{"id":1615,"date":"2021-07-28T00:17:12","date_gmt":"2021-07-27T22:17:12","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=1615"},"modified":"2022-04-28T22:22:48","modified_gmt":"2022-04-28T20:22:48","slug":"der-klima-beschluss-des-bverfg","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/der-klima-beschluss-des-bverfg\/","title":{"rendered":"Der Klima-Beschluss des BVerfG"},"content":{"rendered":"
BVerfG Beschluss vom 24.3.2021 – 1 BvR 2656\/18, 1 BvR 78\/20, 1 BvR 96\/20, 1 BvR 288\/20, NJW 2021, 1723\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

(geändert und gekürzt)\n\n\n\n

Der Weltklimarat (Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC) hat in seinen Sonderberichten und Jahresberichten den wissenschaftlichen Stand zum Klimawandel und zu den drohenden Folgen zusammengefasst. Als wissenschaftlich gesichert gilt, dass Treibhausgase (THG) wie CO2 und Methan zu einer Verdichtung der Atmosphäre beitragen. Dies verursacht den sog. Treibhauseffekt; Das Sonnenlicht kommt zwar weiterhin durch die Atmosphäre zur Erde, aber die von der Erde abgegebene Wärme kann nicht aus der Atmosphäre austreten (wie in einem Gewächs-\/Treibhaus). Durch die Emissionen der Menschen („anthropogener Klimawandel“) hat sich die Co2-Konzentration so verdichtet, dass sich die Erde seit 1750 um 1 Grad Celsius erwärmt hat. Wenn die Welt zukünftig keine Reduktion der Treibhausgasemissionen vornehmen würde, könnte bis 2100 die Temperatur im Mittel um mehr als 4-6 Grad Celsius steigen. In den letzten 10.000 Jahren änderte sich die Temperatur lediglich um 0,6 Grad. Auch die extremen Klimaereignisse der letzten 50.000 Jahre (Eiszeit) geschahen durch Veränderungen der Temperaturen über Jahrtausende – nicht Jahrhunderte.\n\n\n\n

Das IPCC stellt in Bezug auf die Auswirkungen fest, dass – sollte die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit (also 1750) nicht gelingen – mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit durch den Anstieg der Weltmeere und die immer stärker werdenden Wetterextreme Hunderte Millionen Menschen ihre Lebensgrundlage verlieren und ganze Landstriche unbewohnbar werden, aber auch durch die Hitze hunderttausende Menschen sterben würden. Auch verringert sich durch die Begrenzung der Erderwärmung auf 1,5 Grad die Wahrscheinlichkeit dafür, dass sog. Kipppunkte überschritten werden. Sollten diese Kipppunkte überschritten werden, könnten unumkehrbare Prozesse angestoßen werden, wie z.B. das Abtauen des Permafrostbodens in Sibirien, was wiederum zu einem abrupten Anstieg des freigesetzten Methans führen würde, was in der Folge den Klimawandel beschleunigen würde. Schon bei einem Temperaturanstieg von 2,5 Grad schätzt das IPCC die Wahrscheinlichkeit für das Erreichen der Kipppunkte als hoch ein.\n\n\n\n

Würde die Erderwärmung nicht auf deutlich unter 2 Grad, nach Möglichkeit 1,5 Grad begrenzt, werden auch in Deutschland Küstenregionen mit hoher Wahrscheinlichkeit regelmäßigen Überschwemmungen ausgesetzt sein. Durch Hitzewellen im Sommer würden zehntausende Menschen sterben. Durch die von der Erderwärmung veränderten Bedingungen für den sog. Jetstream werden sich sowohl anhaltende Dürreperioden als auch Starkregenereignissen verstärken und häufiger auftreten. Die Folgen eines durch den Klimawandel möglicherweise zum Erliegen kommenden Golfstroms sind noch nicht absehbar. Außerdem werden sich die Bedingungen für die Landwirtschaft und die Forstwirtschaft dramatisch verändern. Landflächen in Mecklenburg-Vorpommern z.B. droht wegen der intensiven Landwirtschaft in Verbindung mit dem Wassermangel eine Versandung, welche die Gebiete für die Landwirtschaft nicht mehr nutzbar machen könnte.\n\n\n\n

2015 einigten sich beinahe alle Staaten der UNO deshalb auf das sog. Paris Abkommen. Dieses legt fest, dass sich die Weltgemeinschaft verpflichtet die Erderwärmung auf unter 2 Grad und möglichst 1,5 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen. Auch Deutschland ist Unterzeichner des Paris Abkommens. Die bis 2021 in Bezug auf das Pariser Abkommen abgegebenen Selbstverpflichtungen der Staatengemeinschaft führen aller Wahrscheinlichkeit nach jedoch zu einem Temperaturanstieg von 3 Grad bis 2100.\n\n\n\n

