{"id":3192,"date":"2022-05-19T00:26:58","date_gmt":"2022-05-18T22:26:58","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=3192"},"modified":"2022-07-24T12:08:15","modified_gmt":"2022-07-24T10:08:15","slug":"schadensersatz-bei-verweigerung-des-gesetzlichen-einvernehmens","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/schadensersatz-bei-verweigerung-des-gesetzlichen-einvernehmens\/","title":{"rendered":"Schadensersatz bei Verweigerung des gemeindlichen Einvernehmens"},"content":{"rendered":"

BGH, Urt. v. 21.10.2021 – III ZR 166\/20, BeckRS 2021, 37793\n\n\n\n

Sachverhalt \n\n\n\n

(abgewandelt und gekürzt)\n\n\n\n

Die Wind AG (im weiteren W-AG) plant die Errichtung eines Windparks mit fünf auf dem Gebiet der Gemeinde G (im weiteren G) gelegenen Windenergieanlagen. Die Anlagen (WEA1-WEA5) sollen knapp 150 m hoch und in einem Abstand von etwa 700 m zur nächsten Siedlung, in einem raumordnungsrechtlichen Eignungsgebiet für die Windenergienutzung, im Außenbereich nach § 35 BauGB errichtet werden.\n\n\n\n

Nach Abschnitt 3.1 des geltenden gemeinsamen Runderlasses von Staatskanzlei und drei Ministerien des Landes über „Grundsätze zur Planung von und zur Anwendung der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung bei Windkraftanlagen“ sollte „bei Neuausweisung von Eignungsgebieten oder der Erweiterung bestehender Gebiete“ von einem Mindestabstand der Anlage von 800 m zur nächsten Siedlung auszugehen sein; im Übrigen sollte nach Abschnitt 2.2 „in Genehmigungsverfahren“ in der Regel ein Abstand vom Dreifachen der Anlagengesamthöhe zu bewohnten Gebäuden nicht unterschritten werden. Im Juli 2017 beantragte die W-AG beim zuständigen Landesamt für Landschaft, Umwelt und ländliche Räume (im weiteren LLUR) die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Anlage, worauf diese mit Schreiben vom 1. August 2017 die G um Erteilung ihres gemeindlichen Einvernehmens nach § 36 BauGB bat. Die G verweigerte ihr Einvernehmen mit Schreiben mit der Begründung, die geplanten Anlagen halten den Mindestabstand von 800 m gemäß Abschnitt 3.1. des Runderlasses nicht ein. Der daraufhin vom LLUR eingeschaltete Landrat des Kreises ersetzte mit Bescheid unter Anordnung des Sofortvollzugs das Einvernehmen der Beklagten mit dem Hinweis darauf, dass die geplante Anlage den Mindestabstand nach Abschnitt 2.2 des Runderlasses wahre und Abschnitt 3.1 insoweit allenfalls eine Empfehlung für die Ausweisung neuer Eignungsflächen enthalte. Hiergegen erhob die G Widerspruch und beantragte vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutz. Außerdem ordnete ihr Bürgermeister am 30. April 2018 per Eilentscheidung für das Gebiet des vorgesehenen Anlagenstandorts eine Änderung des Flächennutzungsplans, die Aufstellung eines Bebauungsplans und eine Veränderungssperre an. Mit Wirkung vom 5. Juni 2018 wurde § 18a in das Gesetz über die Landesplanung (Landesplanungsgesetz – LaPlaG) eingefügt. Absatz 1 Satz 1 dieser Vorschrift gab der Landesplanungsbehörde auf, unverzüglich Verfahren zur Neuaufstellung oder Fortschreibung von Raumordnungsplänen einzuleiten, um Vorgaben zur Steuerung der Errichtung von raumbedeutsamen Windkraftanlagen zu entwickeln. Zur Sicherung dieser überörtlichen Planung erklärte § 18a I 2 LaPlaG raumbedeutsame Windkraftanlagen im gesamten Landesgebiet für vorläufig unzulässig. Unter Verweis auf dieses landesweite Moratorium lehnte das LLUR mit Bescheid vom 14. Oktober 2018 den Antrag der W-AG auf Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ab. Hiergegen erhob die W-AG nach erfolglosem Widerspruch Verpflichtungsklage zum Verwaltungsgericht, über die noch nicht entschieden ist. Die W-AG macht nun geltend, sie hätte im vereinfachten Verfahren binnen drei Monaten nach Antragstellung, also bis zum Oktober 2017 und damit noch vor Inkrafttreten des Moratoriums, die Genehmigung nach § 4 BImSchG erhalten, wenn die beklagte Gemeinde ihr Einvernehmen nicht amtspflichtwidrig versagt hätte.\n\n\n\n

