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Verbot von Parolen auf Versammlungen

Hessischer VGH Beschl. vom 22.03.2024 – 8 B 565/24; VGH Baden-Württemberg Beschl. vom 03.04.2024 – 12 S 1947/23; OVG NRW Beschl. vom 02.12.2023 – 15 B 1323/23; OVG Bremen Beschl. v. 30.04.2024 – 1 B 163/24

Sachverhalt

(abgewandelt und gekürzt)

Die Gruppe G ist entsetzt über das Leiden, welches der Konflikt zwischen Israel und der Hamas auf beiden Seiten gebracht hat. Sie organisiert deshalb eine Demonstration unter dem Titel „Frieden für Palästina, Frieden für Israel“. Die Gruppe ist ihrer Selbstbeschreibung nach überparteilich, hat sich aber in der Vergangenheit häufiger für die Rechte der Palästinenser:innen eingesetzt, als für die Rechte der Israelis. Ihrer eigenen Aussage nach mache sie dies, weil die Palästinenser:innen weniger Unterstützung in der Allgemeinbevölkerung hätten. Deshalb sei diese Schwerpunktsetzung notwendig, um ein Gleichgewicht herzustellen. Sie wollen sich aber nicht als „Palästina-unterstützende-Organisation“ ansehen lassen. Sie seien für den Frieden für alle Menschen in der Region.

Der A ist Deutscher und Aktivist bei der Gruppe G und meldet für die G die Kundgebung bei der zuständigen Versammlungsbehörde der niedersächsischen Stadt S mit einer Vorlaufzeit von 14 Tagen an.

Diese meldet sich bei A zurück und gibt diesem schriftlich auf, dass er als Leiter der Versammlung dafür verantwortlich sei, Personen von der Demonstration auszuschließen, die den Ausspruch „From the River to the Sea – Palestine will be free“ rufen/öffentlich verwenden würden. Diese Anordnung erklärt die Behörde mit einer ausführlichen Begründung für sofort vollziehbar. Die Anordnung sei unter anderem notwendig, weil ein Rechtsverstoß, der durch die Verwendung des Ausspruchs begangen werden würde, durch ein späteres polizeiliches Einschreiten nicht rückgängig gemacht werden könnte.

Das Bundesinnenministerium hatte vor kurzem erst die Terrororganisation „Hamas“ in Deutschland verboten und den Ausspruch „From the River to the Sea“ als Ausruf und Erkennungszeichen der Hamas eingeordnet. Damit sei das Erkennungszeichenstets als nach § 20 I Nr. 5 VereinsG verbotenes Erkennungszeichen bei Versammlungen allgemein untersagt, schreibt die Behörde.

Der A ist entsetzt, er würde sich niemals mit der Hamas identifizieren. Aber er verstehe Personen, die den Ausspruch „From the River to the Sea“ benutzen würden, um für eine Befreiung der Palästinenser:innen von – so wie er es beschreibt – der israelischen Besatzung politisch zu fordern. Er selbst verwende den Ausspruch auch, aber er fordere mit dem Ausspruch „From the River to the Sea“ eine sog. „Ein-Staaten-Lösung“ durch die alle Menschen, die im Gebiet zwischen dem Mittelmeer (Sea) und dem Jordan (the River) lebten, gleichberechtigt in dem gleichen Staat leben könnten. Er würde niemals und auch niemand Anderes sollte seiner Meinung nach das Existenzrecht Israels in Frage stellen. Wenn dies ausdrücklich geschehe, würde er sofort Menschen von der Demo ausschließen.

Der A legt mit dieser Begründung Widerspruch gegen den Teil der Rückmeldung der Behörde ein, der ihm aufgibt alle auszuschließen, die den Ausspruch verwenden. Er sieht sich dadurch in seiner Demonstrationsfreiheit verletzt.

