{"id":6209,"date":"2023-02-01T10:06:16","date_gmt":"2023-02-01T09:06:16","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=6209"},"modified":"2024-01-25T13:30:11","modified_gmt":"2024-01-25T12:30:11","slug":"windenergieanlagen-im-wald","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/windenergieanlagen-im-wald\/","title":{"rendered":"Windenergieanlagen in Wäldern"},"content":{"rendered":"

BVerfG, Beschl. v. 27.09.2022 – 1 BvR 2661\/21 – NVwZ 2022, 861; JuS 2023, 89; KlimR 2022, 374\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n
\n
\n

W ist Inhaberin eines Waldgrundstücks in Thüringen. Nach mehreren Jahren in Folge, in denen der Wald besonderem Stress aufgrund anhaltender Trockenheit ausgeliefert war, befiel im letzten Jahr der Borkenkäfer ihre angestrengten Waldbestände. Die meisten Bäume sind schwer davon beeinträchtigt, viele sind abgestorben.\n\n\n\n

Nachdem W so stark vom Klimawandel beeinträchtigt war, schaut sie sich für einen Teil ihres Waldes nach einer Nutzungsart um, die es ihr ermöglicht einen positiven Beitrag zum Klimawandel zu leisten und nach den Jahren mit hohen Verlusten wieder Geld zu verdienen. Sie will Windenergieanlagen bauen. Doch sie stellt fest, dass das Thüringische Wald Gesetz in § 10 I S. 2 grundsätzlich die Umwandlung von Waldgebieten zur Errichtung von Windenergieanlagen verbietet.\n\n\n\n

W hält dies für ungerechtfertigt. Jede andere Nutzungsart könnte unter den Voraussetzungen bzw. im Rahmen einer Abwägung nach § 10 ThürWaldG und § 9 BWaldG erreicht werden. Es könne nicht angehen, dass eine bestimmte Nutzungsart grundsätzlich ausgeschlossen wird. Es könne auch nicht rechtmäßig sein, dass sie auf ihrem eigenen Land so stark in ihrer Eigentumsfreiheit beeinträchtigt werde.\n\n\n\n

Im Gesetzgebungsverfahren wurde vor allem darauf abgestellt, dass durch die Bewirtschaftung mit Windenergieanlagen Sturmschäden in den dann nicht mehr „geschlossenen“ Waldbeständen stärker werden könnten. Dies sei nötig, um den Wald als Teil der natürlichen Lebensgrundlagen zu schützen, so wie es auch das Grundgesetz vorsehe. Die Opposition hatte ausgeführt, dass dies zwar richtig sei, aber ein absolutes Verbot nicht notwendig wäre. Schließlich müssten die Rechte und Interessen der Waldinhaber:innen auch berücksichtigt werden. Außerdem sei der Ausbau von Windenergieanlagen nötig, um die Treibhausgasminderungsziele des Klimaschutzgesetzes zu erfüllen.\n\n\n\n

W wendet sich – ohne vorhergehenden fachgerichtlichen Rechtsschutz – an das BVerfG mit einer Verfassungsbeschwerde. Sie meint, ihre Eigentumsfreiheit sei verletzt. Das Gesetz sei bereits deshalb nichtig, weil der Bundesgesetzgeber von seiner Gesetzgebungskompetenz bereits abschließend gebrauch gemacht habe und die landesgesetzliche Regelung im Widerspruch dazu (insbes. § 249 BauGB) stehe.\n\n\n\n

Hat die zulässige Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg?\n\n\n\n

Bearbeitervermerk: Art. 12 und Art. 3 GG sind nicht zu prüfen. Auf die unten abgedruckten Vorschriften wird hingewiesen.\n\n\n\n

\n\n\n\n

§ 10 ThürWaldG\n\n\n\n

(1) Wald darf nur nach vorheriger Genehmigung der unteren Forstbehörde in eine andere Nutzungsart umgewandelt werden (Änderung der Nutzungsart). Eine Änderung der Nutzungsart zur Errichtung von Windenergieanlagen ist nicht zulässig. Die Genehmigung erfolgt im Einvernehmen mit der unteren Naturschutzbehörde und nach Anhörung der oberen Landesplanungsbehörde. Soll die Fläche nachfolgend landwirtschaftlich genutzt werden, ergeht die Genehmigung darüber hinaus im Einvernehmen mit der oberen Landwirtschaftsbehörde.\n\n\n\n

(1a) …\n\n\n\n

(2) Bei der Entscheidung über einen Antrag auf Änderung der Nutzungsart sind die berechtigten Interessen des Waldbesitzers und die Belange der Allgemeinheit gegeneinander und untereinander abzuwägen. Die Genehmigung ist zu versagen, wenn\n\n\n\n

