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Verkehrssicherungspflichten beim Aufstellen von E-Rollern

OLG Bremen, Urteil vom 15.11.2023 – 1 U 15/23, NJW 2024, 681

Sachverhalt

Der V vermietet gewerblich E-Roller in der Stadt B im sogenannten free-floating-Modell, das heißt ohne festen Standort der E-Roller. Das Ordnungsamt B erteilte dem V hierzu Ende 2019 eine auf § 18 Abs. 1 BremLStrG beruhende Sondernutzungserlaubnis zur Einbringung von bis zu 500 E-Rollern im öffentlichen Straßenraum der Stadt. In den Nebenbestimmungen unter Nr. 3 (Aufstellen der Fahrzeuge) heißt es unter anderem:

3 a) Bei der Auswahl der Standorte sowie bei Aufstellen der Fahrzeuge hat die Erlaubnisinhaberin die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu gewährleisten. Die Belange von Senioren, Kindern und Menschen mit Behinderung sind dabei besonders zu berücksichtigen.

3 b) Werden die Fahrzeuge durch die Erlaubnisinhaberin aufgestellt oder umverteilt, muss am neuen Standort eine Restgehwegbreite von 1,50m verbleiben […]

Am frühen Morgen des 28.07.2020 stellt der V in der C-Straße zwei Roller nebeneinander an einer Hauswand auf. An dieser Stelle ist der Gehweg 5,50m breit. Die Roller stehen allerdings nicht parallel zur Hauswand, sondern in einem 90 Grad Winkel zu dieser, sodass die Roller in den Gehweg reichen. Die Roller selbst sind 1,15m lang. Besonderheiten der Örtlichkeit bestehen nicht.

Am selben Tag begeht K den Gehweg. K ist seit seiner Geburt an blind. Er nutzt zur Orientierung einen weißen Langstock, mit welchem er die Hauswände an einem Gehweg erfühlt und sich an diesen entlang orientiert. An den Rollern angekommen, welche bisher nicht wieder bewegt wurden, erkennt K den ersten Roller mit seinem Stock. Um das Hindernis zu überwinden will K einen Ausfallschritt über den ersten Roller machen. Dabei tritt er auf den zweiten Roller, rutscht aus und stürzt zu Boden. Durch den Sturz erleidet K einen Oberschenkelhalsbruch. K ist empört und will nunmehr Schadensersatz in Höhe von 20.000,00 EUR von V. Er ist der Meinung, dass V beim Aufstellen der Roller entgegen der erteilten Sondernutzungserlaubnis, § 18 Abs. 1 BremLStrG und letztlich Art. 20 der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) die Belange von Sehbehinderten nicht ausreichend bedacht hat. Die Roller hätten parallel zur Hauswand und nicht etwa quer zum Gehweg aufgestellt werden müssen. Seine Erfolgsaussichten schätzt K zudem gut ein, schließlich hat er von einem Freund gehört, dass es beispielsweise Autofahrer aufgrund der Gefährlichkeit des Fahrzeugs „quasi immer haften“. K ist der Meinung, dass dies auch für diese gefährlichen E-Roller gelten müsse. Jedenfalls habe der V die Roller in den Verkehr gebracht und müsse nun für seinen Schaden aufkommen.

Hat K einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 20.000,00 EUR gegen V?

(Anmerkung: Die Höhe des Schadensersatzes ist nicht zu beanstanden. Bei den Rollern handelt es sich um Elektrokleinstfahrzeuge i.S.d. § 1 eKFV)

§ 1 eKFV – Anwendungsbereich

(1) Elektrokleinstfahrzeuge im Sinne dieser Verordnung sind Kraftfahrzeuge mit elektrischem Antrieb und einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von nicht weniger als 6 km/h und nicht mehr als 20 km/h […]

§ 18 BremLStrG

(1) Der Gebrauch der Straße über den Gemeingebrauch hinaus (Sondernutzung) bedarf der Erlaubnis. Eine Erlaubnis soll nicht erteilt werden, wenn behinderte Menschen durch die Sondernutzung in der Ausübung des Gemeingebrauchs erheblich beeinträchtigt werden.

