{"id":2496,"date":"2022-04-14T08:40:00","date_gmt":"2022-04-14T06:40:00","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=2496"},"modified":"2022-09-16T11:06:12","modified_gmt":"2022-09-16T09:06:12","slug":"identifizierende-verdachtsberichtserstattung","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/identifizierende-verdachtsberichtserstattung\/","title":{"rendered":"Identifizierende Verdachtsberichtserstattung"},"content":{"rendered":"
BGH, Urteil vom 16.11.2021 – VI ZR 1241\/20, NJW 2022, 940\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

(abgewandelt und gekürzt)\n\n\n\n

K hatte im V-AG-Konzern von 2001 bis 2016 verschiedene Leitungspositionen im Bereich der Motorenentwicklung inne – zuletzt als Verantwortlicher für Forschung und Entwicklung im Vorstand der P-AG. Diese Position hatte er bis zu seiner Beurlaubung im September 2015 im Zusammenhang mit der Aufdeckung des so genannten Dieselskandals inne. Interne Untersuchungen im Konzern wiesen dem K im Folgenden kein persönliches Fehlverhalten nach. Im Jahr 2016 schied der K nach Abschluss eines Aufhebungsvertrags aus dem Unternehmen aus.\n\n\n\n

Im Zusammenhang mit dem Dieselskandal veröffentlichte die B, ein großer Zeitschriften- und Onlineverlag, einen Onlineartikel auf ihrer Internetseite mit dem Titel „Dieselskandal (-) Hochrangiger Ex-V-AG-Manager in Untersuchungshaft“ über den K unter voller Namensnennung und mit einem unverpixelten Foto. Dort hieß es unter anderem, der Ex-V-AG-Manager befinde sich in Untersuchungshaft; die US-Justiz habe ihn als möglichen „Mitverschwörer“ bei Abgasmanipulationen verdächtigt, der „Bescheid gewusst oder zumindest darüber hinweggesehen“ habe. Sein Verlassen des Konzerns 2015 könne darauf hindeuten, dass er eine tragende Rolle im Abgasskandal gespielt habe. Vor dieser Berichterstattung hatte die B keine Maßnahmen ergriffen, um dem K Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Nach Abmahnung durch den K ergänzte die B – trotz Hinweis auf eine fehlende rechtliche Pflicht hierzu – ihren Artikel um eine Stellungnahme des Verteidigers des K, in der die Vorwürfe als falsch zurückgewiesen wurden und ausgeführt wurde, der einzige Belastungszeuge beschuldige den K im Ermittlungsverfahren mutmaßlich nur, um selbst aus der Haft zu kommen.\n\n\n\n

Der K verlangt von der B Unterlassung der Wort- und Bildberichterstattung sowie Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, die für die Abmahnung angefallen sind. Zu Recht?\n\n\n\n

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Auszug aus dem Kunsturhebergesetz\n\n\n\n

§ 22 KUG\n\n\n\n

Bildnisse dürfen nur mit Einwilligung des Abgebildeten verbreitet oder öffentlich zur Schau gestellt werden. Die Einwilligung gilt im Zweifel als erteilt, wenn der Abgebildete dafür, daß er sich abbilden ließ, eine Entlohnung erhielt. Nach dem Tode des Abgebildeten bedarf es bis zum Ablaufe von 10 Jahren der Einwilligung der Angehörigen des Abgebildeten. Angehörige im Sinne dieses Gesetzes sind der überlebende Ehegatte oder Lebenspartner und die Kinder des Abgebildeten und, wenn weder ein Ehegatte oder Lebenspartner noch Kinder vorhanden sind, die Eltern des Abgebildeten\n\n\n\n

§ 23 KUG\n\n\n\n

(1) Ohne die nach § 22 erforderliche Einwilligung dürfen verbreitet und zur Schau gestellt werden:\n\n\n\n

1.Bildnisse aus dem Bereiche der Zeitgeschichte;
2.Bilder, auf denen die Personen nur als Beiwerk neben einer Landschaft oder sonstigen Örtlichkeit erscheinen;
3.Bilder von Versammlungen, Aufzügen und ähnlichen Vorgängen, an denen die dargestellten Personen teilgenommen haben;
4.Bildnisse, die nicht auf Bestellung angefertigt sind, sofern die Verbreitung oder Schaustellung einem höheren Interesse der Kunst dient.\n\n\n\n

(2) Die Befugnis erstreckt sich jedoch nicht auf eine Verbreitung und Schaustellung, durch die ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten oder, falls dieser verstorben ist, seiner Angehörigen verletzt wird.\n\n\n\n

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Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten\n\n\n\n

A. Unterlassungsanspruch bzgl. der Wortberichtserstattung, §§ 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, 823 Abs. 1 BGB\n\n\n\n

Die K könnte gegen B aus §§ 1004 Abs. 1. S. 2 BGB analog, 823 Abs. 1 BGB ein Anspruch auf Unterlassung der Wortberichtserstattung über ihn in der Weise, wie es in dem Artikel „Dieselskandal (-) Hochrangiger Ex-V-AG-Manager in Untersuchungshaft“ geschehen ist, haben.\n\n\n\n

I.    Eingriff in das Allgemeine Persönlichkeitsrecht, Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG\n\n\n\n

Zunächst müssten ein Eingriff in ein taugliches Rechtsgut gegeben sein. § 1004 BGB schützt in seiner direkten Anwendung lediglich das Eigentum. Da jedoch für andere Rechtsgüter ein vergleichbarer Schutz durch die Rechtsordnung nötig ist, wird § 1004 BGB analog auf alle Ausschließlichkeitsrechte (absolute Rechte) und sonstige Rechte im Sinne von § 823 BGB angewendet (sog. (quasi-)negatorischer Unterlassungsanspruch).\n\n\n\n


In Betracht kommt vorliegend ein Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus
Art. 2 Abs.1, 1 Abs. 1 GG als sonstiges Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB.\n\n\n\n

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht schützt das Recht des Trägers auf Achtung seiner personalen und sozialen Identität sowie Entfaltung und Entwicklung seiner individuellen Persönlichkeit gegenüber dem Staat und im privaten Rechtsverkehr.[1]Palandt\/Sprau, 80. Auflage 2021, § 823 BGB Rn. 86