{"id":2230,"date":"2022-02-16T08:40:40","date_gmt":"2022-02-16T07:40:40","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=2230"},"modified":"2022-03-09T22:04:30","modified_gmt":"2022-03-09T21:04:30","slug":"behandlungsabbruch-mal-anders","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/behandlungsabbruch-mal-anders\/","title":{"rendered":"Behandlungsabbruch mal anders"},"content":{"rendered":"

BGH, Beschluss vom 17.3.2020 – 3 StR 574\/19 – NJW 2020, 3669\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

Die 84-jährige R ist trotz ihrer eingeschränkten Bewegungsfähigkeit zu Fuß unterwegs. Neben anderen Erledigungen hob sie bei einer Bank 600 Euro ab. Das Geld verstaute sie in der Handtasche, die sie in den Korb ihres Rollators legt, wobei sie den Gurt um den Rollatorgriff und ihre Hand führte. Während sie sich auf dem Heimweg befand, näherte sich ihr der T von hinten auf seinem Fahrrad. Obgleich er die Fixierung der Tasche am Griff des Rollators und der Hand der R erkannte, ergriff er diese und zog so kräftig an ihr, dass R die Gehhilfe entglitt, sie das Gleichgewicht verlor und ungebremst mit dem Kopf auf das Pflaster aufschlug. Dieser Verlauf musste sich dem T bei seinem Handeln aufdrängen. Mit der Tasche entfernte er sich vom Tatort, um sie für sich zu behalten. Die R erlitt durch den Sturz unter anderem ein Schädel-Hirn-Trauma mit einer massiven subduralen Blutung. Da diese in der Folge nicht zum Stillstand kam, musste sie sechs Tage nach der Tat zur Druckentlastung des Gehirns unter Vollnarkose operiert werden. Nach der Operation erlangte sie aufgrund einer durch den Blutverlust während der Operation und die Vorerkrankungen bedingten Kreislaufschwäche das Bewusstsein nicht wieder. Nachdem sich der Gesundheitszustand trotz weiterer Behandlungsversuche in den nächsten vier Tagen zunehmend verschlechtert hatte, beschloss die behandelnde Ärztin zusammen mit den Angehörigen in Übereinstimmung mit einer entsprechenden Patientenverfügung und vor der Operation gegenüber der Ärztin geäußerten Wünschen der R, diese nur noch palliativ weiter zu behandeln. Sie verstarb 13 Tage nach der Tat.\n\n\n\n

Strafbarkeit des T?\n\n\n\n

Sachverhalt als .pdf\n\n\n\n
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Skizze\n\n\n\n\n\n

Gutachten\n\n\n\n

Strafbarkeit gem. §§ 249 I, 251 StGB \n\n\n\n

T könnte sich gem. §§ 249 I, 251 StGB des Raubes mit Todesfolge strafbar gemacht haben, indem er die Handtasche der R so vom Rollator riss, dass diese stürzte, 13 Tage später verstarb und er sich mit der Tasche entfernte.\n\n\n\n

I. Tatbestand\n\n\n\n

1. Grundtatbestand des § 249 StGB\n\n\n\n

a) Objektiver Tatbestand\n\n\n\n

aa) Fremde bewegliche Sache\n\n\n\n

Bei der Handtasche handelt es sich um eine fremde, im Alleineigentum der R stehende bewegliche Sache. \n\n\n\n

bb) Wegnahme\n\n\n\n

T müsste die Tasche auch weggenommen haben. Indem er die Tasche vom Griff des Rollators zog, brach er den Gewahrsam der R gegen ihren Willen. Als er sich entfernt, begründet er neuen Gewahrsam, sodass eine Wegnahme vorliegt. \n\n\n\n

cc) Qualifiziertes Nötigungsmittel\n\n\n\n

Des Weiteren müsste T Gewalt gegen eine Person angewendet oder mit einer Gefahr für Leib oder Leben gedroht haben. Vorliegend fragt sich, ob durch das kräftige Ziehen an der Handtasche Gewalt gegen die R einsetzte. Gewalt ist durch die Entfaltung körperlicher Kraft  verursachter körperlicher Zwang gegen eine Person, der dazu bestimmt ist, geleisteten oder erwarteten Widerstand zu verhindern oder zu überwinden.[1]Rengier, Strafrecht BT I, § 7 Rn. 8.