Art. 20 UN-BRK

Die Vertragsstaaten treffen wirksame Maßnahmen, um für Menschen mit Behinderungen persönliche Mobilität mit größtmöglicher Unabhängigkeit sicherzustellen, indem sie unter anderem

a) die persönliche Mobilität von Menschen mit Behinderungen in der Art und Weise und zum Zeitpunkt ihrer Wahl und zu erschwinglichen Kosten erleichtern;

b) den Zugang von Menschen mit Behinderungen zu hochwertigen Mobilitätshilfen, Geräten, unterstützenden Technologien und menschlicher und tierischer Hilfe sowie Mittelspersonen erleichtern, auch durch deren Bereitstellung zu erschwinglichen Kosten;

c) Menschen mit Behinderungen und Fachkräften, die mit Menschen mit Behinderungen arbeiten, Schulungen in Mobilitätsfertigkeiten anbieten; d) Hersteller von Mobilitätshilfen, Geräten und unterstützenden Technologien ermutigen, alle Aspekte der Mobilität für Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen.


Skizze


Gutachten

A. Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG, § 253 Abs. 2 BGB

K könnte gegen V ein Anspruch auf Schmerzensgeld in Höhe von 10.000,00 EUR aus § 7 Abs. 1 StVG haben. Dazu dürfte allerdings der Anspruch nicht bereits aufgrund des § 8 StVG von vornherein ausgeschlossen sein. Gem. § 8 Nr. 1 StVG gelten die Vorschriften des § 7 StVG nämlich dann nicht, wenn der Unfall durch ein Kraftfahrzeug verursacht wurde, das auf ebener Bahn mit keiner höheren Geschwindigkeit als 20 Km/h fahren kann. Bei den Rollern handelte es sich um solche i.S.d. § 1 eKFV, weshalb die Geschwindigkeit auf 20 Km/h begrenzt ist. Die Anwendung des § 7 Abs. 1 StVG ist daher – unabhängig seiner weiteren Voraussetzungen – gem. § 8 Nr. 1 StVG ausgeschlossen. 

Anmerkung: Prüfungsreihenfolge
Grundsätzlich ist im Zivilrecht immer die verschuldensunabhängige Haftung (hier § 7 StVG) vor der verschuldensabhängigen Haftung (bspw. § 823 BGB) zu prüfen.
Vernetztes Lernen:Verkehrsunfälle – gegen wen können sich Ansprüche ergeben und woraus folgen sie?
1) Gegen den Halter des Fahrzeugs nach § 7 Abs. 1 StVG

2) Gegen den Fahrer des Fahrzeugs nach § 18 StVG und § 823 BGB

3) Gegen die Haftpflichtversicherung, § 7 Abs. 1 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 VVG

B. Anspruch aus §§ 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB

Möglich erscheint aber ein Anspruch des K gegen V aus § 823 Abs. 1 BGB.

I. Rechtsgutsverletzung

Eine Rechtsgutsverletzung i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB in Form der Gesundheitsverletzung ist gegeben, da der K durch den Sturz einen Oberschenkelhalsbruch erlitt.

II. Verletzungshandlung

Allerdings müsste auch eine Verletzungshandlung vorliegen. Diese kann entweder in einem aktiven Tun oder aber Unterlassen liegen. Eine aktive Handlung des V, welche unmittelbar zum Sturz des K führte, liegt nicht vor. Insoweit kommt allenfalls ein Unterlassen in Frage. Ein Unterlassen ist aber nur dann eine taugliche Verletzungshandlung, wenn den Schädiger eine Verkehrssicherungspflicht trifft.[1]BeckOGK/Spindler, 1.11.2022, BGB § 823 Rn. 79; LG Bremen Urt. v. 16.3.2023 – 6 O 697/21, BeckRS 2023, 4342 Rn. 25

