BGH Beschluss vom 04.10.2023 – 6 StR 258/23 – NJW 2023, 3803
Sachverhalt
A ist wie immer knapp bei Kasse, weshalb sie sich einen ausgeklügelten Plan überlegt, um innerhalb kürzester Zeit an relativ viel Geld zu kommen. Wie der Zufall es möchte, ist sie Geschäftsführerin und alleinige Gesellschafterin der A-GmbH, die keinen Geschäftsbetrieb ausübt, sondern ihr ausschließlich zur Begehung von Straftaten dient.
A wendet sich in ihrer Funktion als Geschäftsführerin der A-GmbH an das Zahlungsdienstleistungsunternehmen Z mit dem Ziel, die Z mittels fingierter Lastschrifteinzüge zu Zahlungen an die A-GmbH zu veranlassen. Geschäftsmodell der Z ist es, ihren Kunden ein mobiles Point-of-Sale (PoS) für die Abwicklung von Bezahlvorgängen zur Verfügung zu stellen und dafür im Gegenzug ein monatliches Entgelt sowie eine Beteiligung pro Transaktion zu erhalten.
Bei einem PoS handelt es sich um ein elektronisches Kartenlesegerät, das dem einkaufenden Endkunden erlaubt, am Verkaufsort beim Händler Waren mittels EC- oder Kreditkarte entweder kontaktlos, via PIN oder durch eine Ermächtigung zum Lastschrifteneinzug (elektronisches Lastschriftenverfahren (ELV)) zu bezahlen.
A schließt in ihrer Funktion als Geschäftsführerin der A-GmbH einen Vertrag mit der Z über die Nutzung eines solchen PoS, wobei sie suggeriert, das PoS bei realen Zahlungsvorgängen durch Endkunden einsetzen zu wollen.
Das von Z wenige Tage nach Vertragsschluss an die Privatadresse der A zu übersendende PoS sollte, wie von A geplant, geeignet sein, Transaktionen im ELV durchzuführen.
Üblicherweise werden beim ELV die einzelnen Zahlungen der Endkunden von deren Konten durch die Z eingezogen und dann gesammelt nach einem bestimmten Zeitabschnitt an den Vertragspartner – hier die A – überwiesen. Auf diese Weise liegt das mögliche Risiko eines Zahlungsausfalls bei der A, denn wenn das Konto eines Endkunden keine ausreichende Deckung aufweist (oder der Abbuchung bei der Bank widersprochen wird), kommt es durch einen Widerruf der Lastschrift zu einer Rückbuchung über eine sog. Rücklastschrift.
Mit dem Ziel, genau solche Rücklastschriften zu vermeiden und das Risiko eines Zahlungsausfalls auf die Z zu übertragen, vereinbart A mit der Z einen sog. „Clearing-Service“. Konkret wird vereinbart, dass die Z der A die Beträge der durch das PoS abgewickelten Bezahlvorgänge nicht erst gesammelt überweist, nachdem sie die Gutschriften der Banken der Endkunden erhalten hat (sog. „Clearing“ der Banken), sondern schon davor. Auf diese Weise wird Z vorleistungspflichtig und das Risiko eines Zahlungsausfalls durch Rücklastschriften verlagert sich von A auf Z. Der „Clearing-Service“ gehört grundsätzlich zum normalen Angebots-Repertoire der Z, da durch ihn die Liquidität ihrer Kunden gesichert werden kann und die Anzahl an Rücklastschriften im normalen Geschäftsverkehr vernachlässigbar klein ist.
Wie von Anfang an geplant verwendet A das PoS in den folgenden Wochen jedoch ausschließlich vertragswidrig dafür, Bezahlvorgänge im ELV durch ihre und weitere, nicht gedeckte EC-Karten abzuwickeln. Die so ausgelösten Lastschriften werden allesamt – wie A bewusst ist – durch die jeweilige Bank widerrufen und Z wird aufgrund ihres „Clearing-Service“ durch die jeweiligen Rücklastschriften belastet. Auf diese Weise löst A 100 Zahlungsvorgänge im ELV in Höhe von 350.000€ aus, die zunächst – dem Vertrag mit Z entsprechend – dem Konto der A-GmbH gutgeschrieben und sodann zeitnah von A abgehoben und für private Zwecke ausgegeben werden.