Er meint, es wären auch noch andere politische Modelle denkbar, die mit dem Ausspruch politisch gefordert werden könnten und ebenfalls nicht das Existenzrecht Israels beträfen und mit der Hamas nichts zu tun hätten. Es handele sich eben um eine politische Forderung, um deren Umsetzung seit Jahrzehnten Uneinigkeit bestehe.

Gewalt lehnten er und alle seine Freunde und Bekannten, von denen er viele bei der Demo erwarte, ab. Es wäre aber nicht möglich den Ausspruch „From the River to the Sea“ mit der Hamas gleichzusetzen. Außerdem sei der Ausspruch älter als die Hamas.  

Der Widerspruch bleibt erfolglos. Die Versammlungsbehörde meint, dass der Ausspruch regelmäßig im Zusammenhang mit der Ideologie der Hamas stehe und damit die Auflage dem Ziel diene Tätigkeiten der Hamas in Deutschland zu unterbinden und wegen drohender und zu erwartender Verstöße gegen § 20 I Nr. 5 VereinsG notwendig sei.  

Noch vor der geplanten Demonstration erhebt A Klage beim zuständigen VG im Wege des Eilrechtsschutzes.

Hat das Vorgehen des A Aussicht auf Erfolg?

Bearbeitervermerk: Anzuwenden ist das Versammlungsgesetz des Bundes. Äquivalente Vorschriften finden sich ebenfalls in den Versammlungsgesetzen der Länder.

Bei der Prüfung nicht zu berücksichtigen ist ein möglicher Verstoß gegen §§ 130 I, 140, 111, § 86a I Nr. 1 iVm § 86 II StGB.


 

Skizze


Gutachten

Der Antrag des A ist begründet, wenn er zulässig und soweit er begründet ist.

A. Zulässigkeit

Zunächst müsste der Antrag zulässig sein.

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Die Eröffnung des Verwaltungsrechtsweg richtet sich mangels aufdrängender Sonderzuweisung nach § 40 I S. 1 VwGO. Dafür müsste eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art vorliegen und es dürfte keine abdrängende Sonderzuweisung ersichtlich sein.

Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit liegt nach der modifizierten Subjektstheorie vor, wenn die streitentscheidende Norm eine solche des öffentlichen Rechts ist, die Hoheitsträger einseitig berechtigt oder verpflichtet. Streitentscheidend sind hier die Vorschriften des VersammlG. Dabei handelt es sich um Normen des öffentlichen Rechts die die Versammlungsbehörden einseitig berechtigen. Mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit handelt es sich auch um eine Streitigkeit nicht verfassungsrechtlicher Art. Eine abdrängende Sonderzuweisung ist ebenfalls nicht ersichtlich.

Vernetztes Lernen: Wie sähe die Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs aus, wenn die Polizei einzelne Personen wegen der Verwirklichung von Straftatbeständen verfolgt hätte?

Mit § 23 EGGVG liegt eine abdrängende Sonderzuweisung für repressives staatliches Handeln vor. Fraglich wäre sodann, ob die Polizei präventiv oder repressiv vorgegangen wäre. Hätte die Polizei einzelne Personen von der Demonstration ausgeschlossen, weil diese gröblich gegen die Ordnung der Versammlung gestört haben, könnte dies auf § 18 VersammlG gestützt werden. Wenn die Polizei jedoch tätig wird, um auf der Demonstration begangene Straftaten zu verfolgen, wird sie nicht präventiv, sondern repressiv tätig. In dem Fall wäre § 23 EGGVG einschlägig und der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten eröffnet.

Der Verwaltungsrechtsweg ist eröffnet.

II. Statthafte Antragsart

Die statthafte Antragsart richtet sich nach der Auslegung des Interesses des Antragsstellers, §§ 122 I, 88 VwGO. Der A begehrt vorliegend einstweiligen Rechtsschutz gegen die Beschränkung der Versammlung und der Anordnung der sofortigen Vollziehung. In Betracht kommt ein Antrag nach § 80 V VwGO oder § 123 VwGO. Der Antrag nach § 123 VwGO ist subsidiär und nur einschlägig, wenn in der Hauptsache nicht eine Anfechtungsklage oder ein Anfechtungswiderspruch statthaft ist.

