{"id":1870,"date":"2021-11-25T10:32:39","date_gmt":"2021-11-25T09:32:39","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=1870"},"modified":"2022-01-28T17:02:51","modified_gmt":"2022-01-28T16:02:51","slug":"gejammer-um-den-jammer","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/gejammer-um-den-jammer\/","title":{"rendered":"Gejammer um den Jammer"},"content":{"rendered":"

BGH, Beschluss vom 17.10.2017 – 3 StR 349\/17 – NStZ 2018, 212 \n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

O stellt sein PKW im Parkhaus ab. Als er es mittels Fernbedienung abschließen will verwendet der T einen technischen Störsender (sog. Jammer), der ein Schließen des Fahrzeugs verhindert. T wartet, bis O das Parkhaus verlassen hat und nimmt das Tablet (Wert: 500 €) des O vom Beifahrersitz, verstaut es in dem mitgebrachten Rucksack und verlässt das Parkhaus fluchtartig. \n\n\n\n

Strafbarkeit nach dem StGB?\n\n\n\n


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Skizze\n\n\n\n\n\n

Gutachten\n\n\n\n

Strafbarkeit gem. §§ 242 I, 243 I 1, 2 Nr. 2 StGB\n\n\n\n

T könnte sich des Diebstahls im besonders schweren Fall gem. §§ 242 I, 243 I 1, 2 Nr. 2 StGB strafbar gemacht haben, indem er das Tablet des O aus dessen aufgrund des Jammereinsatzes unverschlossenen PKW entnahm.\n\n\n\n

I. Tatbestand\n\n\n\n

1. Objektiver Tatbestand \n\n\n\n

a) Fremde bewegliche Sache\n\n\n\n

Bei dem Tablet handelte es sich um eine fremde, nämlich im Alleineigentum des O stehenden beweglichen Gegenstand.\n\n\n\n

b) Wegnahme\n\n\n\n

T müsste das Tablet weggenommen haben. Die Wegnahme ist der Bruch fremden und die Begründung neuen, nicht notwendiger Weise tätereigenen Gewahrsams. Zunächst ist zu fragen, ob der O noch Gewahrsam an dem Tablet hatte, nachdem als er das Parkhaus verließ. Gewahrsam ist die vom natürlichen Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft über eine Sache. Die Reichweite des Gewahrsams bestimmt sich nach der Verkehrsanschauung. Zwar übte der O nach Verlassen des Parkhauses nicht mehr eine unmittelbare Sachherrschaft aus, jedoch handelt es sich bei dem Fahrzeug um eine Gewahrsamssphäre des Berechtigten und der generelle Gewahrsamswille umschließt grundsätzlich alle sich darin befindlichen Gegenstände. Innerhalb dieser befindliche Gegenstände fallen sodann nach der Verkehrsanschauung Berechtigten zu. T bricht diesen Gewahrsam, indem er das Tablet aus dem Fahrzeug entfernt, ohne das dabei ein Einverständnis des O vorliegt. Neuen Gewahrsam begründet er durch das Verstauen in seinem Rucksack (Gewahrsamsenklave).\n\n\nVernetztes Lernen: Wie lässt sich anhand der Gewahrsamslockerung ein Trickdiebstahl vom Sachbetrug abgrenzen? Bsp.: Juwelier J gibt dem Dieb D einen Ehering zur Anprobe aus der Auslage. D flieht aus dem Ladengeschäft des J.

\nHier markiert die Gewahrsamslockerung die äußerste Grenze des Diebstahls, der nach hM in einem Exklusivitätsverhältnis zum Betrug steht. Es ist stets zu fragen, ob mit der Handlung des Opfers noch ein hinreichendes – wenn auch gelockertes – Herrschaftsverhältnis zum Gegenstand anzunehmen ist oder ob mit der Handlung bereits eine unmittelbare Vermögensminderung in Form einer konkreten Vermögensgefährdung eingetreten ist. Besteht noch ein hinreichendes nach der Verkehrsanschauung zu bewertendes Herrschaftsverhältnis, so liegt ein Schwerpunkt auf dem zweiten Akt, der durch den Täter vorgenommen wird. Zum Beispiel: Hier dürfte noch ein hinreichendes Verhältnis von J zum Ring vorliegen. Würde der J dem D hingegen erlauben, den Laden zu verlassen, um den Ring bei Tageslicht in Augenschein zu nehmen, dann könnte der Fall anders zu bewerten sein. Letztlich lassen sich so Risikosphären ähnlich der objektiven Zurechnung bilden und in die Merkmale Gewahrsamslockerung und unmittelbare Vermögensminderung übersetzen.
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2. Subjektiver Tatbestand\n\n\n\n

S handelte auch mit dolus eventualis bzgl. des Erfolgseintritts und hatte Vorsatz bzgl. der Garantenstellung. \n\n\nAnmerkung: Probleme der Zueignungsabsicht

\nZu anspruchsvollen Problemen der Zueignungsabsicht s. Fall „Pfandflaschen“.
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II. Rechtswidrigkeit\n\n\n\n

Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich. S handelt rechtswidrig.\n\n\n\n

III. Schuld\n\n\n\n

Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich und die Vornahme der Rettungshandlung ist dem S auch zumutbar, sodass er schuldhaft handelt.\n\n\n\n

IV. Strafzumessung\n\n\n\n

T könnte zudem den besonders schweren Fall des Diebstahls gem. § 243 I 1 StGB erfüllt haben. \n\n\n\n

1. § 243 I 1, 2 Nr. 1 StGB \n\n\n\n

Zunächst kommt das Regelbeispiel des Einbruchsdiebstahls gem. § 243 I 1, 2 Nr. 1 StGB in Betracht. Voraussetzung ist, dass der Täter in einen umschlossenen Raum einbricht, einsteigt, mit einem falschen Schlüssel oder einem anderen nicht zur ordnungsgemäßen Öffnung bestimmten Werkzeug eindringt oder sich in dem Raum verborgen hält. Fraglich ist bereits, ob es sich bei dem Fahrzeug um einen umschlossenen Raum handelt. Darunter ist jedes Raumgebilde mit oder ohne Dach zu verstehen, das mindestens auch dazu bestimmt ist, von Menschen betreten zu werden, und das mit mindestens teilweise künstlichen Vorrichtungen umgeben ist, die das Eindringen von Unbefugten abwehren soll.[1]Rengier, BT I, § 3 Rn. 10.