Strafbarkeit der A gem. § 263 StGB?
Skizze
Gutachten
A könnte sich durch den Abschluss des PoS-Nutzungsvertrages mitsamt „Clearing-Service“-Abrede mit der Z gem. § 263 Abs. 1 StGB gegenüber und zu Lasten der Z strafbar gemacht haben.
Anmerkung: Anknüpfungspunkt für die StrafbarkeitEine der Schwierigkeit des Falles liegt darin, bereits an dieser Stelle zu erkennen, dass der Anknüpfungspunkt für die Betrugsstrafbarkeit nicht erst jede einzeln ausgelöste Lastschrift mit dem PoS, sondern bereits der Abschluss des PoS-Nutzungsvertrages unter Vereinbarung des „Clearing-Service“ sein kann, da A von Beginn an plante, das Gerät ausschließlich zu deliktischen Zwecken und damit das Vermögen der Z mindernd einzusetzen.
Der Kniff besteht also darin, bei Geschäften, die letztlich tatsächlich vollzogen wurden, auch auf den anfänglichen Vertragsschluss als denkbaren Anknüpfungspunkt für die Strafbarkeit zu kommen.[1]Kudlich, JA 2024, 163 (165).
A. Tatbestand
I. Objektiver Tatbestand
1. Täuschungshandlung
A müsste Z über Tatsachen getäuscht haben. Sie müsste also durch das ausdrückliche oder konkludente Vorspiegeln falscher, oder durch die Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen auf das Vorstellungsbild der Z eingewirkt haben, um einen Irrtum bei ihr hervorzurufen. [2]Rengier, Strafrecht Besonderer Teil I., 26. Auflage 2024, § 13 Rn. 8, 9, 11.
Vorliegend schloss A mit Z einen Nutzungsvertrag über das PoS mitsamt „Clearing-Service“ und suggerierte dabei, das PoS bei realen Zahlungsvorgängen durch Endkunden und nicht etwa – wie eigentlich geplant – ausschließlich zur Selbstbereicherung unter Zuhilfenahme nicht-gedeckter EC-Karten einsetzen zu wollen.
Ob ein Verhalten den Erklärungswert einer Täuschung hat, ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei darauf abzustellen ist, wie die allgemeine Verkehrsauffassung das Verhalten unter den konkreten Verhältnissen objektiv verstehen konnte. Entscheidend ist dabei der jeweilige Geschäftstyp und die hierbei geltende Risikoverteilung unter Berücksichtigung eines Mindestmaßes an Redlichkeit.[3]Rengier, Strafrecht Besonderer Teil I., 26. Auflage 2024, § 13 Rn. 11.
Dadurch, dass A in den Vertragsverhandlungen suggerierte, das PoS bei realen Zahlungsvorgängen (vertragsgemäß) einsetzen zu wollen, erweckte sie den Eindruck, dass ein Vertragsschluss mit ihrer GmbH kein im Vergleich zum normalen und redlichen Geschäftsverkehr erhöhtes Zahlungsausfallrisiko bürgen würde. Sie tat damit konkludent kund, dass sie zur vertragsgemäßen Erfüllung bereit sei.A hat Z konkludent getäuscht.
Anmerkung: Unterschied der Fallkonstellation zum klassischen EingehungsbetrugDie vorliegende Fallkonstellation unterscheidet sich von der klassischen Konstellation bei einem Eingehungsbetrug: Betrachtet man bspw. einen Versendungskauf als klassisches Beispiel für einen Eingehungsbetrug, so wird der Irrtum dort (und das ausschließlich) bei der Bestellung erregt. In der Erfüllungsphase findet keine weitere Täuschung statt. Der bei der Bestellung erregte Irrtum wirkt schlicht fort. Der Täter kann quasi „seine Hände in den Schoß legen“.
In unserer Fallkonstellation muss A jedoch für jede Übersendung der Lastschrifteneinzüge erneut tätig werden. Hierbei enthält jede dieser Übersendungen die konkludente Behauptung, es handle sich um einen realen Lastschrifteneinzug eines ihrer Endkunden. A nimmt also im Vergleich zur klassischen Fallkonstellation eines Eingehungsbetruges neben der Täuschung bei Vertragsschluss noch 100 weitere (sukzessive) Täuschungshandlungen in der Erfüllungsphase vor, die sich unter den Betrugstatbestand subsumieren lassen könnten.[4]Vgl. ausführlich Heghmanns, ZJS 2/2024, 431 (431 f.).