Da eine Versammlung keiner Genehmigung bedarf (Art. 8 I GG), handelt es sich bei der Anordnung der Behörde nicht um eine Nebenbestimmung gem. § 36 VwVfG i.V.m. § 1 I NVwVfG.[1]Im Folgenden wird auf die Verweisnorm verzichtet. Die Beschränkung stellt vielmehr selbst einen Verwaltungsakt gem. § 35 S. 1 VwVfG dar. Um gegen den belastenden Verwaltungsakt vorzugehen, steht dem A eine Anfechtungsklage offen. A will die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage (§ 42 I Alt. 1 VwGO) erreichen und damit im Wege des Eilrechtsschutzes gegen die Anordnung der sofortigen Vollziehung vorgehen. Dafür kann der A einen Antrag nach § 80 V 1 HS. 2 VwGO auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung stellen.

III. Antragsbefugnis

Weiter müsste die Antragsbefugnis nach § 42 II VwGO analog vorliegen. Antragsbefugt ist demnach wer geltend macht, durch den angegriffenen Rechtsakt in seinen Rechten verletzt zu sein. Ist dies nicht bereits von vornherein ausgeschlossen, liegt die Antragsbefugnis vor. Es ist nicht völlig ausgeschlossen, dass der A durch die sofortige Vollziehung in seiner Versammlungsfreiheit, auf die er sich als deutscher Staatsangehöriger direkt berufen kann, verletzt ist. Außerdem steht dem A als Adressat einer belastenden Maßnahme nach dem Adressatengedanken ebenfalls eine Antragsbefugnis zu. Die Antragsbefugnis liegt vor.

IV. Antragsgegner

Das Bundesland N ist als Rechtsträger der zuständigen Behörde tauglicher Antragsgegner, analog § 78 I Nr. 1 VwGO.

V. Beteiligten- und Prozessfähigkeit

Die Verfahrensbeteiligten müssten gem. §§ 61, 62 VwGO beteiligten- und prozessfähig sein. Der A ist gem. § 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO beteiligten- und nach § 62 I Nr. 1 VwGO prozessfähig. Das Land N ist gem. § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO beteiligten- und gem. § 62 III VwGO prozessfähig.

VI. Rechtsschutzbedürfnis

Überdem müsste A auch ein Rechtsschutzbedürfnis haben. Dieses läge nicht vor, wenn dem A einfachere Mittel zur Verfügung stünden, um das Antragsinteresse zu erreichen oder die Hauptsache offensichtlich unzulässig wäre.

1. Vorherige Einlegung eines Rechtsbehelfs

Bisher hat der A noch keine Anfechtungsklage in der Hauptsache erhoben. Es ist umstritten, ob vor der Stellung eines Antrags nach § 80 V VwGO in der Hauptsache eine Anfechtungsklage erhoben werden muss.

Dafür spricht, dass die Wiederherstellung der aufschiebenden Bedingung nur für einen bereits bestehenden Rechtsakt möglich erscheint.[2] Schoch, in: Schoch/Schneider, § 80 VwGO Rn. 460. Dagegen sprechen jedoch Gründe des effektiven Rechtschutzes. Art. 19 IV GG gebietet es auch ohne die Einlegung eines Rechtsbehelfs einstweiligen Rechtsschutz in Anspruch nehmen zu können. Falls man nur einen Antrag im einstweiligen Rechtsschutz zumindest gleichzeitig mit dem Rechtsbehelf in der Hauptsache einreichen könnte, würde die Frist zur Einlegung des Rechtsbehelfs unzulässig verkürzt.[3]Gersdorf, in: BeckOK VwGO, § 80 Rn. 164. Die vorherige Einlegung eines Rechtsbehelfs in der Hauptsache ist nicht notwendig.

