{"id":1777,"date":"2021-10-13T11:10:29","date_gmt":"2021-10-13T09:10:29","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=1777"},"modified":"2022-04-28T22:22:19","modified_gmt":"2022-04-28T20:22:19","slug":"gebuehrenpflicht-bei-hochrisikospielen","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/gebuehrenpflicht-bei-hochrisikospielen\/","title":{"rendered":"Gebührenpflicht bei Hochrisikospielen"},"content":{"rendered":"
BVerwG, Urt. v. 29.03.2019 – 9 C 4.18; NVwZ 2019, 1444\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

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Bei sog. Hochrisikospielen in der Bundesliga kommt es zu zahlreichen, teils schwersten Straftaten der Fangruppen untereinander. Die Polizeikräfte werden immer wieder gewalttätig angegangen. Die Gefahrenabwehr durch die massiven Polizeieinsätze mit zum Teil mehr als 1.000 Polizistinnen und Polizisten verursacht hohe Kosten, die von dem Land getragen werden, in dem das Hochrisikospiel stattfindet. Auch die Kosten für zusätzlich angeforderte Kräfte aus anderen Ländern bezahlt das jeweilige Land.\n\n\n\n

Im Land B bricht eine Debatte darüber aus, wie man die Profiteure des sehr lukrativen Profifußballs an den bei den Hochrisikospielen entstehenden hohen Kosten beteiligen könnte. Man einigt sich schließlich auf eine Neuregelung des Gebührengesetzes (GebG) und fügt einen neuen § 4 IV GebG ein (sog. Veranstaltergebühr). Die Vorschrift lautet jetzt:\n\n\n\n

„(4) Eine Gebühr wird von Veranstaltern erhoben, die eine gewinnorientierte Veranstaltung durchführen, an der voraussichtlich mehr als 5.000 Personen zeitgleich teilnehmen werden, wenn wegen erfahrungsgemäß zu erwartender Gewalthandlungen vor, während oder nach der Veranstaltung am Veranstaltungsort, an den Zugangs- oder Abgangswegen oder sonst im räumlichen Umfeld der Einsatz von zusätzlichen Polizeikräften vorhersehbar erforderlich wird. Die Gebühr ist nach dem Mehraufwand zu berechnen, der aufgrund der zusätzlichen Bereitstellung von Polizeikräften entsteht. Der Veranstalter oder die Veranstalterin ist vor der Veranstaltung über die voraussichtliche Gebührenpflicht zu unterrichten …“\n\n\n\n

Die D-GmbH (D) organisiert und trägt die Spiele der Fußball-Bundesliga und der 2. Bundesliga aus und ist berechtigt die Vermarktungsrechte zu verwerten. Die D hält § 4 IV GebG für verfassungswidrig. Nicht nur, fehle dem Land B die Zuständigkeit, weil die Finanzverfassung des Grundgesetzes abschließend sei. Vielmehr könnten polizeiliche Aufgaben nicht aus Gebühren finanziert werden, sondern müssten steuerfinanziert sein. Außerdem sollten die einzelnen Störer vorrangig in Anspruch genommen werden. Überdem läge ein Verstoß gegen das Verbot von Einzelfallgesetzen vor und es handele sich um eine zu unbestimmte Regelung. Die Grundrechte aus Art. 3, 12 und 14 GG von D seien auch verletzt. Jedenfalls sei das Gesetz unverhältnismäßig, da die Allgemeinheit ja auch ein Interesse an der Gefahrenabwehr hätte.\n\n\n\n

B hält dem entgegen, dass gerade nicht die weiterhin kostenlos zur Verfügung stehende Grundsicherung bei Großveranstaltungen betroffen sei. Die D würde jedoch von den Einsätzen und den – über die normale Grundsicherung hinaus – anfallenden Kosten im hohen Maße profitieren. Sie sei als Nutznießer als Gebührenschuldner heranzuziehen. Es könne nicht den Steuerzahlenden zugemutet werden, über die kostenlose polizeiliche Grundsicherung bei Großveranstaltungen auch noch für die Sicherheit des sehr lukrativen Profifußballs bei Hochrisikospielen aufzukommen. § 4 IV GebG erfasse nur den individuell zurechenbaren Mehraufwand für Polizeieinsätze bei zu erwartenden Gewalthandlungen. Die entsprechenden Kostensätze seien durch Rechtsverordnung eindeutig festgelegt worden.\n\n\n\n

Ist die Regelung verfassungsgemäß?\n\n\n\n


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Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten\n\n\n\n

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A. Verfassungskonformität\n\n\n\n

§ 4 IV GebG ist verfassungskonform, wenn diese Regelung formell und materiell verfassungsgemäß ist.\n\n\n\n

I. Formelle Verfassungsmäßigkeit\n\n\n\n

Die Vorschrift des § 4 IV GebG könnte formell verfassungswidrig sein.\n\n\n\n

1. Gesetzgebungskompetenz\n\n\n\n

Zunächst müsste das Land B die Gesetzgebungskompetenz inne haben. Gemäß Art. 70 I GG haben grundsätzlich die Länder die Gesetzgebungskompetenz soweit nicht durch das Grundgesetz dem Bund die Gesetzgebungskompetenz übertragen ist. Eine derartige Übertragung könnte sich zunächst aus den Katalogen der Arts. 73, 74 GG ergeben. Das Gefahrenabwehrrecht ist jedoch – gerade im Gegensatz zur Strafverfolgung – nicht dem Bund übertragen. Die Zuständigkeit der Länder für den Erlass des GebG ergibt sich insoweit als Annexkompetenz zum Gefahrenabwehrrecht.[1]BVerwG, Urt. v. 29.03.2019 – 9 C 4.18, Rn. 18.