{"id":3571,"date":"2022-08-18T19:45:33","date_gmt":"2022-08-18T17:45:33","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=3571"},"modified":"2022-08-19T12:50:49","modified_gmt":"2022-08-19T10:50:49","slug":"klimacamp","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/klimacamp\/","title":{"rendered":"Klimacamp"},"content":{"rendered":"

BVerwG, Urteil vom 24.05.2022– BVerwG 6 C 9.20; NVwZ 2022, 1197\n\n\n\n

Sachverhalt – gekürzt und abgewandelt\n\n\n\n

Die Klimaaktivistin K setzt sich seit Jahren gegen die Nutzung und Verstromung von Braunkohle und die damit einhergehende Zerstörung von Klima und Umwelt ein und möchte wie jedes Jahr wieder das mehrtägige „Klimacamp“ in Nähe des Braunkohletagebaus B organisieren. Dazu meldete sie ordnungsgemäß bei dem zuständigen Polizeipräsidium P für die Zeit vom 18. bis zum 29.08.22 eine öffentliche Versammlung an, wobei mit höchstens 6000 Teilnehmer*innen zu rechnen sei. Es würden Zirkuszelte, Feldküchen, Versorgungs- und Veranstaltungszelte, eine Bühne, eine Lautsprecheranlage, Generatoren und Komposttoiletten von der Veranstalterin aufgestellt. Thematisch sind fast alle Veranstaltungen auf klima- und umweltpolitische Fragen ausgerichtet. Ferner werde Platz für die als Schlafmöglichkeit notwendigen Zelte der Teilnehmer*innen und Sanitäranlagen vorgesehen. \n\n\n\n

P ist angesichts der Dauer der Veranstaltung skeptisch, ob es sich bei Protestcamps überhaupt um eine Versammlung handeln könne, erkennt diese aber trotzdem „vorsorglich“ als solche an. P und K einigen sich darauf, dass die Versammlung auf dem landwirtschaftlichen Grundstück G1 in der Stadt T und einem angrenzenden Sportplatz stattfinden wird, wobei die Teilnehmer*innen auf letzterem insbesondere ihre Schlafzelte errichten sollen. \n\n\n\n

Nachdem der Sportplatz mit Schlafzelten belegt war, gab K gegenüber ihren Mitstreiter*innen im Protestcamp ein weiteres, von ihr angemietetes, landwirtschaftliches Grundstück (G2) – das in 800 m Entfernung zu G1 liegt – als zusätzliche Fläche für das Aufstellen von Schlafzelten und Sanitäreinrichtungen frei. Mit Schreiben vom 22.8. teilte sie P mit, G2 sei nunmehr auch Teil des Klimacamps. Hierauf erließ P am gleichen Tag eine Verfügung, in der es G2 als Versammlungsfläche ablehnte und K auf die zwei „genehmigten“ Grundstücke (G1 und Sportplatz) verwies. K hätte keine Rechtsgrundlange dafür, das Grundstück G2, auf dem faktisch keine Versammlung durchgeführt werde, sondern nur Schlafzelte und Sanitäranlagen aufgestellt seien, dem (vorsorglich) als Versammlung bewerteten Klimacamp zugehörig zu erklären. Es handele sich bei einer solchen logistischen Grundstücksnutzung nicht um eine Versammlung, weswegen das allgemeine Ordnungsrecht anwendbar sei. \n\n\n\n

K möchte sich dies auch nach dem Klimacamp nicht gefallen lassen. Sie ist zwar schon skeptisch, ob P für die Verfügung vom 22.08. überhaupt eine Rechtsgrundlage besessen hat. Vielmehr stört sie im Hinblick auf die Klimacamps der nächsten Jahre aber, dass man ihrem Protestcamp dieses Mal die Versammlungseigenschaft nur „vorsorglich“ zugesprochen hat. K klagt daher vor dem örtlich zuständigen Verwaltungsgericht und begehrt die Feststellung, dass zum einen das Klimacamp natürlich eine Versammlung gewesen sei und zum anderen, dass die Verfügung vom 22.08. rechtswidrig gewesen sei, da das zweite, von ihr angemietete, landwirtschaftliche Grundstück (G2) auch der Versammlung zugehörig gewesen sei. Ohne die Schlafzelte und Sanitäranlagen wäre vielen Anreisenden eine Teilnahme am Klimacamp gar nicht möglich bzw. zumutbar gewesen. \n\n\n\n


Hat eine Klage der K vor dem Verwaltungsgericht Erfolg?\n\n\n\n

Bearbeitervermerk: Es ist davon auszugehen, dass das Bundesversammlungsgesetz gilt.\n\n\n\n

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Sachverhalt als .pdf\n\n\n\n
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Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten \n\n\n\n

Die Klage der K hat Erfolg, wenn sie zulässig und soweit sie begründet ist.\n\n\n\n

A. Zulässigkeit der Klage\n\n\n\n

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs\n\n\n\n

Der Verwaltungsrechtsweg müsste eröffnet sein. Mangels aufdrängender Sonderzuweisung ist § 40 I 1 VwGO heranzuziehen. Es handelt sich um eine versammlungsrechtliche Streitigkeit, wobei § 15 VersG und Art. 8 I GG Grundgesetz entscheidungserheblich sind. Mithin ist die Streitigkeit i.S.d. modifizierten Subjektstheorie öffentlich-rechtlicher, nicht verfassungsrechtlicher Natur. Eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht ersichtlich.  \n\n\n\n

II. Statthafte Klageart\n\n\n\n

Welche Klageart statthaft ist, bemisst sich gem. § 88 VwGO nach dem Klagebegehren. K begehrt Feststellung, dass es sich beim Klimacamp um eine Versammlung gehandelt hat und das zweite landwirtschaftliche Grundstück (G2) auch ein dem Klimacamp zugehöriges Versammlungsgrundstück war, weshalb die untersagende Verfügung rechtswidrig gewesen sei. \n\n\n\n

Mittlerweile ist das Klimacamp aber vergangen, der Streitgegenstand hat sich durch Zeitablauf erledigt. In Betracht käme daher eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 I 4 VwGO. Hier könnte jedoch als rechtsschutzopportunere Alternative eine Feststellungsklage aus § 43 I Alt. 1 VwGO über das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses in Betracht kommen. Im Fokus der K steht nämlich nicht die Rechtswidrigkeit der früheren Verfügung an sich, sondern die versammlungsspezifische Aufarbeitung der Streitigkeit im Gesamten, also die Feststellung der Versammlungseigenschaft bzw. des Versammlungsschutzes. Ein Rechtsverhältnis umfasst dabei jede auf einem konkreten, öffentlich-rechtlich geprägten Sachverhalt beruhende Beziehung zwischen zwei Personen oder einer Person und einer Sache. Zwischen K und P ist jedenfalls dadurch eine Rechtsbeziehung entstanden, dass P am 22.08. festgestellt hatte, dass das zweite landwirtschaftliche Grundstück G2 der K nicht den speziellen Bestimmungen und damit dem Schutz des Versammlungsgesetzes als Ausgestaltung des Art. 8 GG unterfiele.\n\n\n\n

Grundsätzlich besteht eine Subsidiarität einer solchen Feststellungsklage nach § 43 II 1 VwGO.[1]Bzgl. der Fortsetzungsfeststellungsklage strittig: m.w.N. Detterbeck, Verwaltungsrecht, 20. Aufl. 2022, Rn. 1421.