{"id":1729,"date":"2021-10-06T10:38:00","date_gmt":"2021-10-06T08:38:00","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=1729"},"modified":"2022-04-25T11:58:40","modified_gmt":"2022-04-25T09:58:40","slug":"pruegelei-in-der-jva","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/pruegelei-in-der-jva\/","title":{"rendered":"Prügelei in der JVA"},"content":{"rendered":"
BGH-Beschluss vom 26.01.2021 – 1 StR 463\/20, BeckRS 2021, 794\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

A und B verbüßten in der Justizvollzugsanstalt in C jeweils Haftstrafen. Sie waren auf verschiedenen Ebenen in der JVA untergebracht, sodass sie lediglich bei gemeinsamen Arbeiten oder beim Hofgang miteinander in Kontakt kamen. Über eine längere Zeit hinweg kam es zwischen ihnen zu Streitigkeiten und wechselseitigen Beleidigungen. Beiden war klar, dass es demnächst bei einer weiteren Begegnung zu einer körperlichen Auseinandersetzung kommen würde, was auch für Dritte ersichtlich war. Bei einem Hofgang ließ B dem A über einen anderen Häftling mitteilen, „dass es heute soweit sei“. A lief nach Erhalt dieser Information auf B zu und versetzte diesem einen wuchtigen Faustschlag gegen den Kopf. Aufgrund der dadurch bedingten starken Bewegung des Kopfes kam es bei B zu einem Gefäßabriss im Bereich der Hirnbasis. B stürzte daraufhin zu Boden und schlug mit dem Hinterkopf auf. B versuchte mit den letzten Kräften sich noch am T-Shirt des A festzuhalten und ihm einen Schlag zu verpassen, was ihm jedoch nicht gelang. Danach versetzte A dem B noch einen Tritt mit dem Fuß gegen die Stirn. B verstarb im Krankenhaus an einer Hirnblutung. Eine gerichtsmedizinische Untersuchung ergab, dass der durch den Faustschlag verursachte Gefäßabriss für den Tod ursächlich war. A hielt zu keinem Zeitpunkt der Auseinandersetzung den Tod des B für möglich. \n\n\n\n

Strafbarkeit des A?\n\n\n\n


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Skizze\n\n\n\n\n\n

Gutachten\n\n\n\n

A. Strafbarkeit gemäß § 223 Abs. 1 StGB im Hinblick auf den Faustschlag\n\n\n\n

Indem A dem B mit seiner Faust ins Gesicht schlug, könnte er sich wegen Körperverletzung gemäß § 223 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben. \n\n\n\n

I. Tatbestand\n\n\n\n

A hat den B durch den Faustschlag übel und unangemessen behandelt, wodurch das körperliche Wohlbefinden des B aufgrund der Schmerzen mehr als nur unerheblich beeinträchtigt wurde.  Zudem erlitt B durch den Faustschlag einen Gefäßriss, sodass A bei diesem einen krankhaften Zustand hervorrief. \n\n\n\n

Der Faustschlag kann nicht hinweggedacht werden, ohne dass der tatbestandliche Erfolg entfiele, sodass dieser auch kausal war. \n\n\n\n

Mit dem Faustschlag hat A eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen, welche sich in dem tatbestandlichen Erfolg realisiert hat, sodass dieser ihm auch objektiv zurechenbar war. \n\n\n\n

A schlug mit Wissen und Wollen bezüglich einer konkreten Verletzung des B in dessen Gesicht, sodass er auch vorsätzlich handelte. \n\n\n\n

Damit hat A den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt.\n\n\n\n

II. Rechtswidrigkeit \n\n\n\n

A müsste auch rechtswidrig gehandelt haben. \n\n\nVernetztes Lernen: Was sind die wichtigsten Rechtfertigungsgründe außerhalb des StGB?

\nNotwehr § 227 BGB
\nDefensivnotstand
§ 228 BGB
\nAggressivnotstand
§ 904 BGB
\nSelbsthilfe allgemein
§ 229 BGB
\nSelbsthilfe des Vermieters
§ 562b BGB
\nSelbsthilfe des Verpächters
§§ 581 Abs. 2, 562b BGB
\nSelbsthilfe des Gastwirts
§§ 704, 562b BGB
\nSelbsthilfe des Besitzers
§ 859 BGB \n

Festnahmerecht § 127 StPO
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1. Notwehr § 32 StGB\n\n\n\n

Zwar liegt ein gegenwärtiger Angriff des B vor, denn dieser hatte beabsichtigt, den A nach der Ankündigung direkt zu verletzten, sodass der Angriff unmittelbar bevorstand.\n\n\n\n

Jedoch standen A mildere gleich wirksame Mittel, insbesondere die Verständigung eines Justizvollzugsbeamten, zur Verfügung. Damit war eine Verteidigungshandlung nicht erforderlich, sodass die Notwehr nach § 32 StGB ausscheidet. \n\n\n\n

2. Rechtfertigende Einwilligung\n\n\n\n

A könnte jedoch gerechtfertigt sein, wenn die Ankündigung des B, „es sei heute soweit“ eine rechtfertigende Einwilligung darstellen würde. \n\n\nVernetztes Lernen: Welche Formen der „Einwilligung“ gibt es?

\nTatbestandsausschließende Einwilligung (auch Einverständnis genannt): einschlägig, wenn schon ein Tatbestandsmerkmal mit dem Willen des Rechtsgutinhabers verknüpft ist und damit mit dieser Einwilligung bereits der Tatbestand nicht erfüllt wird.\n

Rechtfertigende Einwilligung: hier wird der Tatbestand grundsätzlich verwirklicht. Das tatbestandliche Handeln wird jedoch ausnahmsweise wegen des Willens des Rechtsgutinhabers gerechtfertigt. Dieser ist mit der konkreten Rechtsgutverletzung einverstanden. \n

Mutmaßliche Einwilligung: ist grundsätzlich subsidiär. Diese greift nur, wenn die Rechtsgutverletzung mit dem vermutetem Willen des Berechtigten, welcher sich aus der ex-ante Perspektive beurteilt, übereinstimmt. \n

Hypothetische Einwilligung: insbesondere in Arzthaftungsfragen bedeutend, aus dem Zivilrecht hergeleitet und dem Grunde nach umstritten. Dort soll eine Haftung des Arztes entfallen, wenn der Patient auch bei ordnungsgemäßer Aufklärung in den jeweiligen Eingriff zugestimmt hätte.
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a. Disponibilität, Befugnis und Einwilligungsfähigkeit\n\n\n\n

Eine solche Einwilligung setzte zunächst die Disponibilität des Rechtsguts, die Dispositionsbefugnis, sowie die Einwilligungsfähigkeit des Einwilligenden voraus. \n\n\n\n

Bei der körperlichen Unversehrtheit handelt es sich um ein disponibles Rechtsgut, auf dessen Schutz B als Inhaber dessen grundsätzlich verzichten kann. Anhaltspunkte, die gegen eine Einwilligungsfähigkeit sprechen sind nicht ersichtlich. \n\n\n\n

b. Einwilligungserklärung und Willensmängel\n\n\n\n

B müsste vor der Tat die Einwilligung zur Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ausdrücklich oder konkludent erklärt haben.[1]Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 2017, § 9 Rn. 31.