{"id":3472,"date":"2022-07-22T17:50:59","date_gmt":"2022-07-22T15:50:59","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=3472"},"modified":"2022-08-19T12:48:45","modified_gmt":"2022-08-19T10:48:45","slug":"maskenpflicht-in-der-universitaet","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/maskenpflicht-in-der-universitaet\/","title":{"rendered":"Maskenpflicht in der Universität"},"content":{"rendered":"

VG Gießen, Beschluss vom 02.05.2022 – 3 L 793\/22.GI; BeckRS 2022, 9519 und VG Gießen Beschluss vom 16.5.2022 – 3 L 998\/22.GI; BeckRS 2022, 12828\n\n\n\n

Sachverhalt \n\n\n\n

(abgewandelt und gekürzt)\n\n\n\n

Der A ist Student an der Universität U in Land N. A ist der Meinung, dass Masken nicht zur Eindämmung der Corona-Pandemie beitragen. Schon gar nicht möchte er durch die Maske an seinem Studium gehindert werden. Am 01. April erlässt die Universität U eine Allgemeinverfügung („Allgemeinverfügung zur Infektionsvermeidung mit dem Coronavirus an der U-Universität“), in der unter anderem eine Verpflichtung normiert ist, in den Gebäuden der Universität grundsätzlich eine medizinische Maske zu tragen. Die U ordnet die sofortige Vollziehung der Verfügung an und begründete dies ordnungsgemäß damit, dass sie den Schutz der Gesundheit ihrer Mitglieder und Angehörigen sicherstellen müsse.\n\n\n\n

Der A ist empört über die Allgemeinverfügung und wendet sich am 14. April 2022 gegen die sofortige Vollziehbarkeit der in der Allgemeinverfügung der Universität U vom 01. April 2022 enthaltenen Verpflichtung zum Tragen einer medizinischen Maske. Zur Begründung verwies er darauf, dass es bereits an einer entsprechenden Ermächtigungsgrundlage fehle. Das Auferlegen einer Maskenpflicht komme nur noch in den in § 28a Abs. 7 Nr. 1 Infektionsschutzgesetz (IfSG) genannten Bereichen in Betracht, wozu die Hochschulen jedoch nicht zählten. Mit dem Wegfall einer entsprechenden Ermächtigung in der landesrechtlichen Coronavirus-Schutzverordnung bleibe auch der Universität U die Anordnung einer Maskenpflicht verwehrt. Zudem sieht sich der A durch das Tragen der Maske in seiner Handlungsfreiheit eingeschränkt. Dem entgegnet die Universität U mit dem Argument, dass soweit sich die Maskenpflicht auf die Studierenden erstrecke, stütze sich die Anordnung auf § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VII. Nach der Norm sei sie ermächtigt zum Schutz der Studierenden Unfallverhütungsvorschriften zu erlassen. Die Universität wendet ein, dass sie ansonsten die Allgemeinverfügung auf das Hausrecht stützen würde. Eine Klage in der Hauptsache reicht der A noch nicht ein.\n\n\n\n

Hat der Antrag des A Aussicht auf Erfolg?\n\n\n\n

(Anmerkung: In dem Land N ist kein Vorverfahren durchzuführen)\n\n\n\n

§ 1 Tragen einer medizinischen Maske (Allgemeinverfügung)\n\n\n\n

(1) In den Gebäuden der Universität U ist grundsätzlich eine OP-Maske oder Schutzmaske der Standards FFP2, KN95, N95 oder vergleichbar ohne Ausatemventil (medizinische Maske) zu tragen. Die Maskenpflicht besteht grundsätzlich auch am Platz.\n\n\n\n

(2) Abweichend von Abs. 1\n\n\n\n

1. kann die Maske am Platz abgenommen werden, solange ein Mindestabstand von 1,5 m zu weiteren Personen sicher und dauerhaft eingehalten werden kann und eine ausreichende Lüftung gewährleistet ist;\n\n\n\n

