{"id":3512,"date":"2022-07-31T03:15:18","date_gmt":"2022-07-31T01:15:18","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=3512"},"modified":"2022-11-07T03:48:23","modified_gmt":"2022-11-07T02:48:23","slug":"die-unklare-widerrufsbelehrung","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/die-unklare-widerrufsbelehrung\/","title":{"rendered":"Die unklare Widerrufsbelehrung"},"content":{"rendered":"

BGH, Urteil vom 27.10.2020 \u2013 XI ZR 498\/19<\/a>; NJW 2021, 307<\/strong><\/p>\n\n\n\n

Sachverhalt<\/strong><\/h1>\n\n\n\n

(abge\u00e4ndert)<\/p>\n\n\n\n

Teil 1<\/span><\/strong><\/p>\n\n\n\n

K erwarb im Juli 2021 ein gebrauchtes Kfz zum Preis von 32.500\u20ac f\u00fcr den Privatgebrauch vom Kfz-H\u00e4ndler B. Zur Finanzierung des \u00fcber die Anzahlung von 10.000\u20ac hinausgehenden Kaufpreises schloss K mit dem Unternehmer B am 08.07.2021 einen Darlehensvertrag \u00fcber 22.500\u20ac zu einem gebundenen Sollzinssatz von 0,98% pro Jahr. Dabei vereinbarten B und K, dass K die Zins- und Tilgungsleistungen \u00fcber einen Zeitraum von 54 Monaten zu erbringen habe. Auf S.4 des Darlehensvertrages informierte B den K \u00fcber den Beginn der Frist des K zustehenden Widerrufsrechts wie folgt:<\/p>\n\n\n\n

\u201eSie k\u00f6nnen Ihre<\/em> Vertragserkl\u00e4rung innerhalb von 14 Tagen ohne Angabe von Gr\u00fcnden widerrufen. Die Frist beginnt nach Abschluss des Vertrages, aber erst, nachdem Sie alle Pflichtangaben nach \u00a7 492 II BGB<\/a> (z.B. Angabe und Art des Darlehens, Angabe zum Nettodarlehensbetrag, Angabe zur Vertragslaufzeit) erhalten haben. [\u2026]\u201c<\/em><\/p>\n\n\n\n

Mit Schreiben vom 16.04.2022 erkl\u00e4rte K den Widerruf seiner auf Abschluss des Darlehensvertrages gerichteten Willenserkl\u00e4rung. Im gleichen Schreiben forderte K den B zur R\u00fcckzahlung der Anzahlung und der bisher erbrachten Tilgungsleistungen auf. B wies den Widerruf als verfristet zur\u00fcck. K ist hingegen der Ansicht, dass sein Widerruf gar nicht verfristet sein k\u00f6nne. Schlie\u00dflich sei er nicht hinreichend \u00fcber die Voraussetzungen des Fristbeginns seines Widerrufsrechts aufgekl\u00e4rt worden. Der blo\u00dfe Verweis auf \u00a7 492 II BGB<\/a>, der wiederum auf Art. 247<\/a> \u00a7 6 EGBGB verweist, sei nicht hinreichend \u201eklar und verst\u00e4ndlich\u201c i.S.d. Art. 247<\/a> \u00a7 6 I EGBGB, so dass die Widerrufsfrist noch gar nicht zu laufen begonnen habe. B sieht den Widerruf weiterhin als verfristet an und erkl\u00e4rt au\u00dferdem erst einmal \u201e\u00fcberhaupt nichts\u201c leisten zu wollen, bis das Kfz wieder bei ihm auf dem Hof steht. Au\u00dferdem erkl\u00e4rt er f\u00fcr den Fall, dass er dann tats\u00e4chlich gezwungen w\u00e4re etwas zur\u00fcckzuzahlen bereits die Aufrechnung mit den Forderungen, die ihm im Falle eines Widerrufs gegen\u00fcber K zust\u00fcnden.<\/p>\n\n\n\n

Aufgabe 1: Hat K gegen B einen Anspruch auf R\u00fcckzahlung der Anzahlung in H\u00f6he von 10.000,00\u20ac<\/strong> und der von ihm bereits erbrachten<\/strong> Zins- und Tilgungsleistungen in H\u00f6he von 10.417,65\u20ac? <\/strong>Hinweis: Gehen Sie bei der Bearbeitung davon aus, dass B die gem. \u00a7 356b I BGB<\/a> erforderliche Abschrift inklusive der im Sachverhalt aufgef\u00fchrten Widerrufsbelehrung unmittelbar nach Vertragsschluss erhalten hat. Nehmen Sie au\u00dferdem an, dass die Gesetzlichkeitsfiktion des Art. 247<\/a> \u00a7 6 II 3 EGBGB nicht greift.<\/p>\n\n\n\n

