{"id":1168,"date":"2021-01-20T23:31:05","date_gmt":"2021-01-20T22:31:05","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=1168"},"modified":"2022-04-28T22:24:47","modified_gmt":"2022-04-28T20:24:47","slug":"generelles-demonstrationsverbot-zu-beginn-der-corona-pandemie","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/generelles-demonstrationsverbot-zu-beginn-der-corona-pandemie\/","title":{"rendered":"Generelles Demonstrationsverbot zu Beginn der Corona-Pandemie"},"content":{"rendered":"
BVerfG, Beschl. v. 15.04.2020 – 1 BvR 828\/20 NJW 2020, 1426, zugleich: BayVGH, Beschl. v. 9.4.2020, Az. 20 CE 20.755\n\n\n\n

Sachverhalt \n\n\n\n

(abgewandelt und gekürzt)\n\n\n\n

Zu Beginn der Ausbreitung des Sars-Cov-II-Virus (Corona), dass die Krankheit Covid19 auslöst, erlässt die Landesregierung des Landes L eine Verordnung, gestützt auf §§ 28, 32 IfSG.\n\n\n\n

§ 1 der (auf 4 Wochen befristeten) LCorona-VO lautet:\n\n\n\n

(1) Der Kontakt zu anderen Menschen außerhalb der Angehörigen des eigenen Hausstandes ist auf das absolut nötige Minimum zu reduzieren.\n\n\n\n

(2) Aufenthalte im öffentlichen Raum sind nur alleine, mit einer weiteren nicht im eigenen Haushalt lebenden Person oder im Kreise der Angehörigen des eigenen Hausstandes gestattet. Bei Begegnungen mit anderen Personen ist ein Mindestabstand von 1,5 Metern einzuhalten. Öffentliche Verhaltensweisen, die geeignet sind, das  Abstandsgebot des Satzes 2 zu gefährden, wie etwa gemeinsames Feiern, Grillen oder Picknicken, sind unabhängig von der Personenzahl untersagt.\n\n\n\n

(3) Ausnahmen können vor allem für Beerdigungen durch die zuständige Behörde auf Antrag erlaubt werden.\n\n\n\n

A findet den Versuch der Politik durch die Kontaktbeschränkungen jede Infektion vermeiden zu wollen nicht richtig und möchte dagegen demonstrieren. Das Motto der Demo, die A anmelden will, soll deshalb lauten: „Gesundheit stärken statt Grundrechte schwächen – Schutz vor Viren, nicht vor Menschen“. Die Demo soll sowohl stationär als auch mit einem Protestzug erfolgen.\n\n\n\n

A will dem Infektionsschutz auf der Demo so gut wie möglich nachkommen. Sie stellt deshalb einen Hygieneplan auf. Dieser sieht vor, dass die zu erwartenden 30 Teilnehmer*innen am stationären Beginn der Demo sich nur in aufgemalten Kreisen aufhalten, die 6 Meter auseinanderliegen. Während des Protestzuges soll jeder diesen Abstand einhalten. Dafür werden Ordner eingesetzt und die Regeln sollen regelmäßig durchgesagt werden. Neue Teilnehmer*innen werden von den Ordnern an einen Ort gelotst, der dem Plan entspricht.\n\n\n\n

Als A mit ihrem Plan bei der Versammlungsbehörde vorstellig wird, meint diese, dass sie keine andere Wahl habe als – wegen einem drohenden Verstoß gegen § 1 I, II LCorona-VO – die Versammlung zu verbieten. Schließlich würden sich bei der Demo mehr als zwei Haushalte treffen und in einer Demo läge eine öffentliche Verhaltensweise, die geeignet ist, das Abstandsgebot zu gefährden. Damit werde gegen § 1 I, II LCorona-VO verstoßen und damit die öffentliche Ordnung verletzt, folglich liegt in § 15 LVersG (entspricht § 15 VersG) die Rechtsgrundlage für das unausweichliche Verbot. Die LCorona-VO sei an der Stelle klar. Für Demonstrationen sei auch keine Ausnahme von dem Verbot vorgesehen. Mögliche Ausnahmen nach Absatz 3 beschränkten sich auf höchstpersönliche Angelegenheiten. Das Versammlungsverbot wird für sofort vollziehbar erklärt.\n\n\n\n

Zum Zeitpunkt der Demoanmeldung ist vieles noch unklar. Es scheint eine relativ zügige Überlastung des Gesundheitssystems zu drohen, wenn man die Infektionszahlen nicht deutlich reduzieren kann.\n\n\n\n

Die Versammlungsbehörde meint deshalb auch, dass ein generelles Verbot nun einmal zwingend sei, solange die Pandemie dies erfordere.\n\n\n\n

Nachdem A sowohl das VG als auch das OVG angerufen hat und mit ihren Anträgen auf einstweiligen Rechtsschutz scheiterte, ruft sie drei Tage vor dem geplanten Demo-Termin das BVerfG mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung an.\n\n\n\n

Mit Erfolg?\n\n\n\n

Bearbeitervermerk:\n\n\n\n

  1. § 28a IfSG galt zu dem Zeitpunkt, zu dem der Sachverhalt lag, noch nicht.
  2. Auch wenn ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vor dem BVerfG nur selten im Examen geprüft wird, gehört es in einigen Bundesländern zum Prüfungsstoff.[1]siehe z.B. § 16 III Nr. 2 lit. e) NJAVO (Niedersachsen), § 14 II Nr. 5 lit. ee) JAPVO (Sachsen-Anhalt).