\n


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Niedersächsische Bauordnung\n\n\n\n

(NBauO)\n\n\n\n

Vom 3. April 2012\n\n\n\n

§ 79 Baurechtswidrige Zustände, Bauprodukte und Baumaßnahmen sowie verfallende bauliche Anlagen\n\n\n\n

(1) 1Widersprechen bauliche Anlagen, Grundstücke, Bauprodukte oder Baumaßnahmen dem öffentlichen Baurecht oder ist dies zu besorgen, so kann die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen, die zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände erforderlich sind. 2Sie kann namentlich\n\n\n\n

1. die Einstellung rechtswidriger und die Ausführung erforderlicher Arbeiten verlangen,\n\n\n\n

2. die Einstellung der Arbeiten anordnen, wenn Bauprodukte verwendet werden, an denen unberechtigt ein Ü-Zeichen (§ 21 Abs. 3) oder unberechtigt eine CE-Kennzeichnung angebracht ist oder die entgegen § 21 ein erforderliches Ü-Zeichen oder entgegen der Verordnung (EU) Nr. 305\/2011 eine erforderliche CE-Kennzeichnung nicht tragen,\n\n\n\n

3. die Verwendung von Bauprodukten, die entgegen § 21 mit dem Ü-Zeichen gekennzeichnet sind, untersagen und deren Kennzeichnung ungültig machen oder beseitigen lassen,\n\n\n\n

4. die Beseitigung von Anlagen oder Teilen von Anlagen anordnen,\n\n\n\n

5. die Benutzung von Anlagen untersagen, insbesondere Wohnungen für unbewohnbar erklären.\n\n\n\n

3Die Bauaufsichtsbehörde hat ihre Anordnungen an die Personen zu richten, die nach den §§ 52 bis 56 verantwortlich sind. 4Nach Maßgabe des Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes kann sie auch nicht verantwortliche Personen in Anspruch nehmen. 5Die Anordnungen der Bauaufsichtsbehörde gelten auch gegenüber den Rechtsnachfolgern der Personen, an die die Anordnungen gerichtet sind.\n\n\n\n

(2) Die Bauaufsichtsbehörde kann bauliche Anlagen, Teile baulicher Anlagen und Arbeitsstellen versiegeln und Bauprodukte, Geräte, Maschinen und Hilfsmittel sicherstellen, soweit dies zur Durchsetzung von Anordnungen nach Absatz 1 erforderlich ist.\n\n\n\n

(3) 1Soweit bauliche Anlagen nicht genutzt werden und verfallen, kann die Bauaufsichtsbehörde die nach § 56 verantwortlichen Personen verpflichten, die baulichen Anlagen abzubrechen oder zu beseitigen, es sei denn, dass ein öffentliches oder schutzwürdiges privates Interesse an ihrer Erhaltung besteht. 2Für die Grundstücke gilt § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 entsprechend.\n\n\n\n

(4) Die Bauaufsichtsbehörde soll vor Anordnungen nach den Absätzen 1 und 3 die Angelegenheit mit den Betroffenen erörtern, soweit die Umstände nicht ein sofortiges Einschreiten erfordern.\n\n\n\n

[…]\n\n\n\n

§ 9 Nicht überbaute Flächen, Kinderspielplätze\n\n\n\n

(1) 1Die nicht überbauten Flächen von Baugrundstücken sind so herzurichten und zu unterhalten, dass sie nicht verunstaltet wirken und auch ihre Umgebung nicht verunstalten. 2Dies gilt auch für die nicht im Außenbereich gelegenen, nach öffentlichem Baurecht bebaubaren Grundstücke.\n\n\n\n

(2) Die nicht überbauten Flächen der Baugrundstücke müssen Grünflächen sein, soweit sie nicht für eine andere zulässige Nutzung erforderlich sind.\n\n\n\n

[…]\n\n\n\n

Sachverhalt als .pdf\n\n\n\n\n\n
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Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten\n\n\n\n
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Die Klage hat Aussicht Erfolg, wenn sie zulässig und soweit sie begründet ist.\n\n\n\n

A. Zulässigkeit\n\n\n\n

Die Klage müsste zulässig sein. \n\n\n\n

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs \n\n\n\n

Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges richtet sich mangels aufdrängender Sonderzuweisung nach § 40 I 1 VwGO. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist dabei nach der modifizierten Subjektstheorie eine solche, bei der die streitentscheidenden Normen einseitig einen Träger öffentlicher Gewalt berechtigen oder verpflichten.[1] BeckOK VwGO\/Reimer, 66. Ed. 1.1.2023, VwGO § 40 Rn. 45.4.