Teil 2<\/span><\/strong><\/p>\n\n\n\n

Nachdem B den Widerruf erneut als nicht fristgem\u00e4\u00df zur\u00fcckgewiesen hatte, bot K der B mit anwaltlichem Schreiben vom 28.05.2022 an, das Kfz nach vorheriger Terminvereinbarung bei ihm abzuholen und forderte ihn abermals erfolglos zur R\u00fcckzahlung der von ihm erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen nebst Anzahlung auf. Daraufhin erhob K Klage auf R\u00fcckzahlung \u201enach Empfang\u201c des Kfz durch B beim zust\u00e4ndigen Landgericht. In der Klageerwiderung wiederholte A, der Anwalt des B, dessen Bedenken hinsichtlich des Widerrufs. Au\u00dferdem erkl\u00e4rte er hilfsweise f\u00fcr den Fall der Begr\u00fcndetheit der Klage des B die Aufrechnung des von B geltend gemachten Anspruchs auf R\u00fcckzahlung der Anzahlung i.H.v. 10.000\u20ac gegen einen (in der Klageerwiderung konkret benannten) Anspruch auf Ersatz der zwischenzeitlichen Wertminderung des Kfz. Die Wertminderung des Kfz im ma\u00dfgeblichen Zeitraum betr\u00e4gt 1.400,00\u20ac. A erkl\u00e4rt die Hilfsaufrechnung au\u00dferdem in der folgenden m\u00fcndlichen Verhandlung. Im Rahmen der m\u00fcndlichen Verhandlung beruft sich A au\u00dferdem auf das Leistungsverweigerungsrecht des B.<\/p>\n\n\n\n

Aufgabe 2: <\/strong>Angenommen K hat den fraglichen Darlehensvertrag wirksam widerrufen: Hat die zul\u00e4ssige Klage des K Aussicht auf Erfolg? <\/strong><\/p>\n\n\n\n

Aufgabe 3: Wie w\u00e4ren die Erfolgsaussichten der Klage aus Aufgabe 2 zu bewerten, wenn K dem B das Kfz am 28.05.2022 bei dessen Autohaus angeboten h\u00e4tte, B die Annahme des Kfz allerdings mit Verweis auf die Widerrufsfrist abgelehnt h\u00e4tte?<\/strong><\/p>\n\n\n\n

Art. 10 Richtlinie 2008\/48\/EG<\/strong><\/p>\n\n\n\n

[…]

(2) Im Kreditvertrag ist in klarer, pr\u00e4gnanter Form Folgendes anzugeben:

[…]

p) das Bestehen oder Nichtbestehen eines Widerrufsrechts sowie die Frist und die anderen
Modalit\u00e4ten f\u00fcr die Aus\u00fcbung des Widerrufsrechts, einschlie\u00dflich der Angaben zu der
Verpflichtung des Verbrauchers, das in Anspruch genommene Kapital zur\u00fcckzuzahlen, den
Zinsen gem\u00e4\u00df Art. 14 Absatz 3 Buchstabe b und der H\u00f6he der Zinsen pro Tag.
<\/span>
<\/p>\n\n\n\n

Art. 14 Richtlinie 2008\/48\/EG<\/strong><\/p>\n\n\n\n

(1) Der Verbraucher kann innerhalb von vierzehn Kalendertagen ohne Angabe
von Gr\u00fcnden den Kreditvertrag widerrufen.

Diese Widerrufsfrist beginnt

a) entweder am Tag des Abschlusses des Kreditvertrags oder
b) an dem Tag, an dem der Verbraucher die Informationen gem\u00e4\u00df Artikel 10 erh\u00e4lt, sofern
dieser nach dem in Buchstabe a des vorliegenden Unterabsatzes genannten Datum liegt.

[…]
<\/p>\n\n\n\n

Skizze<\/h1>\n\n\n\n\n\n
\n\n\n\n

Gutachten<\/strong><\/h1>\n\n\n\n

Aufgabe 1<\/strong><\/h1>\n\n\n\n

A. R\u00fcckgew\u00e4hranspr\u00fcche des K, (\u00a7 358 IV BGB<\/a> i.V.m.) \u00a7 355 III 1 BGB<\/a><\/strong><\/h2>\n\n\n\n

K k\u00f6nnten gegen B gem. (\u00a7 358 IV BGB<\/a> i.V.m.) \u00a7 355 III 1 BGB<\/a> Anspr\u00fcche auf R\u00fcckgew\u00e4hr von Anzahlung und bereits erbrachter Zins- und Tilgungsleistung in H\u00f6he von insgesamt 20.417,65\u20ac zustehen.<\/p>\n\n\n\n