Dieser Unterschied wird – wenn wir später mit der Argumentationslinie des BGH gehen wollen – bei der Argumentation um den Vermögensschaden noch sehr wichtig werden, weil er die Fallkonstellation im rechtstatsächlichen so besonders macht. Aus diesem Grund sollte er sich an dieser Stelle schon einmal ins Bewusstsein gerufen werden sollte. Damit wir nachher stimmige Wertungen beim Vermögensschaden vornehmen können (Pfadabhängigkeit der Betrugsprüfung) ist es also entscheidend, hier den richtigen Anknüpfungspunkt zu wählen und der ist beim Eingehungsbetrug die Täuschung bei Vertragsschluss. Für die im Folgenden zu prüfende Eingehung des Vertrages durch Z haben die späteren Täuschungshandlungen der A (in der Erfüllungsphase) keine Relevanz.
Eine alternative Lösung wäre es, wie die Vorinstanz des diesem Fall zugrundeliegenden Urteils[5]LG Stade, Urteil vom 23.02.2023 – 500 KLs 113 Js 40527/20 (4/22)., durch die Übersendung der 100 Lastschrifteneinzüge von 100 einzelnen Täuschungshandlungen in der Erfüllungsphase auszugehen und aufgrund eines einheitlichen Tatentschlusses der A von einer Strafbarkeit wegen Betruges in 100 tateinheitlichen Fällen auszugehen. Die betrügerische Handlung würde dann also nicht schon bei Vertragsschluss, sondern erst in der Erfüllungsphase gesehen werden.[6]Vgl. ausführlich Heghmanns, ZJS 2/2024, 431 (431 f.). Welche Konsequenzen die vom BGH stattdessen verfolgte Annahme eines Eingehungsbetruges vor allem für die Argumentation beim Vermögensschaden hat, werden wir an entsprechender Stelle sehen.
2. Dadurch hervorgerufener Irrtum
Infolge dieser Täuschung müsste A bei der Z einen kausalen Irrtum, also die Fehlvorstellung über Tatsachen hervorgerufen haben.[7]Rengier, Strafrecht Besonderer Teil I., 26. Auflage 2024, § 13 Rn. 41.
Indem A bei Vertragsschluss konkludent erklärte, sie würde das PoS mitsamt „Clearing-Service“ vertragsgemäß nutzen, rief sie in Z die für den Vertragsschluss ursächliche Vorstellung hervor, dass sich das von ihr im Rahmen der Vertragsausführung zu tragende Zahlungsausfallrisiko in einem dem redlichen Geschäftsverkehr entsprechenden Rahmen halten würde. Diese Vorstellung lief insofern fehl, als durch die tatsächlichen Pläne der A mit jeder einzelnen von A ausgelösten Lastschrift ein massiv erhöhtes Risiko des Widerrufs und damit ein entsprechend wesentlich erhöhtes Zahlungsausfallrisiko verbunden sein würde.
A hat in Z einen kausalen Irrtum hervorgerufen.
3. Dadurch hervorgerufene Vermögensverfügung
Durch den Irrtum müsste Z eine Vermögensverfügung vorgenommen haben, worunter jedes Verhalten zu verstehen ist, das sich unmittelbar vermögensmindernd auswirkt.[8]Rengier, Strafrecht Besonderer Teil I., 26. Auflage 2024, § 13 Rn. 70.
Durch die Fehlvorstellung geleitet, die A würde das PoS mitsamt „Clearing-Service“ vertragsgemäß in Anspruch nehmen, gab Z eine rechtsgeschäftliche Willenserklärung (Vertragsschluss) ab, aus der sie sich verpflichtete, die Beträge der durch das PoS abgewickelten Bezahlvorgänge nicht erst gesammelt, sondern bereits vor dem „Clearing“ der Banken an A zu überweisen (Vorleistungspflicht der Z). Der Vertragsschluss selbst stellt damit eine das Vermögen mindernde schuldrechtliche Verpflichtung und damit eine Vermögensverfügung[9]Rengier, Strafrecht Besonderer Teil I., 26. Auflage 2024, § 13 Rn. 70. der Z dar.Z hat eine irrtumsbedingte Vermögensverfügung vorgenommen.
