{"id":4778,"date":"2022-10-28T18:19:51","date_gmt":"2022-10-28T16:19:51","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=4778"},"modified":"2022-10-28T18:21:16","modified_gmt":"2022-10-28T16:21:16","slug":"klage-gegen-die-pressearbeit-des-bundesverfassungsgerichts","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/klage-gegen-die-pressearbeit-des-bundesverfassungsgerichts\/","title":{"rendered":"Klage gegen die Pressearbeit des Bundesverfassungsgerichts"},"content":{"rendered":"

(VG Karlsruhe, 26.08.2022 – 3 K 606\/21)\n\n\n\n

Sachverhalt \n\n\n\n

(abgewandelt und gekürzt)\n\n\n\n

Der Bundesverband der Partei A war Beteiligte in einem vor dem Bundesverfassungsgericht geführten Organstreitverfahren im Jahr 2020. Als Termin zur Verkündung der Entscheidung in diesem Verfahren legte das Bundesverfassungsgericht Dienstag, den 09.06.2020, 10 Uhr, fest. Der Prozessbevollmächtigte der A erfuhr durch einen Artikel des B am Sonntag, den 07.06.2020 davon, dass das Bundesverfassungsgericht seit geraumer Zeit den Mitgliedern der Justizpressekonferenz (JPK) die Presseerklärungen in anstehenden Entscheidungen des Gerichts in Papierform und mit Sperrfrist versehen bereits am Vorabend des Verkündungstermins, etwa gegen 18 Uhr, zur Verfügung stelle, noch bevor die Beteiligten des Verfahrens selbst über dessen Ausgang informiert würden. Die JPK ist eine 1975 gegründete unabhängige Arbeitsgemeinschaft von Fachkorrespondenten. Mitglied des Karlsruher Vereins kann laut Satzung werden, wer hauptberuflich als Journalist tätig ist und ständig über die Rechtsprechung der obersten Bundesgerichte sowie über Fragen der Rechts- und Justizpolitik berichtet. Aktuell gibt es knapp 40 Vollmitglieder, darunter Korrespondenten von öffentlich-rechtlichen Funk- und Fernsehanstalten, überregionalen und regionalen Zeitungen sowie Nachrichtenagenturen. Vollmitglieder der JPK können sich die Pressemitteilung zum Urteil am Vorabend an der Gerichtspforte als Papierausdruck abholen. Dabei verpflichten sie sich mit ihrer Unterschrift, den Inhalt bis zur Verkündung vertraulich zu behandeln und erst parallel zu veröffentlichen. Das Gericht will den Medienvertretern damit Gelegenheit geben, die meist umfangreichen und komplexen Pressemitteilungen in Ruhe zu lesen und zu verstehen. Durch dieses Vorgehen fühlt sich die A in ihren Rechten aus Art. 103 GG, Art. 20 III GG i. V. m. Art. 2 I GG verletzt. Es sei auch die notwendige Wiederholungsgefahr gegeben, da die A laufend vor dem Bundesverfassungsgericht prozessiere und dieses deutlich gemacht habe, an der genannten Praxis festhalten zu wollen.\n\n\n\n

Dazu führt die A weiter aus, dass die Herausgabe eines die A betreffenden Urteils an private Journalisten am Vorabend der Urteilsverkündung zur Folge habe, dass diese der A anlässlich der Urteilsverkündung mit einem erheblichen Informationsvorsprung und damit überlegen gegenübertreten und das Ergebnis dieser ungleichen Begegnungen überall medial darstellen könnten. Dadurch verletze das Bundesverfassungsgericht das Recht der A auf ein faires Verfahren sowie seine prozessuale Fürsorgepflicht ihr gegenüber, die auch eine Waffengleichheit zwischen den Prozessparteien einerseits und den Pressevertretern andererseits gebiete.\n\n\n\n

Auch würden durch diese Praxis und die dargestellten Folgen das allgemeine Persönlichkeitsrecht der A verletzt.\n\n\n\n

Insofern ruft die A das zuständige Verwaltungsgericht an und möchte feststellen lassen, dass die vertrauliche Vorabinformation für die Journalistinnen und Journalisten die Partei in ihren Rechten verletzt.\n\n\n\n

Ist die Klage der A zulässig?\n\n\n\n

Sachverhalt als PDF\n\n\n\n

Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten\n\n\n\n

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A. Zulässigkeit\n\n\n\n

Die Klage könnte zulässig sein.  \n\n\n\n

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs \n\n\n\n

Zunächst müsste der Verwaltungsrechtsweg eröffnet sein. Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweg bemisst sich nach § 40 I 1 VwGO, wenn keine aufdrängende Sonderzuweisung vorliegt. Diese ist nicht ersichtlich. § 40 I 1 VwGO normiert, dass es sich bei dem zugrundeliegenden Sachverhalt um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art handeln muss und es dürfte keine abdrängende Sonderzuweisung vorliegen. Die Verwaltungsgerichte sind jedoch nicht dazu berufen, die Entscheidungen höherer Gerichte auf inhaltliche Richtigkeit zu überprüfen. Denn § 40 I 1 VwGO gewährt in Übereinstimmung mit Art. 19 IV 1 GG gerade keinen Rechtsschutz gegen Entscheidungen, die ein Richter als Akt der rechtsprechenden Gewalt in Wahrnehmung seiner richterlichen Unabhängigkeit getroffen hat; Art. 19 IV GG gewährt nur Schutz „durch den Richter“, nicht jedoch auch Schutz „gegen den Richter“. In richterlicher Unabhängigkeit werden Richter insbesondere im Bereich der eigentlichen Rechtsprechung im Sinne streitentscheidender Urteils- oder Beschlussfassung tätig.[1]vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.09.2016 – BVerwG 1 AV 5.16 –, BeckRS 2016, 52761, Rn 6