{"id":2280,"date":"2022-03-03T08:00:00","date_gmt":"2022-03-03T07:00:00","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=2280"},"modified":"2023-09-03T15:09:49","modified_gmt":"2023-09-03T13:09:49","slug":"der-verbliebene-untermieter","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/der-verbliebene-untermieter\/","title":{"rendered":"Der verbliebene Untermieter"},"content":{"rendered":"

BGH, Urteil vom 11.12.2020 \u2013 V ZR 26\/20<\/a>; NJW 2021, 1088<\/a><\/strong><\/p>\n\n\n\n

Sachverhalt<\/strong><\/h1>\n\n\n\n

(abge\u00e4ndert)<\/p>\n\n\n\n

V ist Eigent\u00fcmer einer 107 m2 gro\u00dfen Wohnung in Berlin. Diese vermietete er an den Mieter M, der wiederum einen der R\u00e4ume der Wohnung, eine 7 m2 gro\u00dfe Kammer, mit Zustimmung des V an den U untervermietete. M starb Ende November 2014. Am 20.12.2014 k\u00fcndigte V den Mietvertrag zwischen ihm und M unter Verweis auf \u00a7 564 S.2 BGB<\/a> gegen\u00fcber der nicht nach \u00a7 563 BGB<\/a> eintrittsberechtigen Alleinerbin des M, der E. Mit Schreiben vom 29.12.2014 forderte der V den U au\u00dferdem erfolglos zur Herausgabe der vermieteten Kammer bis zum 31.03.2015 auf. U r\u00e4umte die Kammer jedoch nicht. V sah daraufhin von einer Vermietung der restlichen Wohnung ab, da er die Wohnung in Ansehung der geringeren Quadratmeterzahl und der fehlenden r\u00e4umlichen Trennung von Kammer und Restwohnung nur zu einem erheblich niedrigeren Preis h\u00e4tte vermieten k\u00f6nnen.<\/p>\n\n\n\n

Im Januar 2016 wurde U rechtskr\u00e4ftig zur R\u00e4umung verurteilt und ihm wurde gem. \u00a7 721 ZPO<\/a> eine R\u00e4umungsfrist bis zum 30.09.2016 gew\u00e4hrt. Nachdem U seine Kammer auch zum Ende dieser Frist nicht ger\u00e4umt hatte, kam es am 01.10.2016 zur Zwangsr\u00e4umung.<\/p>\n\n\n\n

Nach der Zwangsr\u00e4umung fordert V von U f\u00fcr die Nutzung der gesamten Wohnung in der Zeit von M\u00e4rz bis einschlie\u00dflich September 2016 die Zahlung von insgesamt 7.490,00\u20ac. Zu Recht?<\/strong><\/p>\n\n\n\n

Hinweis: Gehen Sie bei Ihrer Bearbeitung davon aus, dass V unter Zugrundelegung der orts\u00fcblichen Vergleichsmiete in der Zeit von M\u00e4rz bis September insgesamt Mieteinnahmen in H\u00f6he von 490,00\u20ac f\u00fcr die Kammer bzw. 7.490,00\u20ac f\u00fcr die gesamte Wohnung (inklusive Kammer) h\u00e4tte erhalten k\u00f6nnen. Gehen Sie davon aus, dass U auch nach dem Freiwerden der restlichen Wohnung, nur die 7 m2 gro\u00dfe Kammer bewohnt hat. Gehen Sie auf alle in Frage kommenden Anspr\u00fcche \u2013 gegebenenfalls hilfsgutachterlich \u2013 ein. <\/p>\n\n\nAnmerkung:<\/b> Sachverhalts\u00e4nderungen <\/span>

\nDer Sachverhalt wurde in einigen Punkten abge\u00e4ndert.<\/p>\n

In dem tats\u00e4chlichen Rechtsstreit starb V w\u00e4hrend des Verfahrens. Der Rechtsstreit wurde von seiner Erbengemeinschaft fortgef\u00fchrt. Da der Fokus dieses Falles aber auf dem Verh\u00e4ltnis von \u00a7 721 ZPO<\/a> und mietrechtlichen Vorschriften sowie der Anwendung der Nutzungsersatzvorschriften des EBV liegen soll, wurde dieser Umstand ausgelassen, um den Fall nicht unn\u00f6tig zu verkomplizieren. <\/p>\n

Die K\u00fcndigung des Mietvertrages durch V findet in dem Sachverhalt, welcher dem BGH-Urteil zugrunde liegt, keine Erw\u00e4hnung. Es wird lediglich festgestellt, dass der Mietvertrag in Folge des Todes des M endete. Die K\u00fcndigung wurde eingef\u00fcgt, um Fehlinterpretationen im Zuge der Bearbeitung vorzubeugen. Das Herausgabeverlangen des V gegen\u00fcber U war auch nicht datiert. Die Datierung wurde aus Gr\u00fcnden der Sachverhaltskonsistenz eingef\u00fcgt.<\/p>\n