4. Dadurch hervorgerufener Vermögensschaden
Durch den Vertragsschluss (Vermögensverfügung) müsste ein Vermögensschaden bei der Z eingetreten sein. Unter einem Vermögensschaden ist eine nicht durch ein Äquivalent kompensierte Vermögensminderung zu verstehen[10]Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT II, 12. Auflage 2022, § 27 Rn 57.. Bei einem Eingehungsbetrug bestimmt sich der Eintritt eines Vermögensschadens danach, ob bei einem Vergleich der Vermögenslagen vor und nach Vertragsschluss ein Vermögensschaden eingetreten ist – verglichen wird also der Wert der beiderseitigen Vertragsverpflichtungen.[11]Vgl. statt vieler BGH Beschl. v. 04.10.2023 – 6 StR 258/23 – NJW 2023, 3803 Rn. 10.
Hiernach wäre demnach der wirtschaftliche Wert des Anspruchs der Z auf Zahlung des mit der A vereinbarten Entgelts mit dem wirtschaftlichen Wert der von Z geschuldeten Zahlungsdienstleistung (einschließlich des durch den „Clearing-Service“ übernommenen Zahlungsausfallrisikos) zu vergleichen. Die Schadenshöhe würde sich sodann nach dem Gefährdungsgrad (also danach, wie wahrscheinlich eine Schädigung ist) und der Höhe des gefährdeten Vermögens (also danach, wie hoch der maximal zu erreichende Schaden ist) bemessen.[12]Ausführlich dazu Heghmanns, ZJS 2/2024, 431 (435), der wiederum auf BGH NStZ 2022, 409 (411); BVerfG NJW 2012, 907 (916 f.) verweist; Rengier, Strafrecht Besonderer Teil I., 26. Auflage 2024, § 13 … Continue reading Wertbestimmend wäre demnach insbesondere die Wahrscheinlichkeit einer erfolgreichen Tatplanausführung durch die A, sowie mögliche Sicherheitsmechanismen der Z, die zur Sperrung des Zahlungssystems hätten führen können.[13]BGH Beschl. v. 04.10.2023 – 6 StR 258/23 – NJW 2023, 3803 Rn. 10.
Anmerkung: Fortgang der Prüfung unter der Annahme eines „einheitlichen“ BetrugesIn der diesem Fall zugrundeliegenden Entscheidung nahm der BGH an, dass der durch den Vertragsschluss ausgelöste Vermögensschaden (Gefährdungsschaden) vollständig in dem durch die später bewirkten Lastschrifteneinzüge entstanden Schaden (in der Erfüllungsphase) enthalten sei, sodass den Täuschungshandlungen in der Erfüllungsphase (zur Intensivierung der abschließenden Schädigung) keine eigenständige Bedeutung beizumessen sei. Er nimmt damit also eine Sonderkonstellation an, die als einheitlicher Betrug zu verstehen und deshalb wie ein Eingehungsbetrug mit anschließender Erfüllung ohne weitere Täuschung zu behandeln sei.
Die nachfolgende Argumentation speist sich maßgeblich aus der entsprechenden Entscheidungsbegründung des BGH[14]BGH Beschl. v. 04.10.2023 – 6 StR 258/23 NJW 2023, 3803 Rn. 10 ff.. Mit einer entsprechenden Argumentation (vgl. erste Anmerkung oben) sollte es in einer Klausur aber weiterhin vertretbar sein, mit dem weiter oben aufgezeigten Vorgehen der Vorinstanz[15]LG Stade, Urteil vom 23.02.2023 – 500 KLs 113 Js 40527/20 (4/22). einen tateinheitlichen Erfüllungsbetrug anzunehmen.