Vernetztes Lernen:Angenommen V stellt die Roller nicht selber auf, sondern benutzt hierfür Freiberufler, die er als Hunter bezeichnet. Diese sind nicht bei V angestellt, benutzten aber zum Aufstellen die App des V und werden pro aufgestellten Roller bezahlt. Bestünde eine Anspruchsgrundlage gegen V, wenn einer seiner Hunter die Aufstellung vorgenommen hätte?
Möglich erscheint dabei ein Anspruch aus § 831 BGB. Hierzu hätte der Hunter eine rechtswidrige unerlaubte Handlung vornehmen müssen (s.u.) und müsste Verrichtungsgehilfe des V sein. Letztlich müsste auch ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden des V vorliegen. Ob der Hunter aber tatsächlich auch Verrichtungsgehilfe ist, dürfte von der konkreten Ausgestaltung des Verhältnisses zwischen ihm und dem V abhängen. Grundsätzlich ist derjenige Verrichtungsgehilfe, der von einem anderen, von dessen Weisungen er mehr oder weniger abhängig ist, eine Tätigkeit übertragen bekommen hat.[2]BeckOGK/Seidel, 1.4.2024, BGB § 831 Rn. 15 mwN Da der V (vermutlich) alle Rahmenbedingungen des Verhältnisses zum Hunter bestimmt und auch die Voraussetzungen für seinen Einsatz schafft, scheint es naheliegend, dass der Hunter hier Verrichtungsgehilfe wäre.
1. Bestehen einer Verkehrssicherungspflicht

Möglich erscheint, dass V eine Verkehrssicherungspflicht beim Aufstellen der Roller traf. Jemand unterliegt einer Verkehrssicherungspflicht, wenn er in seinem Verantwortungsbereich eine Gefahrenlage schafft, wobei gleichgültig ist, ob er sie erst selbst hervorruft oder eine bereits vorhandene Gefahr übernimmt und sie weiter andauern lässt.[3]BGH, Urteil vom 25.2.2014 – VI ZR 299/13, NJW 2014, 2104; BGH, Urteil vom 8.2.1977 – VI ZR 217/74, BeckRS 1977, 30387681; OLG Bremen, Urteil vom 15.11.2023 – 1 U 15/23, NJW 2024, 681 … Continue reading Hier verleiht V gewerblich E-Roller und stellt E-Roller zu diesem Zweck im Stadtgebiet in B auf, so dass die von den E-Rollern ausgehenden Gefahren in seinem Verantwortungsbereich liegen. Eine Verkehrssicherungspflicht des V besteht mithin.

2. Inhalt der Verkehrssicherungspflicht

Fraglich ist aber, wie weit diese Verkehrssicherungspflicht reicht. Grundsätzlich muss der Verkehrssicherungspflichtige die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern. Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren.[4]BGH NJW-RR 1990, 789; NJW 2006, 610; NJW 2007, 1683; NJW 2008, 3775; NJW 2008, 3778; NJW 2010, 1967; NJW-RR 2011, 888 Zu berücksichtigen ist jedoch, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die naheliegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden. Der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt ist genügt, wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung für erforderlich hält.[5]OLG Bremen, Urteil vom 15.11.2023 – 1 U 15/23, NJW 2024, 681 Rn. 21

a) Konkretisierung durch § 18 Abs. 1 S. 2 BremLStrG

Die im Verkehr erforderliche Sorgfalt für das Aufstellen von E-Rollern könnte hier durch § 18 Abs. 1 S. 3 BremLStrG konkretisiert worden sein. Danach soll eine Sondernutzungserlaubnis nicht erteilt werden, wenn behinderte Menschen durch die Sondernutzung in der Ausübung des Gemeingebrauchs erheblich beeinträchtigt werden. Für eine Konkretisierung der Verkehrssicherungspflicht durch § 18 BremLStrG müsste dieser allerdings auch Rechtswirkung auf das Verhältnis V zu K haben. Die Rechtsfolge eines Verstoßes gegen § 18 Abs.1 S. 2 BremLStrG ist allerdings nicht das Bestehen einer zivilrechtlichen Verkehrssicherungspflicht, sondern die Ordnungsbehörde hätte die Sondernutzungserlaubnis dann nicht erteilen dürfen. Hätte die Ordnungsbehörde die Sondernutzungserlaubnis nicht erteilen dürfen, ist sie diese rechtswidrig.

