{"id":2011,"date":"2022-01-26T17:22:55","date_gmt":"2022-01-26T16:22:55","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=2011"},"modified":"2022-04-26T13:50:05","modified_gmt":"2022-04-26T11:50:05","slug":"dienststiefel-fall","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/dienststiefel-fall\/","title":{"rendered":"Dienststiefel-Fall"},"content":{"rendered":"

BayObLG, Urteil vom 23.7.2020 – 207 StRR 230\/20, BeckRS 2020, 37990\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

A war Stabsfeldwebel bei der Bundeswehr und 2018 im Rahmen einer besonderen Auslandsverwendung in Mali eingesetzt; dabei tat sie ihren Dienst im Camp Castor. Sie war u.a. mit zwei Paar beigen Bundeswehrstiefeln ausgerüstet, die sie von der Bundeswehr unentgeltlich für die Nutzung im Dienst bekam. Die Stiefel blieben – wie alle übrigen Bekleidungs- und Ausrüstungsgegenstände, die an A ausgegeben worden waren – im Eigentum der Bundeswehr und wurden auf ein individuelles Bekleidungskonto gebucht, das anhand des sog. Bekleidungs- und Ausrüstungsnachweises (BAN) der A nachvollzogen werden konnte. A war verpflichtet, die überlassenen Gegenstände pfleglich zu behandeln und grundsätzlich am Ende der Dienstzeit an die Bundeswehr zurückzugeben; für fehlendes Material ist grundsätzlich Ersatz zu leisten.\n\n\n\n

Durch die erschwerten Bedingungen des Auslandseinsatzes hatte A jedoch Trageprobleme mit den Stiefeln. Daher versuchte sie, bei der Materialgruppe im Camp eines der ihr überlassenen Stiefelpaare in ein Paar modernere braune Einsatzstiefel der Marke M mit besserem Tragekomfort umzutauschen. Dies wurde jedoch aufgrund der Bekleidungsvorschriften der Bundeswehr verweigert. A nahm im Camp aus einem Regal vor einer Stube in einem Unterkunftscontainer die dort abgestellten gebrauchten braunen Einsatzstiefel der Marke M (Größe 42, Beschaffungswert von 105,79 €) der Oberstabsärztin O an sich, um diese am folgenden Tag bei der Materialgruppe im Camp gegen ein neues Paar in der passenden Größe 43 umzutauschen. \n\n\n\n

Die dort beschäftigte Soldatin X verweigerte den Umtausch entsprechend den einschlägigen Vorschriften, da die Stiefel nicht beschädigt waren. Daher beschwerte sich A bei deren Vorgesetzten Y und behauptete, die braunen Einsatzstiefel habe sie vor dem Einsatz erhalten, jedoch seien diese unter den besonderen Einsatzbedingungen zu eng geworden. Y ordnete sodann ausnahmsweise einen Umtausch des Stiefelpaares an, sodass A unverzüglich das entwendete Stiefelpaar gegen ein neues Paar in Größe 43 (Beschaffungswert 108,89 €) bei der Materialgruppe umtauschte. Dabei wusste A, dass sie nach der Vorschriftenlage keinen Anspruch auf die Ausgabe neuer Stiefel hatte. Die neuen Stiefel verwendete A ausschließlich im Dienst innerhalb des Camps. Sie wurden nach dem Bekanntwerden der Vorgeschichte von der Bundeswehr sichergestellt.\n\n\n\n

Strafbarkeit der A nach dem StGB?\n\n\n\n

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§ 1a WStG: Auslandstaten
(1) Das deutsche Strafrecht gilt, unabhängig vom Recht des Tatorts, für Taten, die nach diesem Gesetz mit Strafe bedroht sind und im Ausland begangen werden, wenn der Täter
1. Soldat ist oder zu den in § 1 Abs. 2 bezeichneten Personen gehört oder
2. Deutscher ist und seine Lebensgrundlage im räumlichen Geltungsbereich dieses Gesetzes hat.
(2) Das deutsche Strafrecht gilt, unabhängig vom Recht des Tatorts, auch für Taten, die ein Soldat während eines dienstlichen Aufenthalts oder in Beziehung auf den Dienst im Ausland begeht.\n\n\n\n

Sachverhalt als .pdf\n\n\n\n
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Skizze\n\n\n\n\n\n

Gutachten\n\n\n\n

A. Strafbarkeit gemäß § 242 I StGB\n\n\n\n

A könnte sich gemäß § 242 I StGB des Diebstahls strafbar gemacht haben, indem sie die braunen Stiefel der O aus dem Regal an sich nahm.\n\n\n\n

I. Anwendbarkeit deutsches Strafrecht\n\n\n\n

Das deutsche Strafrecht müsste auf die Handlungen der A anwendbar sein. Obwohl sich das Geschehen im Ausland abspielte, findet nach § 1a II WStG deutsches Strafrecht Anwendung, da A als Soldatin im Einsatz war und sich damit dienstlich im Ausland aufhielt.\n\n\nAnmerkung: lex specialis

Bei Taten von Soldat:innen im Auslandseinsatz ist diese Norm die speziellere Norm gegenüber den allgemeinen Regelungen in §§ 3ff. StGB und daher vorrangig. In einer Klausur würde diese mit abgedruckt werden.
\nInteressant ist auch der besondere Gerichtsstand für Straftaten von Soldaten in besonderer Auslandsverwendung nach
§ 11a StPO.[1]weiterführend dazu Ladiges NZWehrr 2013, 66 ff.