{"id":6446,"date":"2023-04-04T21:54:36","date_gmt":"2023-04-04T19:54:36","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=6446"},"modified":"2024-01-23T12:35:41","modified_gmt":"2024-01-23T11:35:41","slug":"parteienfinanzierung-mehr-geld-nur-begruendet","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/parteienfinanzierung-mehr-geld-nur-begruendet\/","title":{"rendered":"Parteienfinanzierung: Mehr Geld nur begründet"},"content":{"rendered":"

BVerfG, Urt. v. 24.01.2023 – 2 BvF 2\/18; NJW 2023, 672\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

(abgewandelt und gekürzt)\n\n\n\n

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Der Bundestag beschließt mit den die Regierung tragenden Fraktionen ein neues Gesetz zur Erhöhung der Parteienfinanzierung.\n\n\n\n

Die staatliche Teilfinanzierung politischer Parteien richtet sich in ihrer Verteilung nach dem Wahlerfolg, den Mitgliedsbeiträgen und den erhaltenden Spenden der jeweiligen Partei. Als relative Obergrenze gilt, dass die Höhe der staatlichen Teilfinanzierung die selbst erwirtschafteten Einnahmen nicht übersteigen darf. Ferner besteht eine absolute Obergrenze, die sich an einem Preisindex orientiert und 2018 für alle Parteien insgesamt 165 Mio. € betragen hätte. Das neue Gesetz, beschlossen am 10.07.2018, hebt die absolute Obergrenze auf 190 Mio. € an, die dann bei der im Jahr 2019 erfolgenden Festsetzung der Auszahlungen staatlicher Mittel an die Parteien maßgeblich sein soll. In der Begründung des Gesetzesentwurf wird unter näherer Schilderung der digitalisierungsbezogenen, veränderten Verhältnisse (mehrere Informationskanäle müssten bedient, umfangreiche Datenschutzregelungen dabei eingehalten werden, neue Möglichkeiten innerparteilicher Partizipation usw.) ausgeführt, dass die Anhebung aufgrund der Digitalisierung der Kommunikationswege und der Medien erforderlich sei. Durch die Digitalisierung entstünde ein erheblicher finanzieller Mehrbedarf.\n\n\n\n

Die Abgeordneten der damaligen Oppositionsfraktionen ziehen gegen die Anhebung der absoluten Obergrenze vor das BVerfG. Sie sind der Meinung, dass schon das Gesetzgebungsverfahren nicht ordnungsgemäß abgelaufen sei. So haben – was zutrifft – zwischen der Verteilung des Gesetzentwurfs und dem Beschluss in dritter Lesung nur 10 Tage gelegen, ohne dass für die Kürze der Beratungszeit Gründe vorgebracht wurden. Die Öffentlichkeit habe ferner durch diesen begrenzten Zeitraum keine ausreichende Möglichkeit gehabt, von dem neuen Gesetz Kenntnis zu nehmen und es gegebenenfalls zu kritisieren. Auch materiell sei das Gesetz verfassungswidrig. Schließlich werde ein erhöhter Finanzbedarf zwar dem Grunde nach begründet, warum die Obergrenze aber nun bei 190 Mio. € liegen solle, sei nicht ersichtlich und wird – was zutrifft – in der Gesetzesbegründung auch nicht weiter erläutert. Auch würden mögliche Einsparpotenziale aufgrund der Digitalisierung nicht berücksichtigt. Vielmehr habe die Gesetzesbegründung – was ebenfalls zutrifft – darauf abgestellt, dass mit der Hebung der absoluten Obergrenze die 2015 erfolgte Erhöhung der relativen Obergrenze auch realisiert werden könne, weil die an der relativen Obergrenze orientierten Zuwendungen anderenfalls, d.h. ohne Erhöhung der absoluten Obergrenze, möglicherweise nicht voll berücksichtigt werden könnten, sondern anteilig zu kürzen wären.\n\n\n\n

Ist die Anhebung der absoluten Obergrenze verfassungswidrig?\n\n\n\n

Sachverhalt als .pdf\n\n\n\n\n\n
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Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten\n\n\n\n
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Die Anhebung der absoluten Obergrenze könnte formell und\/oder materiell verfassungswidrig sein.\n\n\nVernetztes Lernen: In welchem Verfahren vor dem BVerfG wäre das im Fall zu prüfen?

\nDie Abgeordneten der Oppositionsfraktionen machen nicht die Verletzung eigener Rechte geltend sondern wenden sich davon losgelöst an das BVerfG. Einschlägig wäre die abstrakte Normenkontrolle gem. Art. 93 I Nr. 2 GG, §§ 13 Nr. 6, 76 I BVerfGG.
\n\n\n\nVernetztes Lernen: Welche Prüfungsschritte bestehen hierfür in der Zulässigkeit?
\nI. Zuständigkeit
\n–
Art. 93 I Nr. 2 GG, § 13 Nr. 6 BVerfGG
\nII. Antragsberechtigung
\n–
Art. 93 I Nr. 2, § 76 I BVerfGG: Bundesregierung, Landesregierung oder ein Viertel der MdB
\nIII. Antragsgegenstand
\n–
Art. 93 I Nr. 2 GG, § 76 I BVerfGG: Bundes- oder Landesrecht
\nIV. Antragsgrund
\n–
Art. 93 I Nr. 2 GG: Meinungsverschiedenheiten oder Zweifel;
\n–
§ 76 I BVerfGG: „Für-nichtig-halten“, d.h. Überzeugung von der Nichtigkeit
\n– Umgang mit Diskrepanz: Verfassungskonforme Auslegung, Teilnichtigkeit des
§ 76 I BVerfGG, dann genügen jeweils Zweifel; oder zulässige Konkretisierung i.S.v. Art. 94 II 1 GG, dann ist Überzeugung von Nichtigkeit erforderlich.
\nV. Objektives Klarstellungsinteresse
\n– Indiziert durch Antrag; nur ausnahmsweise etwa dann zu verneinen, wenn die betreffende Norm außer Kraft getreten ist und keine Rechtswirkungen mehr von ihr ausgehen oder wenn die Gültigkeit der Norm in einem Parallelverfahren geprüft wird.
\nVI. Form
\n–
§ 23 I BVerfGG; keine Frist
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A. Formelle Verfassungsmäßigkeit\n\n\n\n

Das Gesetz wäre verfassungswidrig, wenn es nicht die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gesetzgebungskompetenz, das Gesetzgebungsverfahren und\/oder die Form eingehalten hat.\n\n\n\n

I. Gesetzgebungskompetenz\n\n\n\n

Der Bundesgesetzgeber ist nach Art. 21 V GG ausschließlich gesetzgebungskompetent.\n\n\n\n

II. Gesetzgebungsverfahren\n\n\n\n

Das Gesetzgebungsverfahren könnte verfassungswidrig abgelaufen sein, indem zwischen der Verteilung des Gesetzentwurfs und dem Beschluss nur zehn Tage lagen. Nach Art. 77 I GG werden die Gesetze vom Bundestag beschlossen. Eine konkrete Dauer der Beratung sieht das GG nicht vor. Es bedarf aber der Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, um zu beurteilen, wann die Beratungsdauer angemessen ist, wobei es grundsätzlich der Parlamentsmehrheit obliegt, die Prioritäten und Abläufe zu bestimmen.[1]BVerfG NJW 2023, 672, 673.