Anmerkung: Rechtswidrigkeit und Nichtigkeit der Sondernutzungserlaubnis
Etwas Anderes könnte sich vorliegend dann ergeben, wenn die Sondernutzungserlaubnis des V nichtig wäre. Dann hätte V die Straße entgegen des Gemeingebrauchs und ohne Erlaubnis genutzt. Die Rechtswidrigkeit der Sondernutzungserlaubnis führt aber nicht zu deren Nichtigkeit, § 43 VwVfG (bzw. deren landesrechtliche Pendants).

Aus einer rechtswidrigen Sondernutzungserlaubnis allein ergibt sich aber keine zivilrechtliche Verkehrssicherungspflicht. Denn Folgen aus einer rechtswidrigen Sondernutzungserlaubnis sind vielmehr gegenüber der öffentlichen Hand geltend zu machen und nicht etwa gegenüber demjenigen, dem sie erteilt wurde.[6]OLG Bremen, Urteil vom 15.11.2023 – 1 U 15/23, NJW 2024, 681 Rn. 24

b) Konkretisierung durch Sondernutzungserlaubnis

Die Verkehrssicherungspflichten könnten aber durch die erteilte Sondernutzungserlaubnis bzw. deren Nebenbestimmungen konkretisiert worden sein. Zwar stellen untergesetzliche Norm keine verbindliche Regelung der Sorgfaltsanforderungen des Sicherungspflichtigen dar, sie können aber in Einzelfällen auch Anhaltspunkte für die Verkehrsanschauung über Absicherungsmaßnahmen enthalten.[7]BGH, Urt. v. 25.2.2014 – VI ZR 299/13, NZV 2014, 401 Gem. Nr. 3 b) der Sondernutzungserlaubnis sind die Fahrzeug so aufzustellen, dass eine Restgehwegbreite von 1,50m verbleibt. Ferner ist gem. Nr. 3a) der Sondernutzungserlaubnis der Standort so zu wählen, dass die Belange von Menschen mit Behinderungen berücksichtigt werden. Konkretere Angaben dahingehend, ob ein Aufstellen parallel zur Hauswand oder dem Gehweg zu erfolgen hat, sind indes nicht zu entnehmen.

c) Weitere Konkretisierung durch UN-BRK

Möglich erscheint darüber hinaus eine weitreichendere Konkretisierung durch Art. 20 UN-BRK. Grundsätzlich steht die UN-BRK im Rang einfachen Bundesrechts; sie kann und muss zur Auslegung und Anwendung des deutschen Rechts herangezogen werden.[8]OLG Bremen, Urteil vom 15.11.2023 – 1 U 15/23, NJW 2024, 681 Rn. 26 Das bedeutet, dass bei der Auslegung der SNE 2019 die Erfordernisse des Art. 20 UN-BRK zu berücksichtigen sind.[9]OLG Bremen, Urteil vom 15.11.2023 – 1 U 15/23, NJW 2024, 681 Rn. 26 Dies wäre allerdings nur dann von Relevanz, wenn aus der Anwendung des Art. 20 UN-BRK ein höheres Schutzniveau zugunsten des K abzuleiten wäre als bereits im Wortlaut der Sondernutzungserlaubnis verwirklicht. Insoweit fordert Art. 20 UN-BRK wirksame Maßnahmen, um für Menschen mit Behinderungen persönliche Mobilität mit größtmöglicher Unabhängigkeit sicherzustellen. Es ist nicht ersichtlich, dass hieraus höhere Anforderungen entstammen als aus Sondernutzungserlaubnis, wonach beim Aufstellen der E-Roller die Belange von Menschen mit Behinderungen zu berücksichtigen sind.