Vorliegend erschöpft sich der Eingehungsbetrug jedoch nicht bereits im Abschluss des Vertrages zwischen A und Z. Die auf den Vertragsschluss (Verpflichtungsgeschäft) folgende Erfüllungsphase beschränkt sich nicht lediglich auf einen mit ihr zusammenfallenden singulären Übertragungsakt. Vielmehr stellt der Vertragsschluss ein in ein Dauerschuldverhältnis mündendes Durchgangsstadium dar. So sah der Tatplan der A vor, dass die, das Vermögen der Z endgültig schädigenden Handlungen, erst sukzessive im Rahmen der Erfüllungsphase (durch den wiederkehrenden Gebrauch des PoVs mit ungedeckten EC-Karten) von ihr vorgenommen werden. In solchen Konstellationen beruht die Vertragsdurchführung, also die irrtumsbedingt vollzogene Erfüllungsphase, auf der bereits für den Vertragsschluss ursächlichen Täuschung, weshalb für die konkrete Schadenshöhe auf den in der Erfüllungsphase endgültig eingetretenen Vermögensnachteil abgestellt werden kann. Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft sind demnach einheitlich zu betrachten.
Jegliche, in der Erfüllungsphase wirkenden schadensbestimmenden Faktoren, hatten ihren Ursprung im irrtumsbedingten Vertragsschluss, weshalb die durch ihn entstandene Vermögensgefährdung vollständig im später herbeigeführten Vermögensschaden enthalten ist. Anhaltspunkte für einen atypischen Schadensverlauf sind nicht ersichtlich. Durch den Vertragsschluss ist der Z mithin ein Vermögensschaden in Höhe des Gesamtvolumens der von A im ELV ausgelösten 100 Zahlungsvorgänge und damit von 350.000€ entstanden.
Anmerkung: Kritik an einer einheitlicher BetrachtungDer BGH nimmt hier eine Sonderkonstellation an, die als einheitlicher Betrug zu verstehen und deshalb wie ein Eingehungsbetrug mit anschließender Erfüllung ohne weitere Täuschung zu behandeln ist.
Auch wenn es sich im Rechtstatsächlichen um eine neue Konstellation des Eingehungsbetruges handeln mag[16]Kudlich, JA 2024, 163 (165)., lässt sich jedoch mit Heghmanns[17]Heghmanns, ZJS 2/2024, 431 (434-435). gegen eine solch einheitliche Betrachtung von Eingehungs- und Erfüllungsphase anbringen, dass zum einen das Tatunrecht höher zu werten ist, wenn der endgültige wirtschaftliche Taterfolg durch mehrere Täuschungen (also solche nach der Täuschung bei Vertragsschluss) erreicht wird und zum anderen die mögliche Beteiligung eines weiteren Täters oder Teilnehmers nur in der Erfüllungsphase nicht mehr angemessen erfassbar ist.
Betrachtet man erneut den Versendungskauf als klassische Fallkonstellation des Eingehungsbetruges, so würde in der Gleichsetzung des Gefährdungs- mit dem später entstandenen realen Vermögensverlust ein Schlechterstellung des Täters liegen: Bei einem Versendungskauf ist von vorherein genau bezifferbar, welcher maximale Erfüllungsschaden erreicht werden kann. Der Gefährdungsschaden würde im Vergleich dazu geringer ausfallen, ist doch bspw. noch nicht einmal klar, ob überhaupt eine Versendung erfolgen wird (Stichwort „Gefährdungsgrad“).
Unsere Fallkonstellation ist hingegen anders gelagert: Bei Vertragsschluss (Eingehung) war noch völlig unklar, wie hoch der maximale Erfüllungsschaden sein würde, war er doch abhängig davon, wie viele Lastschriften erfolgreich durch die A abgebucht werden können – es hätten 50, 100, aber eben auch 200 sein können. Dementsprechend liegt in einer Gleichsetzung von Gefährdungs- und real eingetretenem Vermögensverlust keine Schlechterstellung, weil der Gefährdungsschaden mindestens dem Betrag des Erfüllungsschaden entsprach, der reale Schaden also vollständig im Gefährdungsschaden enthalten war.[18]Heghmanns, ZJS 2/2024, 431 (435-436); Funcke, NZWiSt 2024, 184 (186-187).
