{"id":3227,"date":"2022-06-03T13:21:55","date_gmt":"2022-06-03T11:21:55","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=3227"},"modified":"2022-06-15T11:48:14","modified_gmt":"2022-06-15T09:48:14","slug":"der-verantwortungsvolle-pfleger","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/der-verantwortungsvolle-pfleger\/","title":{"rendered":"Der verantwortungsvolle Pfleger"},"content":{"rendered":"

BGH, Beschluss vom 26.5.2020 − 2 StR 434\/19 – BGH NStZ 2021, 164\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

Der P ist Pfleger in einem Altenpflegeheim, in dem der an Lungenkrebs im Endstadium erkrankte O untergebracht ist. Der Zustand des O verschlechtert sich fortlaufend. Eine Heilung ist gänzlich ausgeschlossen. Die behandelnde Ärztin Z verordnet Schmerzmittel (5 mg Morphin maximal alle vier Stunden) nach Rücksprache mit dem O und auf Grundlage seiner Patientenverfügung. In beidem hat O deutlich gemacht, dass er selbst zum Preis einer Lebenszeitverkürzung die Gabe von schweren Opiaten wünscht, um ihn vor Schmerzen zu bewahren. Als O eines morgens wieder heftige Schmerzen plagen, gibt P 10 mg Morphin. Die erhöhte Dosis gibt er trotz anders lautender Verordnung durch Z und obwohl die Gabe von 5 mg am vorherigen Abend eine hinreichende Schmerzlinderung bewirkt hat. P weiß auch, dass O generell noch nicht an die Gabe von Opiaten gewöhnt ist, will aber an diesem morgen sicher gehen und den Leidenszustand von O bekämpfen. Es lässt sich jedoch sagen, dass eine Anordnung von 10 mg Morphin in Anbetracht des Zustandes des O noch im Rahmen des medizinisch vertretbaren liegt. P hätte die Möglichkeit gehabt, einen Arzt zur Erhöhung der Dosis zu rufen. Er fragte O dabei nicht, ob dieser überhaupt eine Spritze wollte, weil er im Schmerzdelirium nicht mehr ansprechbar ist. Auf Grund der Verabreichung der 10 mg ging das Schmerzempfinden stärker zurück als bei der Verabreichung von 5 mg. Auch hat sich die Atmung des O verflacht. Einige Stunden später verstirbt O, ohne dass sich feststellen lässt, dass die Morphingabe todesursächlich gewesen war. Eine Lebenszeitverkürzung war durch den P zu keinem Zeitpunkt auch nur billigend in Kauf genommen.\n\n\n\n

Strafbarkeit des P?\n\n\n\n

Sachverhalt als .pdf\n\n\n\n
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Skizze\n\n\n\n\n\n

Gutachten\n\n\n\n

A. Strafbarkeit gem. § 212 I StGB \/ §§ 212 I, 22, 23 I StGB\n\n\n\n

Eine Strafbarkeit wegen eines Tötungsdelikts scheidet hier schon aus, weil sich die Lebenszeitverkürzung, also der Eintritt des Todeserfolges nicht nachweisen lässt. Eine Versuchsstrafbarkeit scheitert mangels billigender Inkaufnahme einer Lebenszeitverkürzung. \n\n\nAnmerkung: Feststellungen des Gerichts

\nIn der Entscheidung finden sich keine tatrichterlichen Ausführungen zum Tötungsvorsatz des P. Daher erklärt es sich in Anbetracht des Geschehens keinesfalls von selbst, dass ein versuchter Totschlag ausscheidet.
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B. Strafbarkeit gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 1, Nr. 5 StGB\n\n\n\n

In Betracht kommt aber eine Strafbarkeit des P wegen gefährlicher Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 1, Nr. 2, Nr. 5 StGB, indem er dem O, ohne diesen zu fragen oder Rücksprache mit der behandelnden Ärztin Z zu halten, 10 mg Morphin spritzte. \n\n\n\n

I. Tatbestand\n\n\n\n

1. Grundtatbestand des § 223 StGB\n\n\n\n

Die Gabe der 10 mg Morphin erfüllten jedenfalls das Tatbestandsmerkmal der Gesundheitsschädigung, da in der verflachten Atmung ein vom Normalzustand abweichender Zustand zu sehen ist.[1]Dazu ausführlicher BGH NStZ 2020, 29, 30; Eisele, JuS 2021, 181, 182.