3. Verletzung der Verkehrssicherungspflicht

Nach den vorgenannten Maßstäben ist weiter fraglich, ob der V durch das Aufstellen der E-Roller seine Verkehrssicherungspflicht verletzt hat.

a) Verletzung durch Auswahl des Aufstellortes

Möglich erscheint zunächst eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Auswahl des Aufstellortes durch V. Allerdings weist der Aufstellort gerade keine Besonderheit auf, welche besondere Gefahren birgt. Weder waren die E-Roller in der Nähe eines Treppenaufgangs noch in der Nähe eines Eingangs zu einem Seniorenheim oder eines Kindergartens oder Ähnlichem platziert, wo mit einem erhöhten Verkehrsaufkommen besonders schutzbedürftiger Menschen zu rechnen wäre. Soweit als Maßstab der Verkehrssicherungspflicht Nr. 3b) der Sondernutzungserlaubnis heranzuziehen ist, war der Gehweg war an dieser Stelle sogar besonders breit und bot abzüglich der Länge der Roller eine Restgehwegbreit von 4,35m, womit die Anforderung von 1,50m Restgehwegbreite erheblich überschritten wurde. Im Ergebnis hat der V allein durch die Auswahl des Aufstellortes keine Verkehrssicherungspflicht verletzt.

b) Verletzung durch Art und Weise des Aufstellens

Daneben aber scheint es denkbar, dass V durch die Art und Weise des Aufstellens – konkreter die Positionierung im 90 Grad Winkel zur Hauswand – seine Verkehrssicherungspflichten missachtet hat.

Zunächst besteht in Anbetracht des Vorgenannten keine allgemeine Pflicht die E-Roller so aufzustellen, dass jedes erdenkliche Schadensszenario durch die E-Roller ausgeschlossen sein muss. Denn dies würde zu einer Gefährdungshaftung führen, die gerade aufgrund der gesetzlichen Gleichstellung von E-Rollern mit Elektrokleinstfahrzeugen nach § 8 Nr. 1 StVG nicht anzunehmen ist.[10]OLG Bremen, Urteil vom 15.11.2023 – 1 U 15/23, NJW 2024, 681 Rn. 26

Nach Maßgabe der Sondernutzungserlaubnis war V, wie ausgeführt, zudem grundsätzlich frei darin zu entscheiden, wie er die E-Roller ausrichtet.

Für besondere Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz auch sehbehinderter Menschen im Sinne einer Verkehrssicherungspflicht besteht nach dem Vorgenannten damit dann Anlass, wenn ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch das Aufstellen von zwei E-Rollern nebeneinander in einem 90 Grad Winkel zur Hauswand bei einer Restgehwegbreite von 4,35 m als zu gefährlich bewerten würde.

Grundsätzlich stand noch ausreichend Gehweg zur Verfügung. Auch hätte ein Aufstellen parallel zur Hauswand genauso wenig jegliche mit dem Aufstellen der E-Roller verbundene Gefahr ausschließen können. Denn auch in diesem Fall gibt es die naheliegende Möglichkeit, dass Menschen dadurch zu Schaden kommen, dass sie am Lenker hängen bleiben oder, dass sehbehinderte Menschen, so nah am Rand gehen, dass sie gleichfalls auf den E-Roller als Hindernis zu laufen, insbesondere für den Fall, dass die Roller auf dem Gehweg liegen, weil sie sich dann mit dem Lenker ebenso auf der inneren Leitlinie für sehbehinderte Menschen befänden.

Ein in in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch würde zudem das Aufstellen der Roller in einem 90 Grad Winkel nur dann als zu gefährlich bewerten müssen, wenn üblicherweise solche Gegenstände als Hindernis nicht zu erwarten wären. Indes stellen die Roller ein ebensolches Hindernis für den K dar, wie es auch andere Hindernisse sind, denen alle Fußgänger und der K im Besonderen ausgesetzt sind. Dazu zählen zum Beispiel Mülltonen, Kinderwagen, aber auch in den Gehweg hineinragende Straßenbegrünung. Auch wenn diese Hindernisse eine andere Form haben als E-Roller, die für den K wegen ihrer besonders flachen Form problematisch sein könnten, war es dem K mittels seines Langstock grundsätzlich möglich, die E-Roller als Hindernis wahrzunehmen.

Im Ergebnis hat sich V bei der Aufstellung der Roller quer zur Hauswand somit im Rahmen dessen bewegt, wie ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch zu verfahren hatte. Mithin verletzte er keine Verkehrssicherungspflicht.

