{"id":1816,"date":"2021-11-14T10:48:29","date_gmt":"2021-11-14T09:48:29","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=1816"},"modified":"2022-03-18T23:01:11","modified_gmt":"2022-03-18T22:01:11","slug":"ermessensauswahl-bei-mehreren-verantwortlichen-und-rechtsnachfolge-im-prozess","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/ermessensauswahl-bei-mehreren-verantwortlichen-und-rechtsnachfolge-im-prozess\/","title":{"rendered":"Ermessensauswahl bei mehreren Verantwortlichen und Rechtsnachfolge im Prozess"},"content":{"rendered":"

OVG Schleswig, Urteil vom 26.05.2021 – 1 LB 11\/17\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

(geändert und gekürzt)\n\n\n\n

Der A ist Eigentümer des mit einem Einfamilienhaus bebauten Grundstücks im Bundesland (B). A überließ seinem Neffen N die Hälfte des Grundstücks zur eigenständigen Nutzung, als Nießbrauchberechtigter.\n\n\n\n

Das Grundstück liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 9. Der Bebauungsplan Nr. 9 enthält in seiner Ursprungsfassung in Teil B folgende textliche Festsetzung:\n\n\n\n

„7. Nebenanlagen § 14 Abs. 1 BauNVO“\n\n\n\n

Untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen gemäß § 14 Abs. 1 BauNVO müssen einen Abstand von mind. 3,00 m zu öffentlichen und privaten Verkehrsflächen einhalten.“\n\n\n\n

Der N erbaute auf der ihm überlassenden Hälfte des Grundstücks  formell und materiell rechtmäßig ein Einfamilienhaus mit angrenzender Terrasse. Bei einer Ortsbegehung stellte der zuständige Behördenmitarbeiter fest, dass südöstlich des neu errichteten Einfamilienhauses eine winkelförmige Mauer mit einer Länge von 10,48 m und einer Höhe von 1,80 m errichtet wurde, die teilweise einen geringeren Abstand als 3,00 m zu der privaten Verkehrsfläche aufweist.\n\n\n\n

Mit formell rechtmäßiger Ordnungsverfügung vom 1. Juli 2021 forderte die zuständige Baubehörde den A als Zustandsstörer gemäß § 79 Abs. 1 S.1 Nr.1 NBauO auf, die Mauer binnen zwei Monaten nach Bestandskraft der Entscheidung insoweit zu beseitigen, dass ein Abstand zur Erschließungsstraße von mindestens 3,00 m eingehalten wird.\n\n\n\n

Der A erhob mit Schreiben vom 18. Juli 2018 Widerspruch. Er machte geltend, dass primär der N als Handlungsstörer verantwortlich sei. Er habe mit den „Zuständen“ auf dem Baugrundstück nichts zu tun. Zudem handele es sich bei der Mauer nicht um eine selbstständige Nebenanlage.\n\n\n\n

Mit Widerspruchsbescheid vom 7. August 2021, wies die Widerspruchsbehörde den Widerspruch zurück. Die Behörde führte ergänzend an, dass die Beseitigungsanordnung an den für den baurechtswidrigen Zustand Verantwortlichen zu adressieren sei. Die Verantwortlichkeit im Baurecht sei weniger personen- als grundstücksbezogen. Es gehe in erster Linie um die Beseitigung eines baurechtswidrigen Zustands, wie er in der auf einem Grundstück errichteten baulichen Anlage in Erscheinung trete. Für diesen Zustand sei verantwortlich, wer für das Grundstück zuständig sei. Es gehe hier nicht um eine Haftung für ein Verhalten, das einen Zustand herbeigeführt habe, sondern um die Haftung für diesen Zustand selbst. Bei der Mauer handele es sich zweifelsfrei um eine selbstständige Nebenanlage, die nicht Bestandteil des Wohnhauses sei. Sie sei auch erst später an das Wohnhaus angebaut worden. \n\n\n\n

Daraufhin erhob der A frist- und formgerecht Klage beim zuständigen Verwaltungsgericht.\n\n\n\n

