{"id":1452,"date":"2021-05-19T11:05:00","date_gmt":"2021-05-19T09:05:00","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=1452"},"modified":"2022-04-25T11:59:51","modified_gmt":"2022-04-25T09:59:51","slug":"der-einzelraser-und-sein-panikleiden","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/der-einzelraser-und-sein-panikleiden\/","title":{"rendered":"Der Einzelraser und sein Panikleiden"},"content":{"rendered":"
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BGH, Urteil vom 12.09.2019 – 4 StR 146\/19, NStZ 2020, 297\n\n\n\n
OLG Stuttgart, Beschluss vom 04.07.2019 – 4 Rv 28 Ss 103\/19, NJW 2019, 2787\n\n\n\n\n\n

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Sachverhalt\n\n\n\n

A war am 01.05.2018 gegen 4 Uhr morgens mit seinem Pkw unterwegs, als er von zwei Polizeibeamten einer routinemäßigen Polizeikontrolle unterzogen wurde. Dabei verlangten die Beamten seinen Führerschein sowie Fahrzeugpapiere und forderten A auf, aus dem Fahrzeug zu steigen. Dabei hielt zufällig eine weitere Polizeistreife dort an. In diesem Augenblick erlitt A, welcher bereits seit längerer Zeit unter einer im Zusammenhang mit Polizeieinsätzen stehenden Panikstörung leidet, die mit Herzrasen, Händezittern und dem Bedürfnis, sich der Situation durch Flucht zu entziehen einhergeht, eine Panikattacke. Daraufhin stieg er zurück in seinen Pkw und fuhr mit quietschenden Reifen davon. Die zwei Streifenwagen fuhren A mit Blaulicht hinterher. Vergeblich versuchten diese, mit Haltesignalen A zum Anhalten zu bewegen. Als A erkannte, dass die Streifenwagen ihn fast eingeholt hatten, beschleunigte er sein Fahrzeug, um eine höchstmögliche Geschwindigkeit zu erreichen und dadurch die Beamten abzuhängen. Innerhalb der Ortschaft fuhr er bei erlaubten 50 km\/h, 145 km\/h. Zudem befuhr er zeitweise die Gegenfahrbahn und fuhr über eine rot anzeigende Ampel. Während der Verfolgungsfahrt schnitt er an unübersichtlichen Stellen die Kurven, wobei ihm dabei die Belange anderer Verkehrsteilnehmer gleichgültig waren, da es ihm allein auf ein schnelles Fortkommen ankam. In einer leichten, übersichtlichen und gut ausgeleuchteten Rechtskurve an einer gut überschaubaren Kreuzung verlor A allein aufgrund überhöhter Geschwindigkeit die Kontrolle über das Fahrzeug, welches in das Garagentor eines dort befindlichen Hauses schleuderte, an welchem ein Sachschaden von über 6.000 Euro entstand. Die Rechtskurve war dabei nicht ausschlaggebend für den Verlust der Kontrolle, sondern allein die Geschwindigkeit unabhängig von der konkreten Verkehrssituation. A flüchtete daraufhin zu Fuß weiter. Nach den Feststellungen des Sachverständigen war A infolge seiner Panikattacke in seiner Steuerungsfähigkeit im Sinne des § 21 StGB erheblich eingeschränkt.\n\n\n\n

Strafbarkeit des A?\n\n\n\n

Skizze\n\n\n\n\n\n
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A. Strafbarkeit des A gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 StGB\n\n\n\n

Indem A in einer Rechtskurve mit überhöhter Geschwindigkeit die Kontrolle über sein Fahrzeug verlor und dabei in ein Garagentor schleuderte und dieses dabei beschädigte, könnte er sich wegen Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß §  315c Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben. \n\n\nVernetztes Lernen: Wie grenzt man die Straßenverkehrsdelikte voneinander ab

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Zum einen haben wir den Schutz des Straßenverkehrs vor konkreter Gefährdung – §§ 315b und 315c StGB, zum anderen den Schutz vor einer abstrakten Gefährdung § 316 StGB. Der § 315d StGB stellt eine Verbindung von abstrakten und konkreten Gefährdungsdelikten dar, wobei je nach Gefährlichkeitsgrad der Strafrahmen sich verschiebt. \n

§ 315b StGB schützt dabei vor Eingriffen IN den Straßenverkehr, also vor Handlungen, welche von außerhalb auf den Straßenverkehr einwirken. § 315c StGB schützt vor Gefährdung DES Straßenverkehrs, also vor Handlungen innerhalb des Straßenverkehrs.
\nAll diese Delikte sind dabei eigenhändige Delikte. \n

§ 315d StGB soll die Sicherheit des Straßenverkehrs, Leib und Leben von Teilnehmern des Verkehrs und dessen Vermögenswerte schützen, die von dieser spezifischen Gefahr der Kraftfahrzeugrennens betroffen sein könnten. \n

Beachte! § 142 StGB schützt nicht den Straßenverkehr, was sich bereits aus der Stellung des Paragraphen ergibt. Dieser schützt das Vermögen und das zivilrechtliche Beweisinteresse des Unfallgeschädigten.
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I. Fahrzeugführer im Straßenverkehr\n\n\n\n

A hat sein Fahrzeug als Fortbewegungsmittel unter Beherrschung der Antriebskräfte in Bewegung gesetzt und gehalten und dabei öffentliche Straßen befahren. A war damit Fahrzeugführer im Straßenverkehr. \n\n\n\n

II. Fehlverhalten im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB\n\n\n\n

A müsste als Fahrzeugführer ein Fehlverhalten im Sinne dieser Vorschrift vorzuwerfen sein. \n\n\n\n

In Betracht kommt zunächst ein Fehlverhalten im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB, falls A an einer unübersichtlichen Stelle zu schnell gefahren wäre. Eine Stelle ist unübersichtlich, wenn der Fahrer die Verkehrssituation aufgrund von Umständen nicht überblicken kann und eine Anpassung der Fahrgeschwindigkeit insoweit indiziert wäre.[1]Fischer StGB, 68. Aufl. 2021, § 315 c Rn. 8.