{"id":2214,"date":"2022-02-09T08:00:00","date_gmt":"2022-02-09T07:00:00","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=2214"},"modified":"2022-02-09T09:38:36","modified_gmt":"2022-02-09T08:38:36","slug":"mietminderung-durch-baulaerm","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/mietminderung-durch-baulaerm\/","title":{"rendered":"Mietminderung durch Baulärm"},"content":{"rendered":"
BGH, Urteil vom 24.11.2021 – VIII ZR 258\/19, BeckRS 2021, 41081\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

(abgewandelt und gekürzt)\n\n\n\n

Die K ist seit 2011 Mieterin einer in einem Mehrfamilienhaus gelegenen Wohnung der B in Berlin. Die Wohnung liegt in einem Stadtteil, in dem vorwiegend Wohnungen untergebracht sind. Die vereinbarte Bruttowarmmiete beträgt 1000,00 EUR pro Monat.\n\n\n\n

Seit November 2017 errichtet die Nachbarin N auf einem Grundstück auf der gegenüberliegenden Straßenseite, welche bis dahin als Kleingartenkolonie genutzt worden war, vier Wohngebäude mit sechs bis acht Vollgeschossen samt Unterkellerung und Tiefgarage. Über die ursprünglich recht ruhige Lage hatten sich K und B bei Vertragsschluss zwar noch kurz und allgemein unterhalten, besondere Absprachen wurden in den Mietvertrag jedoch nicht aufgenommen.\n\n\n\n

Die Bauarbeiten finden in der Zeit von 8 – 18 Uhr statt. Die dabei erzeugten Lärmimmissionen erreichen dabei als Höchstwert 52 dB (A). Durch den Baulärm fühlt sich K erheblich gestört und hat dies B gegenüber auch geäußert. Dennoch hat sie zunächst die Miete unter Vorbehalt in voller Höhe weitergezahlt, um Ärger mit B zu entgehen. Im Mai 2018 unterhielt sich K mit einer ehemaligen Schulfreundin, die mittlerweile Jura studiert, über die Wohnsituation. Diese riet der Klägerin die Miete anteilig in Höhe von 20% zurückzufordern und künftig bis Bauende weniger Miete zu zahlen.\n\n\n\n

Die K forderte B daraufhin auf, für die Zeit von November 2017 bis Mai 2018 je 20% der Miete, also 200,00 EUR monatlich, zurückzuzahlen. B lehnt dies ab und begründet dies damit, dass ihr die Hände gebunden seien und sie überhaupt gar nicht dafür sorgen könne, dass der Lärm vom Nachbargrundstück aufhört. Hat K gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung der 1.400,00 EUR?\n\n\n\n

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Hinweis: Die Höhe der Mietminderung von 20% ist nicht zu beanstanden. Nicht abgedruckte Teile der AVV Baulärm sind für die Bearbeitung nicht von Belang. Sollte ein Prüfungspunkt verneint werden, so ist im Hilfsgutachten fortzufahren. \n\n\n\n

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Auszug aus der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen Baulärm (Geräuschimmissionen – AVV Baulärm)\n\n\n\n

1. Sachlicher Geltungsbereich\n\n\n\n

Diese Vorschrift gilt für den Betrieb von Baumaschinen auf Baustellen, soweit die Baumaschinen gewerblichen Zwecken dienen oder im Rahmen wirtschaftlicher Unternehmungen Verwendung finden. Sie enthält Bestimmungen über Richtwerte für die von Baumaschinen auf Baustellen hervorgerufenen Geräuschimmissionen, das Messverfahren und über Maßnahmen, die von den zuständigen Behörden bei Überschreiten der Immissionsrichtwerte angeordnet werden sollen.\n\n\n\n