1. die Erhaltung des Waldes im öffentlichen Interesse Vorrang vor den Interessen des Antragsstellers hat,
2. Raumordnung und Landesplanung Wald am jeweiligen Ort zwingend vorsehen,
3. die Leistungsfähigkeit des Naturhaushaltes nachhaltig geschädigt wird,
4. Belange des Naturschutzes, der Landschaftspflege, der Landeskultur, der Luft- und Wasserreinhaltung und der Erholung der Bevölkerung gefährdet werden,
5. erheblicher Schaden in angrenzendem Wald absehbar ist oder
6. die Bewertung der zusammenfassenden Darstellung einer Umweltverträglichkeitsprüfung im Hinblick auf eine wirksame Umweltvorsorge dies gebietet.\n\n\n\n

(3) Zur Milderung nachteiliger Wirkungen einer genehmigten Änderung der Nutzungsart ist vom Antragsteller auf eigene Kosten eine funktionsgleiche Ausgleichsaufforstung innerhalb von zwei Jahren nach bestandskräftiger Genehmigung durchzuführen. Dazu können Auflagen erteilt werden. Bei auch nachträglich nicht genehmigter Änderung der Nutzungsart wird unter Fristsetzung die Rückwandlung durch Aufforstung angeordnet. (…)\n\n\n\n

(4) Können nachteilige Wirkungen auf den Naturhaushalt nicht durch funktionsgleiche Ausgleichsaufforstung ausgeglichen werden, ist eine Walderhaltungsabgabe in Abhängigkeit von der Schwere der Beeinträchtigung und vom erzielten Vorteil des Verursachers der Beeinträchtigung zu zahlen. Die Walderhaltungsabgabe darf nur zur Erhaltung des Waldes verwendet werden. Bemessungsgrundlagen, Verfahren und Verwendung der Mittel werden im Einvernehmen mit dem für Finanzen zuständigen Ministerium durch die oberste Forstbehörde durch Rechtsverordnung geregelt. (…)\n\n\n\n

§ 9 BWaldG Erhaltung des Waldes\n\n\n\n

(1) Wald darf nur mit Genehmigung der nach Landesrecht zuständigen Behörde gerodet und in eine andere Nutzungsart umgewandelt werden (Umwandlung). Bei der Entscheidung über einen Umwandlungsantrag sind die Rechte, Pflichten und wirtschaftlichen Interessen des Waldbesitzers sowie die Belange der Allgemeinheit gegeneinander und untereinander abzuwägen. Die Genehmigung soll versagt werden, wenn die Erhaltung des Waldes überwiegend im öffentlichen Interesse liegt, insbesondere wenn der Wald für die Leistungsfähigkeit des Naturhaushalts, die forstwirtschaftliche Erzeugung oder die Erholung der Bevölkerung von wesentlicher Bedeutung ist.\n\n\n\n

(2) Eine Umwandlung von Wald kann auch für einen bestimmten Zeitraum genehmigt werden; durch Auflagen ist dabei sicherzustellen, daß das Grundstück innerhalb einer angemessenen Frist ordnungsgemäß wieder aufgeforstet wird.\n\n\n\n

(3) Die Länder können bestimmen, daß die Umwandlung\n\n\n\n

1. keiner Genehmigung nach Absatz 1 bedarf, wenn für die Waldfläche auf Grund anderer öffentlich-rechtlicher Vorschriften rechtsverbindlich eine andere Nutzungsart festgestellt worden ist;\n\n\n\n

2. weiteren Einschränkungen unterworfen oder, insbesondere bei Schutz- und Erholungswald, untersagt wird.\n\n\n\n


\n\n\n\n
Sachverhalt als PDF\n\n\n\n\n\n
\n\n\n\n

Skizze\n\n\n\n\n\n
\n\n\n\n

Gutachten\n\n\n\n
\n
\n

A. Begründetheit\n\n\n\n

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn W in ihrer Eigentumsfreiheit aus Art. 14 GG durch § 10 I S. 2 ThürWaldG verletzt ist.\n\n\n\n

I. Schutzbereich der Eigentumsfreiheit\n\n\n\n

Zunächst müsste der Schutzbereich von Art. 14 GG eröffnet sein. Art. 14 GG schützt alle vermögenswerten Rechte, die den Berechtigten von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, dass sie die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zum privaten Nutzen ausüben dürfen.[1]BVerfG, Beschl. v. 27.09.2022 – 1 BvR 2661\/21 Rn. 17; so ähnlich auch: Kingreen\/Poscher, Grundrechte Staatsrecht II, Rn. 1030.