{"id":1249,"date":"2021-02-23T09:13:23","date_gmt":"2021-02-23T08:13:23","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=1249"},"modified":"2023-05-10T20:16:50","modified_gmt":"2023-05-10T18:16:50","slug":"perverser-suizidhelfer","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/perverser-suizidhelfer\/","title":{"rendered":"Perverser Suizidhelfer"},"content":{"rendered":"
BGH, Urteil vom 4.7.2018 – 2 StR 245\/17 – NJW 2019, 449 \n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n

Der T ist sexuell-sadistisch veranlagt. Zur Befriedigung seiner Neigungen hat er mehrfach Frauen misshandelt, sexuell missbraucht und Scheinhinrichtungen durchgeführt. Über ein Internetforum hatte T unter einem Pseudonym Kontakt zu der O aufgenommen. Diese litt unter erheblichen psychischen Erkrankungen (Borderline, posttraumatische Belastungsstörung), verletzte sich mehrfach selbst und unternahm mehrere Selbsttötungsversuche. Sie war depressiv und befand sind in stationärer psychiatrischer Behandlung. In dem Internetforum äußerte die O Zweifel am Sinn ihres Lebens. T nutzte dies aus und lenkte die Chats bereits von Beginn des Kontakts an auf das Thema der Selbsttötung. Er suggerierte der O, dass das Erhängen eine schmerzfreie Tötungsart sei und bot ihr an, ihr beim Sterben zu „helfen“. O lehnte zunächst ab. Dem T gelang es, die O in zahlreichen Gesprächen zu destabilisieren. Schließlich erläuterte er der O seinen Plan für eine Hinrichtung. Er schlug ihr vor, dass sie mit dem Zug nach G kommen solle, wo er sie am Bahnhof abholen werde, um mit ihr in einen Wald zu fahren. Dort solle sie sich entkleiden, während er einen Galgen vorbereiten und ihr die Hände auf den Rücken fesseln werde, so dass sie sich nicht mehr umentscheiden könne. Er werde ihr „einen guten Orgasmus“ verschaffen und sie anschließend erhängen. Der Tod werde rasch eintreten. Der T war entschlossen, nicht nur eine Scheinhinrichtung zu inszenieren, sondern die O zu töten, um sich hierdurch eine sexuelle Stimulation zu verschaffen. T wusste, dass O krankheitsbedingt nicht in der Lage war, freiverantwortlich über eine Beendigung ihres Lebens zu entscheiden. Auf Anraten des T spiegelte die O den behandelnden Ärzten erfolgreich einen psychisch stabilen Zustand vor und erhielt Ausgang. Dann begab sie sich auf die Reise zum T, um sich von ihm töten zu lassen. O traf am Hauptbahnhof in G ein, wo sie vom T erwartet wurde. Beide gingen zu seinem Fahrzeug, in dem er Abschleppseile zum Erhängen und Kabelbinder zum Fesseln mitführte. Kurz vor Erreichen des Fahrzeugs wurde der T festgenommen.\n\n\n\n

Strafbarkeit des T?\n\n\n\n


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Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten\n\n\n\n

A. Strafbarkeit gem. §§ 216 I, II, 22, 23 I StGB\n\n\n\n

T könnte sich zunächst der versuchten Tötung auf Verlangen gem. §§ 216 I, II, 22, 23 I StGB strafbar gemacht haben, indem er sich mit O am Bahnhof von G verabredet, er sie dort abholt und Materialien zum Erhängen der O bei sich führt \n\n\n\n

O lebt, sodass die Tat nicht vollendet ist. Der Versuch ist gem. § 216 II StGB strafbar.\n\n\n\n

I. Tatentschluss\n\n\n\n

T müsste Tatentschluss, also Vorsatz bzgl. aller objektiver Tatbestandsmerkmale haben. Zunächst ist zu fragen, ob der T Vorsatz bzgl. einer Fremdtötung oder lediglich der (straflosen Beihilfe) einer eigenverantwortlichen Selbsttötung hatte. Für eine Abgrenzung von Selbst- und Fremdtötung kommt es maßgeblich darauf an, wer im letzten Moment die Tatherrschaft über den todbringenden Akt innehat. Auf die anschließende Frage, ob die O hier überhaupt noch freiverantwortlich handeln kann, kommt es nicht mehr an, da die Tatherrschaft über das Erhängen eindeutig bei dem T liegen soll, während die Hände der O gefesselt sind. Daher liegt der Fall einer Fremdtötung vor.\n\n\nAnmerkung: Verweis freiverantwortliche Selbsttötung

\nNäheres zu der Abgrenzung von Fremdtötung und freiverantwortlichem Suizid ist im Fall „Ärztliche Suizidbeihilfe“ zu finden.
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Weiterhin ist insbesondere fraglich, ob er Vorsatz bzgl. des Tötens auf Verlangen der O hatte. Zum Verlangen gehört mehr als eine bloße Einwilligung, der Getötete muss auch auf den Willen des Täters eingewirkt haben. Die Ernstlichkeit des Verlangens setzt weiter voraus, dass es auf freier und fehlerfreier Willensbildung beruht.[1]Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 21. Aufl. 2020, § 6 Rn. 6.