Die Probleme des V, die Wohnung ohne Kammer weiter zu vermieten, gehen aus dem Sachverhalt des vorliegenden Urteils nicht ohne weiteres hervor. Allerdings nahmen diese \u00dcberlegungen einen nicht unwesentlichen Teil der Urteilsbegr\u00fcndung ein, so dass sie hier in den Sachverhalt als feststehender Umstand \u00fcbernommen wurden.<\/p>\n

Im Ausgangssachverhalt des AG Berlin-Sch\u00f6neberg, nutzte der U neben der Kammer auch Sanit\u00e4ranlagen und K\u00fcche zumindest teilweise mit. Aus Gr\u00fcnden der \u00dcbersichtlichkeit, wurde dies nicht in diesen Sachverhalt \u00fcbernommen.
\n<\/div>\n\n\n\n

Sachverhalt als .pdf<\/a><\/div>\n\n\n\n

Skizze<\/h1>\n\n\n\n\n\n
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Gutachten<\/strong><\/h1>\n\n\nAnmerkung:<\/b> Zur Bearbeitung <\/span>
\nDer BGH hatte nur auf den Anspruch aus \u00a7\u00a7 990<\/a> II, 280<\/a> I, II, 286<\/a>, 249<\/a>, 252 BGB<\/a> (hier unter F.) einzugehen. Etwaige m\u00f6gliche Anspr\u00fcche aus dem Mietrecht wurden daher ebenso wenig in die Urteilsbegr\u00fcndung aufgenommen, wie andere \u2013 insbesondere ihrer Rechtsfolge nach weniger weitreichende \u2013 Anspr\u00fcche aus dem EBV. In einer Klausur wird hingegen typischerweise auf alle in Frage kommenden Anspr\u00fcche einzugehen sein, so dass in dieser Bearbeitung auch auf fernliegendere oder weniger weitgehende Anspr\u00fcche des V eingegangen wird. Dabei sollte man sich vor Augen f\u00fchren, dass eine zwingende Pr\u00fcfungsreihenfolge der Sekund\u00e4ranspr\u00fcche des EBV (\u00a7\u00a7 987 ff. BGB<\/a>) nicht existiert. Au\u00dferhalb der allgemeinen zivilrechtlichen Pr\u00fcfungsfolge (vertragliche Anspr\u00fcche, vertrags\u00e4hnliche Anspr\u00fcche, dingliche Anspr\u00fcche, deliktische Anspr\u00fcche, bereicherungsrechtliche Anspr\u00fcche, Hilfsanspr\u00fcche) wurde daher eine Reihenfolge gew\u00e4hlt, in welcher die Systematik der Nutzungsersatzanspr\u00fcche im EBV am besten zur Geltung kommt.
\n<\/div>\n\n\n\n

A. Anspruch aus \u00a7 546a I BGB<\/a> (analog)<\/strong><\/h2>\n\n\n\n

Der V k\u00f6nnte gegen den U gem. \u00a7 546a I BGB<\/a> (analog) einen Anspruch auf Entsch\u00e4digung in H\u00f6he der vereinbarten Miete bzw. in H\u00f6he der orts\u00fcblichen Vergleichsmiete haben.<\/p>\n\n\nAnmerkung:<\/b> Pr\u00fcfung des Anspruchs <\/span>

\nWeder der BGH noch die in erster und zweiter Instanz zust\u00e4ndigen Gerichte gehen auf einen Anspruch aus \u00a7 546a I BGB<\/a> (analog) ein. Dies ist angesichts der Offenkundigkeit dessen, dass zwischen V und U kein Mietverh\u00e4ltnis i.S.d. \u00a7 546a I BGB<\/a> vorliegt, wenig \u00fcberraschend. Dennoch kann ein entsprechender Anspruch in der Klausur kurz abgehandelt und ausgeschlossen werden, um zu zeigen, dass die mietrechtlichen Anspruchsgrundlagen theoretisch beherrscht werden.
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I. Direkte Anwendung des \u00a7 546a I BGB<\/a> <\/strong><\/h3>\n\n\n\n

Ein Anspruch aus \u00a7 546a I BGB<\/a> k\u00f6nnte nur dann angenommen werden, wenn U die Mietsache nach Beendigung des Mietverh\u00e4ltnisses nicht herausgegeben h\u00e4tte. Zwar hat U die angemietete Kammer nicht an V herausgegeben, allerdings fehlte es zwischen U und V von Anfang an an einem Mietverh\u00e4ltnis, da jeweils lediglich ein Mietverh\u00e4ltnis zu M bzw. nach dessen Tod zu dessen Alleinerbin E (vgl. \u00a7 1922 I BGB<\/a>) bestand. Eine direkte Anwendung des \u00a7 546a I BGB<\/a> ist also angesichts des klaren Wortlauts und der systematischen Stellung der Norm ausgeschlossen. [1]<\/sup><\/a>Vgl. Blank\/B\u00f6rstinghaus, \u201eMietrecht\u201c, 6.Auflage 2020, \u00a7 546a BGB<\/a> Rn.24; BGH V ZR 106\/04<\/a> in NJW-RR 2005, 1542<\/a>.<\/span><\/span>