{"id":6498,"date":"2023-05-03T10:47:00","date_gmt":"2023-05-03T08:47:00","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=6498"},"modified":"2024-01-23T12:12:53","modified_gmt":"2024-01-23T11:12:53","slug":"der-vergessene-schluessel","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/der-vergessene-schluessel\/","title":{"rendered":"Der vergessene Schlüssel"},"content":{"rendered":"

BGH, Beschl. v. 12.10.2021 − 5 StR 219\/21, NStZ 2022, 408\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n
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Die A hebelte die Tür des Treppenhauses eines Mehrfamilienhauses auf und drang anschließend mit einem passenden Schlüssel in die dauerhaft genutzte Privatwohnung von O ein, wo sie diverse Gegenstände der O entwendete. Den Schlüssel fand sie zuvor auf dem Dachboden des Hauses. Dieser Schlüssel wurde dort von dem Ex-Freund der A deponiert für den Fall, dass er sich aussperren würde.  Hiervon hatte A Kenntnis, da Sie zuvor den Schlüssel bereits öfter genutzt hatte, als sie noch mit ihm zusammen war. Dieser wurde dort von ihm vergessen und O hatte diesbezüglich keine Kenntnis. Der Ex-Freund zog aus der besagten Wohnung aus. Ob der Wohnungsvermieter von der Existenz dieses Schlüssels Kenntnis hatte, ist ungeklärt.\n\n\n\n

Strafbarkeit der A?\n\n\n\n

Sachverhalt als .pdf\n\n\n\n\n\n
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Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten\n\n\n\n
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Strafbarkeit gem. § 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB\n\n\n\n

A könnte sich wegen Wohnungseinbruchsdiebstahls gemäß § 244 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 4 StGB strafbar gemacht haben, indem sie mit dem auf dem Dachboden gefundenen Schlüssel in die Privatwohnung der O eindrang und dort diverse Gegenstände an sich nahm. \n\n\n\n

I. Tatbestand\n\n\n\n
1. Objektiver Tatbestand\n\n\n\n
a) Grunddelikt § 242 Abs. 1 StGB\n\n\n\n

Zunächst müsste A das Grunddelikt des § 242 Abs. 1 StGB erfüllt haben. Die diversen Gegenstände standen im Eigentum der O und waren für A fremde körperliche Gegenstände im Sinne des § 90 BGB, welche sie tatsächlich zum Zwecke des Diebstahls fortschaffen konnte, sodass es sich hierbei um fremde bewegliche Sachen handelte. Diese fremden beweglichen Sachen hat A gegen den Willen der O in ihre Gewahrsamssphäre verbracht, sodass sie diese wegnahm. Das Grunddelikt ist erfüllt. \n\n\nAnmerkung: Gutachtenstil

\nHier lest ihr den verkürzten Gutachtenstil. Möglich wäre es hier auch den Urteilsstil anzuwenden, da das Grunddelikt eindeutig verwirklicht wurde. Gerade im Ersten Staatsexamen ist es jedoch wichtig, den Gutachtenstil zu beherrschen. Mit dem Urteilsstil sollte sparsam umgegangen werden. Lieber an einer solchen Stelle den verkürzten Gutachtenstil verwenden. Dies gilt ums so mehr, wenn es – wie hier – das erste ist, was der Prüfer liest.
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b) Qualifikation § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB\n\n\n\n

A müsste zum Zwecke des Diebstahls in eine Wohnung eingebrochen oder mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmten Werkzeug eingedrungen sein, vgl. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB. \n\n\n\n

aa) Wohnung\n\n\n\n

Die Mietwohnung der O stellt Räumlichkeiten dar, die bestimmungsgemäß zur Unterkunft von Menschen dient, sodass eine Wohnung im Sinne des § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB gegeben ist. \n\n\nVernetztes Lernen: Erfüllt der Einbruch in die Wohnung eines Verstorbenen ebenfalls einen Qualifikationstatbestand?

\nFraglich ist, ob die Wohnung eines Verstorbenen weiterhin als Wohnung zu verstehen ist oder ob sie dadurch, dass jemand verstirbt, die Wohnungseigenschaft verloren geht, da sie niemanden mehr als Unterkunft dient. Laut des BGH verliert die Wohnung diese Eigenschaft nicht allein durch den Tod des Bewohners. Begründet wird dies insbesondere mit dem Wortlaut. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch wird eine Wohnung nicht durch ihren tatsächlichen Gebrauch als Wohnung verstanden, sondern gemäß ihres Zweckes. Ob diese zur Tatzeit benutzt wird, ist für das Vorliegen der Wohnung i.S.d. § 244 Abs. 1 Nr. 3 StGB unerheblich. \n

Zur weiteren Vertiefung vgl. Einbruch bei Toten von Antonia Cohrs vom 22. Januar 2020
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bb) Einbruch in eine Wohnung \n\n\n\n

Indem A die Eingangstür aufhebelte, könnte sie in eine Wohnung eingebrochen sein. Einbrechen bezeichnet das gewaltsame Öffnen von Umschließungen, die ein tatsächliches Hindernis bilden und insoweit dem Eintritt in den umschlossenen Raum entgegenstehen.[1]Rengier, StrafR BT I, 24. Aufl. 2022, § 3 Rdn. 13; Lackner\/Kühl, 30. Auflage 2023, § 243 Rdn. 10.