Der BGH bezieht sich in seiner Argumentation immer wieder auf den Kontoeröffnungsbetrug[19]Vgl. BGH Beschl. v. 04.10.2023 – 6 StR 258/23 NJW 2023, 3803 Rn. 8.:
Beim Kontoeröffnungsbetrug eröffnet der Täter ein Konto bei einer Bank. Dabei legt er gefälschte Personalpapiere vor und/oder täuscht seine Zahlungswilligkeit oder -fähigkeit vor. In solchen Fällen liegt bereits in der Kontoeröffnung ein vollendeter Betrug vor, wenn dem Täter ein Überziehungskredit eingeräumt wird, oder er eine EC-Karte mit Einlösungsgarantie bereitgestellt bekommt, weil er damit ungehinderten Zugriff auf das Bankvermögen bekommt.[20]Heghmanns, ZJS 2/2024, 431 (432).
II. Subjektiver Tatbestand
1. Vorsatz
A wollte Z täuschen und dadurch einen Irrtum bei ihr hervorrufen, der sie wiederum zu einer Vermögensverfügung verleiten und dadurch einen Vermögensschaden hervorrufen sollte. Sie handelte mithin mit dem Willen zur Verwirklichung des Straftatbestandes in Kenntnis aller seiner objektiven Tatbestandsmerkmale[21]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 15. Auflage 2023, § 14 Rn. 5. und damit vorsätzlich.
2. Bereicherungsabsicht
A kam es gerade darauf an, sich durch den Einsatz des PoS mitsamt „Clearing-Service“ selbst einen Vermögensvorteil zu verschaffen (Bereicherungsabsicht[22]Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT II, 12. Auflage 2022, § 17 Rn 50.), dessen Kehrseite in dem durch die vorzeitigen Gutschriften aus den ELVs entstanden Schaden der Z zu finden ist (Stoffgleichheit[23]Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT II, 12. Auflage 2022, § 27 Rn 79.). Zuletzt hatte A auch keinen Anspruch auf die gegenleistungslose Gutschrift der ELVs (Rechtwidrigkeit der Bereicherung[24]Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT II, 12. Auflage 2022, § 27 Rn 83.).
B. Rechtswidrigkeit
Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich. A handelte rechtswidrig.
C. Schuld
Entschuldigungs- oder Schuldausschließungsgründe sind nicht ersichtlich. A handelte schuldhaft.
D. Ergebnis
A hat sich durch den Abschluss des PoS-Nutzungsvertrages mitsamt „Clearing-Service“-Abrede mit der Z gem. § 263 Abs. 1 StGB gegenüber und zu Lasten der Z strafbar gemacht.
Anmerkung: Konsequenzen der Annahme dieser Sonderkonstellation für die FallprüfungDer BGH stellt am Ende seiner Urteilsbegründung noch einmal zusammenfassend fest: „Reicht die im Rahmen des Verpflichtungsgeschäfts vorgenommene Täuschungshandlung – wie hier – bis in die Erfüllungsphase, dann liegt beim Zusammentreffen von Eingehungs- und Erfüllungsbetrug eine einheitliche Betrugstat vor“.[25] BGH, Beschl. v. 4.10.2023 – 6 StR 258/23, Rn. 12.
Sollte sich die Entscheidung des BGH in der Zukunft als Leitentscheidung entpuppen, bedeutet das für die Fallprüfung: Wenn es zu einem Eingehungsbetrug kommt, ist es irrelevant, ob in der Erfüllungsphase eine zusätzliche Täuschung vorgenommen und der zuvor begründete Gefährdungsschaden vertieft wird (der Betrugstatbestand also eigentlich zumindest ein weiteres Mal vollständig verwirklicht wird), oder ob das täuschungsbedingt zustande gekommene Rechtsgeschäft vom Opfer ohne weiteres Zutun durch den Täter schlicht erfüllt wird (der Betrugstatbestand also kein weiteres Mal verwirklicht wird).[26] Heghmanns, ZJS 2/2024, 431 (437).
Zusatzfragen
Lässt sich ein Vermögensschaden auch dann annehmen, wenn die Vermögensminderung durch ein Äquivalent kompensiert wird?Ausgehend von der oben genannten Gesamtsaldierung läge kein Vermögensschaden vor, wenn Leistung und Gegenleistung wirtschaftlich ausgeglichen sind, die Vermögensminderung beim (vermeintlich) Geschädigten also durch ein Äquivalent kompensiert wird. Grund dafür ist, dass der Betrug nicht die Freiheit als solche schützt, über die Zusammensetzung seines Vermögens zu entscheiden.[27]Rengier, Strafrecht Besonderer Teil I., 26. Auflage 2024, § 13 Rn. 201.