2. Keine offensichtliche Unzulässigkeit in der Hauptsache

Die in der Hauptsache zu erhebende Anfechtungsklage dürfte nicht unzulässig sein. Hier ergeben sich jedoch keine entsprechenden Anhaltspunkte. sei.

Anmerkung: Fristprobleme in der Hauptsache

Ein Vorgehen im Wege des Eilrechtsschutzes setzt voraus, dass in der Hauptsache eine zulässige Klage erhoben werden kann. Dies wäre nicht mehr möglich, wenn die Hauptsache bereits verfristet wäre. So können Fristprobleme in der Hauptsache auch in einer Eilrechts-Klausur „eingebaut“ werden.

VII. Zwischenergebnis

Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des A ist zulässig.

B. Begründetheit

Der Antrag könnte begründet sein. Der Antrag nach § 80 V 1 Hs. 2 VwGO ist begründet, wenn die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtswidrig ist und/oder nach summarischer Prüfung das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt.

I. Formelle Rechtmäßigkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung

Zunächst müsste die Anordnung der sofortigen Vollziehung formell rechtmäßig ergangen sein.

1. Zuständigkeit

Die Behörde, die die Anordnung der Aufhebung der sofortigen Vollziehung ausgesprochen hat, müsste zuständig gewesen sein. Gem. § 80 II Nr. 4 VwGO ist die Behörde für die Anordnung der sofortigen Vollziehung zuständig, die auch für den Erlass des Ursprungsverwaltungsakt zuständig war. Hier handelte die zuständige Versammlungsbehörde.

2. Verfahren

Der A wurde vor Erlass der Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht angehört. Fraglich ist, ob vor der Anordnung der sofortigen Vollziehung eine Anhörung notwendig ist. Das Anhörungserfordernis beim Erlass von Verwaltungsakten, die in die Rechte der Adressat:innen eingreifen, ergibt sich aus § 28 VwVfG. Bei der Anordnung der sofortigen Vollziehung selbst handelt es sich jedoch nach herrschender Ansicht nicht um einen Verwaltungsakt, weshalb eine direkte Anwendung des § 28 VwVfG ausscheidet. [4]Anstatt vieler siehe Gersdorf, in: BeckOK VwGO, 61. Ed. 1.7.2021, § 80 Rn. 81; Schoch, in: Schoch/Schneider, 42. EL Februar 2022, § 80 VwGO Rn. 258. Eine analoge Anwendung käme in Betracht, wenn eine planwidrige Regelungslücke vorläge und eine vergleichbare Interessenlage wie im geregelten Fall gegeben wäre. Die § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 3 regeln die formellen Anforderungen an die Anordnung der sofortigen Vollziehung. Es ist nicht ersichtlich, dass die Regelungslücke planwidrig ist. Es liegt auch keine vergleichbare Interessenlage vor. Die Anhörung dient auch dazu, dem Beteiligten vor Fristversäumung und Bestandskraft die Möglichkeit der Stellungnahme zu geben. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung kann im Gegensatz zum Verwaltungsakt jedoch nicht bestandskräftig werden.[5]Gersdorf, in: BeckOK VwGO, 61. Ed. 1.7.2021, § 80 Rn. 81; a.A. Müller, NVwZ 1988, 702ff. Deshalb liegt keine vergleichbare Interessenlage vor.

Eine Anhörung war nicht notwendig. Die Verfahrensvorschriften wurden gewahrt.

3. Form

Liegt kein gesetzlicher Fall der sofortigen Vollziehung (§ 80 II S. 1 Nr. 1 – 3 VwGO) vor, sondern ein Fall der behördlichen Anordnung (§ 80 II S. 1 Nr. 4 VwGO), muss die Anordnung insbesondere die Anforderungen des § 80 III VwGO erfüllen. Das besondere Interesse an der Anordnung der sofortigen Vollziehung war schriftlich und ausführlich begründet, wobei nicht nur der Gesetzestext wiederholt wurde und entsprach damit den Anforderungen des § 80 III VwGO. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung erging formell rechtmäßig.