2. kann die Maske während sportlicher Aktivitäten abgenommen werden, sofern dies die verantwortliche Übungsleitung entscheidet;\n\n\n\n

3. können Vortragende für die Dauer ihres Vortrags die Maske im Veranstaltungsraum abnehmen, sofern der Mindestabstand zu anderen Personen von 1,5 m dauerhaft eingehalten werden kann;\n\n\n\n

4. können Personen für die Dauer des Trinkens und Essens die Maske abnehmen, sofern ein Mindestabstand von 1,5 m zu anderen Personen sicher eingehalten werden kann.\n\n\n\n

(3) Werden im Rahmen von Treffen oder Veranstaltungen Getränke oder Speisen gereicht, sind die Leitlinien zur Infektionsvermeidung mit dem Coronavirus für Veranstaltungen der U-Universität (PDF) zu beachten.\n\n\n\n

§ 15 Unfallverhütungsvorschriften (SGB VII)\n\n\n\n

(1) Die Unfallversicherungsträger können unter Mitwirkung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung e. V. als autonomes Recht Unfallverhütungsvorschriften über Maßnahmen zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren oder für eine wirksame Erste Hilfe erlassen, soweit dies zur Prävention geeignet und erforderlich ist und staatliche Arbeitsschutzvorschriften hierüber keine Regelung treffen; in diesem Rahmen können Unfallverhütungsvorschriften erlassen werden über\n\n\n\n

1. Einrichtungen, Anordnungen und Maßnahmen, welche die Unternehmer zur Verhütung von Arbeitsunfällen, Berufskrankheiten und arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren zu treffen haben, sowie die Form der Übertragung dieser Aufgaben auf andere Personen,\n\n\n\n

[…]\n\n\n\n

§ 44 Präsidentin oder Präsident (Hochschulgesetz des Landes N; im Originalfall war es § 44 HHG)\n\n\n\n

(1) 1Die Präsidentin oder der Präsident vertritt die Hochschule nach außen. 2Sie oder er ist Dienstvorgesetzte oder -vorgesetzter des Personals der Hochschule und wird insoweit von der Kanzlerin oder dem Kanzler vertreten. 3Das Aufsichts- und Weisungsrecht schließt die ordnungsgemäße Wahrnehmung der vom Fachbereich übertragenen Lehr- und Prüfungsaufgaben ein. 4Sie oder er wahrt die Ordnung an der Hochschule und entscheidet über die Ausübung des Hausrechts.\n\n\n\n[…]\n\n\n\n

Sachverhalt als.pdf\n\n\n\n

Skizze\n\n\n\n\n\n
\n\n\n\n

Gutachten\n\n\n\n

Der Antrag des A hat Aussicht auf Erfolg, wenn dieser zulässig und soweit er begründet ist.\n\n\n\n

A. Zulässigkeit\n\n\n\n

Zunächst müsste der Antrag des A zulässig sein.\n\n\n\n

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs \n\n\n\n

Der Verwaltungsrechtsweg müsste eröffnet sein. Wenn keine aufdrängende Sonderzuweisung vorliegt, müsste es sich nach § 40 I S. 1 VwGO bei dem zugrundeliegenden Sachverhalt um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nicht-verfassungsrechtlicher Art handeln und es dürfte keine abdrängende Sonderzuweisung vorliegen. Eine aufdrängende Sonderzuweisung ist nicht ersichtlich, sodass sich der Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs nach der sog. Generalklausel nach § 40 I S. 1 VwGO richtet.\n\n\n\n

Eine Streitigkeit ist nach der modifizierten Subjektstheorie öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidende Norm eine solche des öffentlichen Rechts ist, also einen Hoheitsträger berechtigt oder verpflichtet.[1]Reimer, in: BeckOK VwGO, 61. Ed. 01.04.2022, § 40 Rn. 45.4.