Der Bundestag beschließt deshalb ein Klimaschutzgesetz (KSG), in dem angesichts des drohenden Klimawandels eine Reduktion der Treibhausgasemissionen (THG) Deutschlands bis 2030 um 55 % gegenüber 1990 beschlossen wird. Mit den Vorgaben des Gesetzes sollen die Verpflichtungen Deutschlands im Rahmen des Paris Abkommens eingehalten werden.\n\n\n\n

Dafür enthält das Gesetz Vorgaben, wie hoch die jährliche maximal zur Verfügung stehende Menge an Emissionen in jedem Jahr bis 2030 in den einzelnen Sektoren (Energiewirtschaft, Industrie, Gebäude, Verkehr, Landwirtschaft, Abfallwirtschaft & Sonstiges) in Co2-Äquivalenten sein soll. Das Gesetz schreibt außerdem fest, dass Deutschland bis zum Jahre 2050 klimaneutral sein soll – also im Jahr 2050 maximal so viele Treibhausgasemissionen ausgestoßen werden sollen, wie die natürlichen sog. Senken (also Wälder, Gewässer, etc.) an CO2 aufnehmen können.  \n\n\n\n

Für die notwendigen Reduktionen im Zeitraum nach 2030, wofür das Gesetz bisher keine ausdrücklichen Reduktionspfade festlegt, wird die Bundesregierung ermächtigt im Jahre 2025, für die einzelnen Sektoren die Ziele zur Reduktion auf dem Weg zur Klimaneutralität 2050 festzulegen. Der Bundestag muss diesen Plänen zustimmen; Wenn der Bundestag sich 6 Wochen lang nicht mit dem Vorschlag beschäftigt hat, gilt die Zustimmung als erteilt.\n\n\n\n

Eine Gruppe von überwiegend jungen Menschen wendet sich gegen das Klimaschutzgesetz. Sie machen geltend, dass das KSG bereits bis 2030 keine ausreichenden Reduzierungen der Treibhausgasemissionen vorsehe. Deutschland, könne nur insgesamt 4,6 Gigatonnen CO2 ausstoßen, wenn es seinen Anteil an der Reduktion der THG-Emissionen erreichen wollte. Wenn man jetzt ausrechne, wie viele Emissionen Deutschland nach dem Klimaschutzgesetz bis 2030 ausstoßen dürfte, wären bereits rund 88 % ausgestoßen. Dann müsste Deutschland eine „Vollbremsung“ vollführen, um die katastrophalen Folgen des Klimawandels noch abfedern zu können. Damit seien sie, die Beschwerdeführenden, in Zukunft in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG aber auch in anderen Freiheitsrechten verletzt. Die Freiheit sich in Zukunft nicht extrem einschränken zu müssen, entfalte auch schon in der Gegenwart Wirkung.\n\n\n\n

Außerdem liege in den unzureichenden Maßnahmen eine Verletzung von Art. 20a GG, der auch subjektive Rechte begründe. Das werde dadurch verstärkt, dass ab 2030 noch überhaupt kein Reduzierungspfad festgelegt sei, sondern nur das abstrakte Ziel der Klimaneutralität 2050. Der entsprechende Plan könne nur von der Bundesregierung aufgestellt werden und nicht vom Bundestag, was demokratietheoretisch problematisch sei.\n\n\n\n

Durch die drohenden, teils lebensfeindlichen Bedingungen und drohenden Hitzewellen müsste der Staat auch mehr tun, um die Beschwerdeführenden in ihrem Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 II GG zu schützen – Schließlich treffe den Staat auch eine Schutzpflicht in Bezug auf drohende Naturgewalten. Außerdem sind einige der Beschwerdeführenden Eigentümer von Häusern und Betrieben, die in einem Risikogebiet für Hochwasser stehen. Sie meinen, dass der Staat seine Schutzpflicht gegenüber dem Grundrecht auf Eigentum und der Berufsfreiheit verletzten würde, wenn nicht ausreichend unternommen wird, um sie vor den Folgen der zu erwartenden Fluten zu schützen.\n\n\n\n

Zuletzt meinen die Beschwerdeführenden, dass sich aus Art. 20a i.V.m. Art. 1 I GG ein Grundrecht auf ein ökologisches Existenzminimum ergebe. Dies umfasse auch, dass der Staat die Maßnahmen ergreifen muss, die aus wissenschaftlicher Sicht geboten seien, um das Klima zu schützen. Dass die Wissenschaft bestimmte Ereignisse nur mit Wahrscheinlichkeiten „voraussagen“ könnte, sei nicht schädlich, weil es für potentiell schädliche Ereignisse keine 100 %ige Sicherheit gebe.\n\n\n\n

