{"id":1064,"date":"2020-11-24T14:12:37","date_gmt":"2020-11-24T13:12:37","guid":{"rendered":"https:\/\/examensgerecht.de\/?p=1064"},"modified":"2020-12-07T14:37:15","modified_gmt":"2020-12-07T13:37:15","slug":"brennende-liebe","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/brennende-liebe\/","title":{"rendered":"Brennende Liebe"},"content":{"rendered":"
BGH, Beschluss vom 27.05.2020 – 1 StR 118\/20 – NJW 2020, 2971\n\n\n\n

Sachverhalt \n\n\n\n

Das Liebespaar T und G verabredeten, gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Eines Abends hielten sich beide in dem im Eigentum des T stehenden Wohnmobil auf, der vom T für vorübergehende Aufenthalte und Urlaubsreisen genutzt wurde. Der T verteilte im Innenraum des Wohnmobils Benzin und entzündete dieses. Der Teppich fing sofort Feuer und die Flammen breiteten sich auf Grund der vorhandenen Stoffe und brennbaren Materialien binnen kürzester Zeit unkontrolliert aus, so dass der Fluchtweg durch die Eingangstür versperrt war. In dieser Situation beschloss der T, die G und sich zu retten. Trotz des in der beengten Räumlichkeit bereits stark ausgebreiteten Feuers gelang es dem T, das Fenster in der Front des Wohnmobils aufzuklappen, der G durch dieses herauszuhelfen und sodann selbst zu entkommen. Wohnmobil und Pkw brannten innerhalb kürzester Zeit vollständig aus. Die G erlitt zahlreiche Verbrennungen.\n\n\n\n

Strafbarkeit des T?\n\n\n\n


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Skizze\n\n\n\n\n\n
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Gutachten\n\n\n\n

A. Strafbarkeit gem. §§ 216 I, II, 22, 23 I StGB\n\n\n\n

T könnte sich der versuchten Tötung auf Verlangen gem. §§ 216 I, II, 22, 23 I StGB strafbar gemacht haben, indem er sowohl G als auch sich durch Anzünden des Wohnmobils ums Leben bringen wollte, im letzten Moment aber G aus dem Frontfenster half.\n\n\n\n

I. Vorprüfung\n\n\n\n

Der Versuch der Tötung auf Verlangen ist gem. § 216 II StGB strafbar. Die Tat ist nicht vollendet, da G noch am Leben ist. \n\n\n\n

II. Tatbestand\n\n\n\n

T hatte Tatentschluss bzgl. der Tötung der G auf ihr ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen hin. Indem der T das Benzin anzündete überschritt er in subjektiver Hinsicht die Schwelle zum „Jetzt-geht´s-los“ und es waren in objektiver Hinsicht keine weiteren Zwischenakte von Nöten, um zur Tatbestandsverwirklichung zu führen. T hat somit zur Tat unmittelbar angesetzt und der Tatbestand ist erfüllt.\n\n\n\n

III. Rechtswidrigkeit\n\n\n\n

Eine rechtfertigende Einwilligung in die Tötung ist, wie § 216 I StGB verdeutlicht nicht möglich; das Rechtsgut Leben ist nicht disponibel. T handelt auch rechtswidrig. \n\n\n\n

IV. Schuld\n\n\n\n

Schuldausschließungs- oder Entschuldigungsgründe sind nicht ersichtlich. Daher handelt T auch schuldhaft.\n\n\n\n

V. Rücktritt\n\n\n\n

Jedoch könnte T von dem Versuch gem. § 24 StGB strafbefreiend zurückgetreten sein. Der Versuch ist nicht fehlgeschlagen, da der T nach seiner Vorstellung den Taterfolg mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln noch herbeiführen kann. Der Versuch ist beendet, da der Taterfolg, also der Tod der G ohne weiteres Zutun durch Verbrennen eintreten kann. Daher ist für einen Rücktritt eine Verhinderung des Erfolgseintritts gem. § 24 I 1 Alt. 2 StGB von Nöten. Diesen Anforderungen genügt T, indem er G freiwillig aus dem Frontfenster des Wohnmobils schafft. Er tritt strafbefreiend zurück.\n\n\n\n

VI. Ergebnis\n\n\n\n

T ist nicht gem. §§ 216 I, II, 22, 23 I StGB strafbar.\n\n\n\n

B. Strafbarkeit gem. §§ 306a I Nr. 1, 306a II, 306b II Nr. 1 StGB\n\n\n\n

T könnte sich durch selbiges Verhalten der besonders schweren Brandstiftung gem. §§ 306a I Nr. 1, 306a II, 306b II Nr. 1 StGB strafbar gemacht haben.\n\n\n\n

I. Tatbestand\n\n\n\n

1. Objektiver Tatbestand …\n\n\n\n
a) … des Grundtatbestandes gem. § 306a I Nr. 1 StGB \n\n\n\n

In Betracht kommt zunächst eine Anknüpfung an § 306a I Nr. 1 StGB als Grunddelikt. Fraglich ist indessen, ob es sich bei dem Wohnmobil um ein taugliches Tatobjekt, also eine andere Räumlichkeit, die der Wohnung von Menschen dient, handelt. Unter Räumlichkeiten wird ein nach allen Seiten und nach oben „kubisch“ abgeschlossener Raum verstanden. Der Tatbestand soll dabei nicht nur Gebäude, Schiffe oder Hütten, sondern auch ungewöhnliche Formen des Wohnens, wie Wohn- oder Künstlerwagen schützen. Dass dieser Wohnraum ggf. über längere Zeiträume nicht genutzt wird, steht dem nicht entgegen.[1]BGH NStZ 2010, 519;