III. Ergebnis

Mangels Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht hat der K gegen V keinen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB


Zusatzfragen

K will seinen Schmerzensgeldanspruch auch gerichtlich durchsetzen. Er ist sich aber unsicher, ob er mit den 20.000,00 EUR nicht zu hoch gegriffen hat. Am liebsten würde er es dem Gericht überlassen die Höhe festzulegen. Kann K das? Welche Normen gilt es zu beachten und wo liegen die Probleme?
Will K einen Schmerzensgeldanspruch geltend machen, muss er dies im Rahmen seiner Klage beantragen. Dabei gilt es den Bestimmtheitsgrundsatz in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zu beachten. Danach muss der Klageantrag – auch in seiner Höhe – ausreichend bestimmt sein. Eine Ausnahme hiervon gilt allerdings unter anderem bei Schmerzensgeldansprüchen gem. § 253 Abs. 2 BGB.[11]Anders/Gehle/Anders, 82. Aufl. 2024, ZPO § 253 Rn. 43 Denn der Kläger befindet sich hinsichtlich der Höhe, die das Gericht im Rahmen seines Ermessens zusprechen wird, in einer Ungewissheit, die ihm nicht anzulasten ist. Daher muss der Schmerzensgeldanspruch ausnahmsweise in seiner Höhe nicht beziffert werden. Dies stellt den Kläger allerdings vor ein erneutes Problem. Beziffert er den Antrag überhaupt nicht und spricht im das Gericht nur einen Bruchteil von dem zu, was er sich eigentlich vorgestellt hat, so ist er trotzdem nicht beschwert, denn das Gericht ist nicht hinter seinem Antrag zurückgeblieben. Die Konsequenz ist, dass der Kläger gegen das Urteil nicht mit der Berufung vorgehen kann. Entscheidet er sich aber für eine konkrete Bezifferung des Antrags, ist die Chance hoch, dass das Gericht hinter diesem zurückbleibt und der Kläger daher zumindest teilweise die Klage verlieren wird. Die Konsequenz ist, dass der Kläger wahrscheinlich einen Teil der Kosten tragen muss. Zudem kann das Gericht, selbst wenn es wollte, dem Kläger nicht mehr zusprechen als er beantragt hat. Das Gericht ist insoweit an den Antrag gebunden.

Daher wird in der Praxis regelmäßig ein Richtwert im Klageantrag formuliert (bspw: Der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird aber 5.000,00 EUR nicht unterschreiten sollte, zu zahlen.) Unterschreitet das Gericht diesen Richtwert, so ist der Kläger beschwert, unterliegt aber (regelmäßig) nicht.


Zusammenfassung

1. Der Vermieter von E-Rollern haftet nicht aus einer Gefährdungshaftung als Halter, da E-Roller als Elektrokleinstfahrzeuge von der Anwendung des § 7 StVG ausgeschlossen sind.

2. Der Vermieter von E-Rollern genügt grundsätzlich seinen Verkehrssicherungspflichten bezüglich der Art und Weise des Aufstellens der E-Roller, wenn er die hierzu ergangenen Bestimmungen der behördlichen Sondernutzungserlaubnis beachtet, die ihm die Nutzung der öffentlichen Straßen über den Gemeingebrauch hinaus gestattet.

3. Eine über die Bestimmungen der behördlichen Sondernutzungserlaubnis hinausgehende Verpflichtung des Vermieters von E-Rollern, diese so aufzustellen, dass jedes erdenkliche Schadensszenario ausgeschlossen ist, besteht nicht, da dies im Ergebnis einer Gefährdungshaftung entsprechen würde, die nach § 8 Nr. 1 StVG ausgeschlossen ist.

4. Das durch Art. 20 UN-BRK gewährleistete allgemeine Schutzinteresse von Verkehrsteilnehmern mit Behinderungen ist zur Auslegung der Anforderungen der dem Vermieter von E-Rollern erteilten behördlichen Sondernutzungserlaubnis heranzuziehen.


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