Hat die Klage des A Aussicht auf Erfolg?\n\n\n\n


\n\n\n\n

\n\n\n\n

Niedersächsische Bauordnung\n\n\n\n

(NBauO)\n\n\n\n

Vom 3. April 2012\n\n\n\n

§ 79 Baurechtswidrige Zustände, Bauprodukte und Baumaßnahmen sowie verfallende bauliche Anlagen\n\n\n\n

(1) 1Widersprechen bauliche Anlagen, Grundstücke, Bauprodukte oder Baumaßnahmen dem öffentlichen Baurecht oder ist dies zu besorgen, so kann die Bauaufsichtsbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen anordnen, die zur Herstellung oder Sicherung rechtmäßiger Zustände erforderlich sind. 2Sie kann namentlich\n\n\n\n

1. die Einstellung rechtswidriger und die Ausführung erforderlicher Arbeiten verlangen,\n\n\n\n

2. die Einstellung der Arbeiten anordnen, wenn Bauprodukte verwendet werden, an denen unberechtigt ein Ü-Zeichen (§ 21 Abs. 3) oder unberechtigt eine CE-Kennzeichnung angebracht ist oder die entgegen § 21 ein erforderliches Ü-Zeichen oder entgegen der Verordnung (EU) Nr. 305\/2011 eine erforderliche CE-Kennzeichnung nicht tragen,\n\n\n\n

3. die Verwendung von Bauprodukten, die entgegen § 21 mit dem Ü-Zeichen gekennzeichnet sind, untersagen und deren Kennzeichnung ungültig machen oder beseitigen lassen,\n\n\n\n

4. die Beseitigung von Anlagen oder Teilen von Anlagen anordnen,\n\n\n\n

5. die Benutzung von Anlagen untersagen, insbesondere Wohnungen für unbewohnbar erklären.\n\n\n\n

3Die Bauaufsichtsbehörde hat ihre Anordnungen an die Personen zu richten, die nach den §§ 52 bis 56 verantwortlich sind. 4Nach Maßgabe des Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes kann sie auch nicht verantwortliche Personen in Anspruch nehmen. 5Die Anordnungen der Bauaufsichtsbehörde gelten auch gegenüber den Rechtsnachfolgern der Personen, an die die Anordnungen gerichtet sind.\n\n\n\n

(2) Die Bauaufsichtsbehörde kann bauliche Anlagen, Teile baulicher Anlagen und Arbeitsstellen versiegeln und Bauprodukte, Geräte, Maschinen und Hilfsmittel sicherstellen, soweit dies zur Durchsetzung von Anordnungen nach Absatz 1 erforderlich ist.\n\n\n\n

(3) 1Soweit bauliche Anlagen nicht genutzt werden und verfallen, kann die Bauaufsichtsbehörde die nach § 56 verantwortlichen Personen verpflichten, die baulichen Anlagen abzubrechen oder zu beseitigen, es sei denn, dass ein öffentliches oder schutzwürdiges privates Interesse an ihrer Erhaltung besteht. 2Für die Grundstücke gilt § 9 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 entsprechend.\n\n\n\n

(4) Die Bauaufsichtsbehörde soll vor Anordnungen nach den Absätzen 1 und 3 die Angelegenheit mit den Betroffenen erörtern, soweit die Umstände nicht ein sofortiges Einschreiten erfordern.\n\n\n\n


\n\n\n\n

Skizze\n\n\n\n\n\n
\n\n\n\n

Gutachten\n\n\n\n

Die Klage hat Aussicht Erfolg, wenn sie zulässig und soweit sie begründet ist.\n\n\n\n

A. Zulässigkeit\n\n\n\n

Die Klage müsste zulässig sein. \n\n\n\n

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs \n\n\n\n

Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweges richtet sich mangels aufdrängender Sonderzuweisung nach § 40 I 1 VwGO. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist dabei nach der modifizierten Subjektstheorie eine solche, bei der die streitentscheidenden Normen einseitig einen Träger öffentlicher Gewalt berechtigen oder verpflichten.[1] BeckOK VwGO\/Reimer, 56. Ed. 1.4.2020, VwGO § 40 Rn. 45.4.