3.1 Festsetzung der Immissionsrichtwerte\n\n\n\n

3.1.1. Als Immissionsrichtwerte werden festgesetzt für\n\n\n\n

a) Gebiete, in denen nur gewerbliche oder industrielle Anlagen und Wohnungen für Inhaber und Leiter der Betriebe sowie für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen untergebracht sind,    70 dB (A)
b) Gebiete, in denen vorwiegend gewerbliche Anlagen untergebracht sind,tagsüber  65  dB  (A) nachts  45 dB (A)
c) Gebiete mit gewerblichen Anlagen und Wohnungen, in denen weder vorwiegend gewerbliche Anlagen noch vorwiegend Wohnungen untergebracht sind,tagsüber  60  dB (A) nachts 45 dB (A)
d) Gebiete, in denen vorwiegend Wohnungen untergebracht sind,tagsüber 55 dB (A) nachts 40 dB (A)
e) Gebiete, in denen ausschließlich Wohnungen untergebracht sind,tagsüber 50 dB (A) nachts 35 dB (A)
f) Kurgebiete, Krankenhäuser und Pflegeanstaltentagsüber 45 dB (A) nachts 35 dB (A)\n\n\n\n

3.1.2                Als Nachtzeit gilt die Zeit von 20 Uhr bis 7 Uhr.\n\n\n\n

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Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten\n\n\n\n

A.  Anspruch aus § 536 Abs. 1 BGB\n\n\n\n

Der K könnte gegen die B einen Anspruch auf Rückzahlung überschüssiger Mietzinsen in Höhe von 1.400,00 EUR aus § 536 Abs. 1 BGB haben.\n\n\n\n

Ein solcher Anspruch aus § 536 Abs. 1 BGB ist jedoch nicht möglich, da es sich bei § 536 BGB gerade nicht um eine Anspruchsgrundlage handelt, sondern lediglich die Mietminderung per Gesetz statuiert wird.\n\n\nAnmerkung: Notwendigkeit der Ausführung

\nOffen gesagt handelt es sich bei dieser Frage um einen alten Schuh, den viele zumindest einmal im Studium gehört haben werden. Es dürfte daher mindestens genauso vertretbar sein, dies komplett wegzulassen und direkt in das Bereicherungsrecht zu springen. Diese kurzen Ausführungen dienen allenfalls dazu, dem Korrektor zu zeigen, dass man die Anspruchsreihenfolge im Zivilrecht kennt.
\n\n\n\n\n

B.  Anspruch aus § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB\n\n\n\n

K könnte gegen B einen Anspruch auf Rückzahlung überschüssiger Mietzinsen in Höhe von 1.400,00 EUR aus Leistungskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB haben.\n\n\nVernetztes Lernen:
\nWelche Anspruchsgrundlagen gibt es im Bereicherungsrecht?

\nI. Leistungskondiktionen
\n\t1.
§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB: Ohne Rechtsgrund
\n\t2.
§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB: Späterer Wegfall des Rechtsgrundes
\n\t3.
§ 812 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB: Nichteintritt des bezweckten Erfolgs
\n\t4.
§ 813 BGB: Dauernde\/Peremtorische Einrede
\n\t5.
§ 817 S. 1 BGB: Sittenwidriger Leistungsempfang\n

II. Nichtleistungskondiktonen
\n\t1.
§ 812 Abs. 1 S.1 Alt. 2 BGB: Allgemeine Nichtleistungskondiktion
\n\t2.
§ 816 Abs. 1 S. 1 BGB: Entgeltliche Verfügung eines Nichtberechtigten
\n\t3.
§ 816 Abs. 1 S. 2 BGB: Unentgeltliche Verfügung eines Nichtberechtigten
\n\t4.
§ 816 Abs. 2 BGB: Leistung an einen Nichtberechtigten
\n\t5.
§ 822 BGB: Unentgeltliche Zuwendung an einen Dritten\n\n\n\n\n

I.    Etwas erlangt\n\n\n\n

V müsste zunächst etwas erlangt haben. „Etwas“ im Sinne des § 812 BGB ist dabei jeder vermögenswerte Vorteil.[1]Palandt\/Sprau, 80. Auflage 2021 § 812 Rn. 8