Die Bundesregierung entgegnet, dass das Klimaschutzgesetz ausreichende Maßnahmen festlege. Art. 20a GG sei nur eine Staatszielbestimmung, die keine subjektiven Rechte begründe. Eine Verletzung von Art. 14 I GG komme nicht in Betracht, weil das Erbe nur in einem begrenzten Umfang geschützt sei. Eine Verletzung von Art. 12 I GG komme insbesondere nicht in Betracht, weil zukünftige Erwerbsaussichten nur von Art. 14 I GG geschützt seien, nicht aber von Art. 12 I GG. Außerdem sei es unseriös schon heute einen festen Plan für den Zeitraum nach 2030 festzulegen, wie die nötige Reduktion erreicht werden sollte. Dies könne erst später geschehen. In jedem Jahr könne von Deutschland, das eins der ambitioniertesten Klimagesetze weltweit habe, nur das erwartet werden, was mit den Freiheitsrechten der zurzeit Lebenden und den aktuellen wirtschaftlichen Aktivitäten vereinbar sei. Es sei es auch nicht möglich mit einem „CO2-Budget“ Grundrechtseinschränkungen vorzunehmen. Jeder Budget-Ansatz könne nur – was stimmt – auf Wahrscheinlichkeiten basiert werden, weshalb die Bundesregierung sich weigere sich auf ein derart mit Unsicherheit behaftetes Konzept zu versteifen.\n\n\n\n

Gleiches gelte für die angeführten Prognosen in Bezug auf zukünftig drohende Rechtsverletzungen: Diese seien mit inhärenter Unsicherheit behaftet – allein deshalb habe der Gesetzgeber eine weite Einschätzungsprärogative. In Zukunft könnte man auch zur Not sog. Carbon Capture and Storage (CCS) Methoden einsetzen, welche es ermöglichen CO2 aus der Atmosphäre herauszufiltern und im Boden zu binden. Die Beschwerdeführenden halten diesen Punkt für rein hypothetisch, da es bisher noch keinen Einsatz der CCS-Technik in großem Maßstab gibt und diese mit 200 € pro Tonne CO2 erhebliche Kosten verursacht.\n\n\n\n

Der Bund sagt weiter, Deutschland könne nur seinen Anteil leisten. Wenn andere Staaten in Zukunft noch mehr ausstießen, könne Deutschland nicht alleine verpflichtet werden.\n\n\n\n

Ein Grundrecht auf ein ökologisches Existenzminimum sei nicht aus der Verfassung herleitbar. Vielmehr ergebe sich der Schutz, den der Staat gewährleisten müsste, aus den Grundrechten in ihrer in der Verfassung vorgegebenen Form und diese seien nicht verletzt.\n\n\n\n

Die Beschwerdeführenden halten an ihrer Position fest.\n\n\n\n

Hat die zulässige Verfassungsbeschwerde Aussicht auf Erfolg?\n\n\n\n


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Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten\n\n\n\n

Die zulässige Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführenden hat gem. Art. 93 I Nr. 4a GG i.V.m. §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG Erfolg, soweit sie begründet ist.\n\n\n\n

A. Begründetheit\n\n\n\n

Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, soweit die Beschwerdeführenden durch die Regelungen des KSG in ihren Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt sind.\n\n\n\n

I. Art. 20a des Grundgesetzes\n\n\nAnmerkung zum Aufbau:
\nSowohl die Prüfung von Art. 20a GG als Grundrecht als auch von Art. 12 GG erfolgt vom Bundesverfassungsgericht bereits in der Zulässigkeit. Angesichts der hier gewählten Fallkonstellation ist es notwendig hier in der Begründetheit darauf einzugehen, ob Art. 20a GG überhaupt als Grundrecht Maßstab der Beschwerde sein kann.
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1. Grundrecht aus Art. 20a\n\n\n\n

Zunächst machen die Beschwerdeführenden geltend, dass sie in Art. 20a GG verletzt seien. Dafür müsste Art. 20a GG ein Grundrecht oder ein Grundrechtgleiches Recht sein.\n\n\n\n

Art. 20a GG wurde 1994 in das Grundgesetz als Staatszielbestimmung aufgenommen und enthält justiziable objektive Rechte. Diese binden den Gesetzgeber beim gesetzgeberischen Tätigwerden und verpflichten den Gesetzgeber auch in objektiver Hinsicht die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere auch in Verantwortung für die künftigen zu schützen.[1]so bereits der Wortlaut von Art. 20a GG.