I. Anspr\u00fcche entstanden<\/strong><\/h3>\n\n\n\n

Dies w\u00fcrde zun\u00e4chst voraussetzen, dass die entsprechenden Anspr\u00fcche des K \u00fcberhaupt entstanden sind.<\/p>\n\n\n\n

Daf\u00fcr m\u00fcsste K seine auf den Abschluss des Darlehensvertrages gerichtete Willenserkl\u00e4rung wirksam i.S.d. \u00a7 355 I 1 BGB<\/a> widerrufen haben. Dies setzt wiederum voraus, dass K ein Verbraucher ist, der ein ihm gegen\u00fcber einem Unternehmer zustehendes gesetzliches Widerrufsrecht i.S.d. \u00a7 355 I 1 BGB<\/a> fristgem\u00e4\u00df ausge\u00fcbt hat.<\/p>\n\n\n\n

1. Verbrauchervertrag<\/strong><\/h4>\n\n\n\n

K finanziert durch den in Frage stehenden Darlehensvertrag ein Kfz f\u00fcr den Privatgebrauch und ist somit gem. \u00a7 13 BGB<\/a> Verbraucher; B ist Unternehmer i.S.d. \u00a7 14 BGB<\/a>.<\/p>\n\n\n\n

2. Gesetzliches Widerrufsrecht<\/strong> i.S.d. \u00a7 355 I 1 BGB<\/a><\/strong><\/h4>\n\n\n\n

Ein gesetzliches Widerrufsrecht i.S.d. \u00a7 355 I 1 BGB<\/a> w\u00fcrde dem K gem. \u00a7 495 I BGB<\/a> jedenfalls dann zustehen, wenn es sich bei dem zwischen K und B geschlossenen Darlehensvertrag um einen Verbraucherdarlehensvertrag i.S.d. \u00a7 491 BGB<\/a> handeln w\u00fcrde und der Widerruf nicht gem. \u00a7 495 II BGB<\/a> ausgeschlossen w\u00e4re.<\/p>\n\n\n\n

Da der zwischen Verbraucher K und Unternehmer B geschlossene Darlehensvertrag (\u00a7 488 BGB<\/a>) in Ansehung des vereinbarten Sollzinssatzes entgeltlich i.S.d. \u00a7 491 II ist und keiner der in \u00a7 491 II BGB<\/a> aufgef\u00fchrten Ausschlussgr\u00fcnde einschl\u00e4gig ist, handelt es sich um einen (Allgemein-)Verbraucherdarlehensvertrag i.S.d. \u00a7 491BGB, auf welchen \u00a7 495 BGB<\/a> anwendbar ist. Das Widerrufsrecht ist auch nicht gem. \u00a7 495 II BGB<\/a> ausgeschlossen.<\/p>\n\n\n\n

Somit steht K gem. \u00a7 495 I BGB<\/a> ein Widerrufsrecht i.S.d. \u00a7 355 I 1 BGB<\/a> zu.<\/p>\n\n\n\n

3. Fristgem\u00e4\u00dfe Widerrufserkl\u00e4rung, \u00a7 355 I 1-3 BGB<\/a><\/strong><\/h4>\n\n\n\n

K h\u00e4tte das ihm zustehende Widerrufsrecht gem. \u00a7 355 I 1-3 BGB<\/a> allerdings nur dann wirksam ausge\u00fcbt, wenn er den Widerruf fristgerecht und hinreichend deutlich gegen\u00fcber B erkl\u00e4rt h\u00e4tte. K hat den Widerruf mit Schreiben vom 16.04.2022 gegen\u00fcber B i.S.d. \u00a7 355 I 2 BGB<\/a> erkl\u00e4rt, wobei sein Entschluss zum Widerruf des Vertrages mit der in \u00a7 355 I 3 BGB<\/a> geforderten Deutlichkeit hervorgetreten. Fraglich ist allerdings, ob der Widerruf des K noch fristgerecht i.S.d. \u00a7 355<\/a> I 1, 5 BGB<\/a> erfolgt ist.<\/p>\n\n\n\n

a) Wahrung der Frist aus \u00a7 355 II BGB<\/a><\/strong><\/h5>\n\n\n\n

Gem. \u00a7 355 II BGB<\/a> betr\u00e4gt die Widerrufsfrist 14 Tage und beginnt grds. mit dem Vertragsschluss. Legt man dies zugrunde, h\u00e4tte die Widerrufsfrist als Ereignisfrist gem. \u00a7 187 I BGB<\/a> am Tag nach dem Vertragsschluss (08.07.2021) und somit am 09.07.2021 begonnen. Gem. \u00a7 188 I BGB<\/a> w\u00fcrde die Widerrufsfrist demnach am 22.07.2021 enden und der Widerruf des K w\u00e4re nicht fristgerecht erfolgt.<\/p>\n\n\n\n

b) Versp\u00e4teter Fristbeginn gem. \u00a7 356b II BGB<\/a> i.V.m. \u00a7 492 II BGB<\/a> i.V.m. Art. 247<\/a> \u00a7 6 II EGBGB<\/strong><\/h5>\n\n\n\n

