{"id":3928,"date":"2022-09-21T07:00:00","date_gmt":"2022-09-21T05:00:00","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=3928"},"modified":"2022-10-11T08:04:33","modified_gmt":"2022-10-11T06:04:33","slug":"der-wechselgelderpresser","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/der-wechselgelderpresser\/","title":{"rendered":"Der Wechselgelderpresser"},"content":{"rendered":"

BGH, Urteil vom 15.4.2021 – 5 StR 371\/20; NStZ 2022, 106\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

Spätabends im Sommer ging A mit einer Bekannten B in den Stadtpark, um Marihuana zu kaufen. Dort trafen sie auf das spätere Opfer O, welcher ihnen 1 Gramm Marihuana für 10 Euro anbot. Daraufhin übergab A dem O einen 20 Euroschein. O wiederum übergab 1 Gramm Marihuana und das vermeintliche Wechselgeld, welches A beides schnell in die Hosentasche steckte, ohne die übergebenen Gegenstände zu sichten. Um nicht entdeckt zu werden, verließ A mit B den Stadtpark. Später fiel A auf, dass er 5 Euro zu wenig Wechselgeld von O erhalten hat. Im Verlauf des Abends traf A mit B wieder auf O und forderte diesen zur Herausgabe der fehlenden 5 Euro auf. Diese Forderung wies O jedoch zurück, woraufhin zunächst ein Wortgefecht folgte. Sodann packte A den O am Kragen, schubste ihn und schlug ihn mit der Faus mehrfach ins Gesicht. Daraufhin ergriff A eine kaputte Glasflasche und ging auf den O zu, der sich bei einer reflexartigen Bewegung seines linken Arms eine Schnittwunde zwischen Handgelenk und Unterarm zuzog. Nunmehr zogen die Begleiter des O diesen vom Geschehen weg. A erkannte, dass er das Geld nunmehr nicht erlangen kann. \n\n\n\n

Strafbarkeit des A nach dem StGB? Ggf. erforderliche Strafanträge sind gestellt.\n\n\n\n

Sachverhalt als .pdf\n\n\n\n
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Skizze\n\n\n\n\n\n

Gutachten\n\n\n\n

A. §§ 255, 253 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB\n\n\n\n

Indem A auf den O einschlug und ihn zur Herausgabe von 5 Euro aufforderte, könnte er sich wegen versuchter räuberischer Erpressung gemäß §§ 255, 253 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben. \n\n\n\n

I. Vorprüfung\n\n\n\n

O hat dem A das Wechselgeld nicht herausgegeben, sodass die Tat nicht vollendet wurde. Aufgrund des Verbrechenscharakters der räuberischen Erpressung ist ein dahingehender Versuch nach §§ 23 Abs. 1, 12 Abs. 1 StGB strafbar. \n\n\n\n

II. Tatentschluss \n\n\n\n

A müsste Tatentschluss im Hinblick auf eine räuberische Erpressung gehabt haben. Ein Tatentschluss fordert Vorsatz bzgl. der Verwirklichung der objektiven Tatbestandsmerkmale sowie das Vorliegen aller deliktsspezifischer subjektiven Merkmale. \n\n\n\n

1. Qualifiziertes Nötigungsmittel\n\n\n\n

Die Schläge des A vermittelten körperlichen Zwang, sodass A ein qualifiziertes Nötigungsmittel i.S.d. § 255 StGB einsetzte und dahingehend auch vorsätzlich handelte. \n\n\n\n

2. Kausale Opferreaktion\n\n\n\n

Die Gewalt gegen O übte A aus, um diesen zur Herausgabe des Geldes zu bewegen, sodass er sich auch eine kausale Opferreaktion vorstellte. Diese lässt sich sowohl unter eine Verfügung als auch unter ein Tun subsumieren, sodass der dahingehende Streit hier dahinstehen kann. \n\n\nAnmerkung: Streitdarstellung

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Auf den Streit war hier nicht näher einzugehen, da dieser in dem hiesigen Fall keine Auswirkung hat. In diesem Fall ist eine Streitdarstellung verfehlt, da dadurch die Schwerpunktsetzung leidet. Eine kurze Andeutung auf den Streit ist jedoch nicht verkehrt.
\n\n\n\nVernetztes Lernen: Welche Opferreaktion bedarf es bei einem Raub in Abgrenzung zur räuberischen Erpressung?

\nDiese Frage betrifft die Abgrenzung Raub und räuberische Erpressung. \n

Die Literatur vertritt den Standpunkt, dass die räuberische Erpressung mit dem Betrug verwandt ist und fordern damit eine Verfügung als Reaktion. \n

Die Rechtsprechung hingegen sieht eine Verwandtschaft zur Nötigung, sodass diese jedes Tun, Dulden und Unterlassen ausreichen lässt.\n

Gegen die Lit. spricht, dass die Erpressung kein echtes Selbstschädigungsdelikt ist und damit eine Parallele zu § 263 StGB nicht passend erscheint. Zudem spricht der Wortlaut von Tun, Dulden und Unterlassen, sodass die Rechtsprechung vorzugswürdig erscheint. Darüber hinaus privilegiert die Lit. den vis absoluta Täter. \n

Kurzformel zur Abgrenzung: \n

Lit. Wegnahme (§ 249) und Verfügung (§255)
\nRspr. obj. Nehmen (§ 249) und obj. Geben (§255)\n\n\n\n\n

3. Kausaler Vermögensschaden\n\n\n\n

Fraglich ist, ob sich A auch einen kausalen Vermögensschaden vorstellte. Ein Vermögensschaden bestimmt sich durch einen Vergleich der Vermögenspositionen vor und nach dem Opferverhalten. Ein Vermögensschaden ist danach gegeben, wenn nach einem solchen Vergleich ein negativer Saldo besteht. A stellte sich vor, dem O 5 Euro abzunehmen, welche sodann diesem fehlen würden. Daraus ergibt sich grds. ein negativer Saldo. \n\n\n\n

a. Vermögensbegriff\n\n\n\n

Zu fragen ist jedoch, ob dieser Betrag auch zum strafrechtlich geschützten Vermögen gehört. Der Vermögensbegriff wird dabei nicht einheitlich definiert. \n\n\n\n

Zum einen bestimmt sich der Begriff aus einer rein ökonomischen Sichtweise. Danach ist jeder geldwerte Gegenstand vom Vermögensbegriff umfasst. Somit wären die 5 Euro eindeutig als Vermögen zu qualifizieren und wären damit geschützt. \n\n\n\n

Eine Andere Ansicht nimmt eine juristisch-ökonomische Betrachtung vor, sodass jeder geldwerte Vorteil geschützt wird, welcher zum Wirtschaftsverkehr gehört und nicht von der Rechtsordnung missbilligt wird. Bei dieser Ansicht ist damit im nächsten Schritt zu fragen, ob hier das Wechselgeld aus einem Drogengeschäft von der Rechtsordnung missbilligt wird. \n\n\n\n

Zum Teil wird vertreten, dass Vermögensgegenstände, welche aus rechtswidrigen Geschäften herrühren und auch nach § 72 StGB eingezogen werden können, nicht von der Rechtsordnung geschützt werden.[1]vgl. Kindhäuser\/Wallau NStZ 2003, 153f.