Die Wind-AG begehrt die Feststellung, dass die Beklagte ihr zum Ersatz sämtlicher daraus entstandener und künftig noch entstehender Schäden verpflichtet ist. Zu Recht?\n\n\n\n

§ 1 Landesverordnung zur Übertragung von Zuständigkeiten auf nachgeordnete Behörden\n\n\n\n

(1) Die Landrätinnen und Landräte sind zuständig für die Aufgaben der höheren Verwaltungsbehörde nach § 10 Abs. 2, § 18 Abs. 2 Satz 4, § 28 Abs. 3 Satz 8 in Verbindung mit § 43 Abs. 2 Satz 1, § 28 Abs. 6 Satz 3, § 190 Abs. 1 Satz 1 und § 204 Abs. 3 Satz 3 des Baugesetzbuchs für Gemeinden, über die sie die Kommunalaufsicht ausüben.\n\n\n\n

(2) Zuständige Behörden nach § 36 Abs. 2 Satz 3 des Baugesetzbuchs sind die Kommunalaufsichtsbehörden.\n\n\n\n

(3) Die in den Absätzen 1 und 2 genannten Aufgaben nehmen die Landrätinnen und Landräte als allgemeine untere Landesbehörden wahr.\n\n\n\n

Sachverhalt als.pdf\n\n\n\n

Skizze\n\n\n\n\n\n
\n\n\n\n

Gutachten\n\n\n\n

Die W-AG könnte gegen die Gemeinde G einen Amtshaftungsanspruch aus § 839 BGB iVm Art. 34 GG haben.\n\n\n\n

A. Anspruchsgrundlage\n\n\n\n

Dabei normiert § 839 BGB, dass einem Dritten der Schaden zu ersetzten ist, wenn ein Beamter vorsätzlich oder fahrlässig die ihm dem Dritten gegenüber obliegender Amtspflicht verletzt hat.\n\n\nVernetztes Lernen: Rechtsweg des Amtshaftungsanspruchs

\n

Nach Art. 34 S. 1 GG trifft die Verantwortlichkeit grundsätzlich den Staat oder die Körperschaft, in deren Dienst der Beamte steht. Nach Art. 34 S. 3 GG ist der Amtshaftungsanspruch vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen. Sachlich zuständig ist gemäß § 71 Abs. 2 Nr. 2 GVG in erster Instanz, unabhängig vom Streitwert, das Landgericht.\n\n\n\n\n

B. Anspruchsvoraussetzungen\n\n\n\n

I. Amtspflichtverletzung\n\n\n\n

Zunächst müsste ein Amtswalter bei der Ausübung seiner Tätigkeit eine ihm gegenüber einem Dritten obliegende Amtspflicht verletzt haben.\n\n\n\n

1. Amtswalter\n\n\n\n

Nach Art. 34 S. 1 GG wird von dem Amtshaftungsanspruch jeder Amtswalter, der hoheitlich handelt, umfasst. Dabei ist eine Identifizierung des handelnden Beamten indes nicht erforderlich, um den Staat oder die öffentliche Körperschaft in Anspruch nehmen zu können. [1]Dörr, in: BeckOGK, 1.5.2022, BGB § 839 Rz. 45