Allerdings beginnt die Frist f\u00fcr den Widerruf von Verbraucherdarlehensvertr\u00e4gen abweichend von \u00a7 355 II BGB<\/a> gem. \u00a7 356b BGB<\/a> erst dann zu laufen, wenn die dort beschriebenen Erfordernisse eingetreten sind. Die nach \u00a7 356b I BGB<\/a> erforderliche Abschrift des Darlehensvertrages hat K unmittelbar nach Vertragsschluss erhalten. Fraglich ist allerdings, ob diese Abschrift auch die gem. \u00a7 356b II 1 BGB<\/a> erforderlichen Pflichtangaben i.S.d. \u00a7 492 II BGB<\/a> i.V.m. Art. 247<\/a> \u00a7\u00a7 6-13 EGBGB enthielt.<\/p>\n\n\n\n

Dabei besteht grds. kein Zweifel daran, dass der Darlehensvertrag alle von \u00a7 492 II BGB<\/a> i.V.m. Art. 247<\/a> \u00a7\u00a7 6-13 EGBGB geforderten Pflichtangaben enth\u00e4lt. Insbesondere wurde K im Rahmen der im Zuge des Vertragsschlusses erfolgten Widerrufsbelehung darauf hingewiesen, dass seine Widerrufsfrist erst mit dem Erhalt aller nach \u00a7 492 II BGB<\/a> erforderlichen Pflichtangaben zu laufen beginnt (Pflichtangabe i.S.d. \u00a7 492 II BGB<\/a> i.V.m. Art. 247<\/a> \u00a7 6 II EGBGB). Fraglich ist allerdings, ob der blo\u00dfe Verweis auf die von \u00a7 492 II BGB<\/a> geforderten Pflichtangaben den an diese Information zu stellenden formellen Anforderungen Gen\u00fcge tut. Dies w\u00e4re jedenfalls dann nicht der Fall, wenn diese Information dem Verbraucher in \u201eklarer und verst\u00e4ndlicher\u201c Form dargetan werden m\u00fcsste und dies \u2013 wie von K moniert \u2013 im vorliegenden Fall tats\u00e4chlich nicht erfolgt w\u00e4re.<\/p>\n\n\n\n

aa) Pflicht zur klaren und verst\u00e4ndlichen Aufkl\u00e4rung<\/strong><\/h6>\n\n\n\n

Art. 247<\/a> \u00a7 6 I 1 EGBGB enth\u00e4lt eine Aufz\u00e4hlung von Angaben, welche ein Verbraucherdarlehensvertrag in klarer und verst\u00e4ndlicher Form enthalten m\u00fcsste. Die Pflicht zur Angabe der Modalit\u00e4ten der Widerrufsfrist ist in diesem Katalog hingegen nicht enthalten, sondern findet sich in Art. 247<\/a> \u00a7 6 II EGBGB. Aus Wortlaut und Systematik des Art. 247<\/a> \u00a7 6 II EGBGB geht nicht klar hervor, ob das Erfordernis der Klarheit und Verst\u00e4ndlichkeit aus Art. 247<\/a> \u00a7 6 I 1 EGBGB auch auf Art. 247<\/a> \u00a7 6 II EGBGB anzuwenden ist. Zu beachten ist allerdings, dass Art. 247<\/a> \u00a7 6 II EGBGB die Umsetzung von Art. 10 II lit. p) RL 2008\/48\/EG darstellt, der festsetzt, dass die Modalit\u00e4ten zum Widerrufsrecht in \u201eklarer, pr\u00e4gnanter Form\u201c anzugeben sind.[1]<\/sup><\/a>Vgl. EuGH, Urteil vom 09.11.2016, Home Credit Slovakia, C-42\/15<\/a>, EU:C:2016:842<\/a>, Rn.32; vgl. EuGH, Urteil vom 22.03.2020, Sparkasse Saarlouis, C-66\/19<\/a>, EU:C:2020:242<\/a>, Rn.33, 39<\/span><\/span>