Von diesem Grundsatz wird in nur drei Fallgruppen nach der „Lehre vom individuellen (oder persönlichen) Schadenseinschlag“ (h.M.) eine Ausnahme gemacht[28]Vgl. hierfür ausführlich Rengier, Strafrecht Besonderer Teil I., 26. Auflage 2024, § 13 Rn. 202.:
(1) Die angebotene Leistung kann nicht oder nicht in vollem Umfange zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck oder in anderer zumutbarer Weise verwenden werden.
(2) Durch die eingegangene Verpflichtung wird zu vermögensschädigenden Maßnahmen genötigt.
(3) Infolge der Verpflichtung kann nicht mehr über die Mittel verfügt werden, die zur ordnungsmäßigen Erfüllung der Verbindlichkeiten oder sonst für eine die persönlichen Verhältnisse des Geschädigten angemessenen Wirtschafts- oder Lebensführung unerlässlich sind.
Die konkludente Täuschung der A, es handle sich bei ihrem 20€-Schein um einen nicht gefälschten Geldschein, müsste bei C einen kausalen Irrtum, also die Fehlvorstellung über Tatsachen, hervorgerufen haben.
C hat den 20€-Schein jedoch ungesehen in ihr Portmonee gesteckt und sich überhaupt keine Vorstellungen über den Umstand der Echtheit gemacht. Grundsätzlich kann nur derjenige irren, der eine positive Vorstellung von einem Gegenstand hat. Eine bloße Unkenntnis („ignorantia facti“) genügt nicht. Möglicherweise ließe sich die schlichte Unkenntnis der C jedoch auch als eine durch die konkludente Täuschung der A bewirkte Fehlvorstellung einordnen, da C die Echtheit des Geldes als selbstverständlich angesehen haben könnte.
Im Geschäftsleben mit Massenleistungen bilden sich bestimmte Verhaltensmuster und -erwartungen heraus, von deren Vorliegen regelmäßig unreflektiert ausgegangen wird (sog. „sachgedankliches Mitbewusstsein“). Wegen des konkreten Kontextes folgt dabei aus einem regelmäßig durch bestimmte Standards oder Erwartungen gekennzeichneten Verhalten eine positive Fehlvorstellung und ein Irrtum ist möglich.
Abzugrenzen davon ist ein diffuses und undifferenziertes Allgemeinvertrauen oder generelles Gefühl der Sicherheit („Alles in Ordnung“), da diesen Befindlichkeiten der konkrete Vorstellungsgegenstand fehlt.[29]Vgl. ausführlich Hefendehl in MüKo StGB, § 263 Rn. 336-341.
Da C innerhalb ihrer Tätigkeit als Cafe-Betreiberin (Geschäftsbetrieb mit Massenleistungen) die unreflektierte Erwartung gebildet hat, dass ihre Kundinnen mit „ungefälschten“ Geldscheinen bezahlen, konnte die konkludente Täuschung der A über die Echtheit des 20€ Scheins einen entsprechenden Irrtum bei ihr hervorrufen.
Zusammenfassung
- Reicht die im Rahmen des Verpflichtungsgeschäfts vorgenommene Täuschungshandlung bis in die Erfüllungsphase, liegt beim Zusammentreffen von Eingehungs- und Erfüllungsbetrug eine einheitliche Betrugstat vor. Der Vertragsschluss stellt dann ein in ein Dauerschuldverhältnis mündendes Durchgangsstadium dar.
- Wenn es zu einem Eingehungsbetrug kommt, ist es demnach irrelevant, ob in der Erfüllungsphase eine zusätzliche Täuschung vorgenommen und der zuvor begründete Gefährdungsschaden vertieft wird.
- Die Vertragsdurchführung beruht in solchen Fällen auf der bereits für den Vertragsschluss ursächlichen Täuschung, weshalb für die konkrete Schadenshöhe auf den in der Erfüllungsphase endgültig eingetretenen Vermögensnachteil abgestellt werden kann. Verpflichtungs- und Erfüllungsgeschäft sind demnach einheitlich zu betrachten.