{"id":2987,"date":"2022-05-05T11:30:00","date_gmt":"2022-05-05T09:30:00","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=2987"},"modified":"2022-05-14T12:25:36","modified_gmt":"2022-05-14T10:25:36","slug":"differenzierte-preisabreden-bei-mietervorkaufsrecht","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/differenzierte-preisabreden-bei-mietervorkaufsrecht\/","title":{"rendered":"Mit zweierlei Maß – Differenzierte Preisabreden bei Mietervorkaufsrecht"},"content":{"rendered":"

BGH, Urteil vom 23.02.2022 – VIII ZR 305\/20; BeckRS 2022, 5040\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

M war seit 2011 Mieterin einer 46,6 m2 großen unsanierten Wohnung in einem Mehrparteienhaus in Berlin. Eigentümerin des Hauses und Vermieterin der dort befindlichen Wohnungen war die E. 2015 teilte E das Haus in einzelne Wohnungseigentumseinheiten auf. Mit notariellem Vertrag vom 06.12.2016 verkaufte E die an M vermietete Wohnung an K. Dabei enthielt der Kaufvertrag unter anderem folgende Vereinbarung:\n\n\n\n

„Der Kaufgegenstand ist derzeit vermietet. Ungeachtet dieses Umstandes beträgt der Kaufpreis für den vorbezeichneten Grundbesitz 163.266,67€, sofern „ohne Mietverhältnis mit einem Dritten“ geliefert wird. Wird das Wohnungseigentum hingegen „inklusive bestehendem Mietverhältnis mit einem Dritten“ geliefert, mindert sich der Kaufpreis um 10% auf 146.940,00€ für das Wohneigentum. „Ohne Mietverhältnis mit einem Dritten“ wird geliefert, soweit der Mieter sein Vorkaufsrecht ausübt oder der Verkäufer dem Käufer binnen eines Monats nach Beurkundung nachweist, dass das Mietverhältnis aufgelöst oder gekündigt ist.“\n\n\nAnmerkung: Änderung der Absprache

\nDer Wortlaut der zwischen dem Erstkäufer und der Verkäuferin getroffenen Absprache wurde hier abgeändert, um Missverständnissen und Auslegungsproblemen vorzubeugen. Der Originalwortlaut lautete:\n

„Der Kaufpreis für den vorbezeichneten Grundbesitz beträgt 163.266,67€. Die Parteien gehen davon aus, dass Bemessungsgrundlage des Wohnungskaufpreises in Höhe von 163.266,67€ die Lieferung des Wohneigentums ohne Mietverhältnis mit einem Dritten ist. Der Kaufgegenstand ist derzeit vermietet. Es gilt „ohne Mietverhältnis mit einem Dritten“ zu liefern, soweit der Mieter sein Vorkaufsrecht ausübt oder der Verkäufer dem Käufer binnen eines Monats nach Beurkundung nachweist, dass das Mietverhältnis auf-gelöst oder gekündigt ist. Wird das Wohnungseigentum entgegen vorstehender Be-schreibung mit dem laufenden oder einem anderen Mietverhältnis geliefert, mindert sich der Kaufpreis um 10% auf 146.940,00€ für das Wohneigentum.“\n\n\n\n\n

Die M erklärte gegenüber dem empfangsbevollmächtigten Notar N rechtzeitig, dass sie das ihr als Mieterin zustehende Vorkaufsrecht (§ 577 BGB) ausüben wolle. Dabei wies sie N darauf hin, dass sie die getroffene Kaufpreisregelung für unwirksam halte, soweit der vorkaufsberechtigte Mieter einen um 10% höheren Kaufpreis zahlen solle als der Erstkäufer. Daher zahlte sie nur unter dem Vorbehalt der Rückforderung der entsprechenden 10% 163.266,67€ an die E durch Überweisung der Summe auf das von E angegebene Girokonto.\n\n\n\n

M fordert von der E Rückzahlung von 16.326,67€. Zu Recht?\n\n\n\n

Hinweis: K ist weder mit der E verwandt, noch Angehöriger ihres Haushalts. Gehen Sie davon aus, dass der Abschlag von 10% auf den Kaufpreis der vermieteten Wohnung üblich und marktgängig ist. Gehen Sie, sofern Sie der Ansicht sind, dass ein Teil des von E und K geschlossenen Vertrages nichtig ist, davon aus, dass die Voraussetzungen des § 139 BGB für die ausnahmsweise Teilnichtigkeit eines Rechtsgeschäfts vorliegen. \n\n\nAnmerkung: Sachverhaltsänderungen

\nDer Sachverhalt wurde zusätzlich zu der Änderung des Vertragstextes in einigen anderen Punkten geringfügig abgeändert.
\nSo ist der Hinweis auf eine salvatorische Klausel, der im Sachverhalt, welcher dem BGH-Urteil zugrundeliegt, zu finden ist, entfernt worden und durch einen Bearbeiterhinweis zum Umgang mit
§ 139 BGB ersetzt worden. Bei weiterem Interesse an der Wirkung der salvatorischen Klausel wird auf die Zusatzfrage verwiesen. Außerdem wird in dem Urteil aus naheliegenden Gründen nicht auf die Art und Weise der Zahlung durch M an E eingegangen. Die hier dargestellte Überweisung auf ein Girokonto soll der Vereinfachung der gutachterlichen Bearbeitung dienen.\n\n\n\n\n
Sachverhalt als.pdf\n\n\n\n

Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten\n\n\n\n

A. Anspruch aus § 812 I 1 Alt.1 BGB\n\n\n\n

Die M könnte gegen E gem. § 812 I 1 Alt.1 BGB  einen Anspruch auf Rückzahlung von 10% des für die Wohnung gezahlten Preises und somit auf Rückzahlung in Höhe von 16.326,67€ haben. \n\n\n\n

I. Etwas erlangt\n\n\n\n

Dies würde zunächst voraussetzen, dass E „etwas“ i.S.d. § 812 I 1 BGB erlangt hat. Darunter ist jede Verbesserung der Vermögenssituation der E zu verstehen.[1]Vgl. Stadler, in: Jauernig, Bürgerliches Gesetzbuch, 18.Aufl. 2021, § 812 BGB Rn.8; vgl. Schwab, in: MüKo-BGB, 8.Aufl. 2020, § 812 BGB Rn.1.