II. Interessenabwägung

Fraglich ist sodann, ob nach summarischer Prüfung das private Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt.

1. Erfolgsaussichten in der Hauptsache

Dazu sind zunächst die Erfolgsaussichten in der Hauptsache summarisch zu prüfen.

Anmerkung: Erfolgsaussichten in den zu Grunde liegenden Verfahren

Die Oberverwaltungsgerichte, deren Entscheidungen hier zu Grunde liegen, haben ausgeführt, dass in Bezug auf den Ausspruch die Erfolgsaussichten nicht in ausreichendem Maße vorab geprüft werden könnten (sie haben teilweise unterschiedliche Ausführungen zu anderen Ausrufen oder einer möglichen Strafbarkeit nach §§ 86a, 86, 130, 140 StGB gemacht), weshalb sie lediglich eine allgemeine Interessenabwägung vorgenommen haben. Dabei berücksichtigen sie jedoch mittelbar die Erfolgsaussichten. Eine Fallgestaltung, bei der die Erfolgsaussichten einer summarischen Prüfung nicht ausreichend sicher beurteilt werden können, wäre in einer Klausur sehr ungewöhnlich. Hier liegen regelmäßig ausreichend Anhaltspunkte vor, um eine hypothetische Prüfung in vollem Umfang vorzunehmen.

Anmerkung: Strafbarkeit des Ausspruchs „From the River to the Sea“

Die Strafbarkeit des Ausspruchs wird derzeit heftig diskutiert. Dabei kommen Strafbarkeiten nach §§ 86, 86a, 111, 130, 140 StGB in Betracht.[6]vgl. der vormals zuständige Senat des Hess. VGH, Beschluss vom 2. Dezember 2023 – 2 B 1715/23; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 2. Dezember 2023 – 15 B 1323/23, VGH … Continue reading

a) Ermächtigungsgrundlage

Die Rechtsgrundlage für den Erlass von Beschränkungen einer Versammlung findet sich in § 15 I VersammlG.

Anmerkung: Entsprechende Vorschriften in den Landesgesetzen

Einige Bundesländer haben landeseigene Vorschriften des Versammlungsgesetzes. In diesen findet sich eine entsprechende Vorschrift zu § 15 I VersammlG. So in § 14 VersFG BE, § 14 HVersFG, § 8 NVersG, § 13 VersammlG NRW, § 13 VersammlG LSA, § 13 VersFG SH.

b) Formelle Rechtmäßigkeit

Die Anordnung der Beschränkung wurde durch die zuständige Behörde erlassen und der Verwaltungsakt wurde begründet, § 39 I VwVfG. Eine Anhörung nach § 28 VwVfG fand nicht statt. Diese könnte nach § 28 II Nr. 1 VwVfG entbehrlich sein, wenn eine sofortige Entscheidung wegen Gefahr im Verzug notwendig erschienen wäre. Gefahr im Verzug liegt jedoch regelmäßig nur dann vor, wenn selbst eine telefonische Anhörung zu einer Verzögerung führen würde, die zu einer Gefahr des Schadenseintritts geführt hätte. Eine derartige Eilbedürftigkeit lag nicht vor.

Die Anhörung könnte auch nach § 28 II Nr. 2 VwVfG entbehrlich gewesen sein, weil eine Anhörung nicht mehr rechtzeitig hätte durchgeführt werden können. Jedoch ist trotz der kurzen Zeit von 14 Tagen keine für die Einhaltung einer für die Entscheidung maßgeblichen Frist ersichtlich. Die Voraussetzungen nach § 28 II Nr. 2 VwVfG lagen demnach ebenfalls nicht vor. Die fehlende Anhörung kann jedoch nach § 45 I Nr. 3 VwVfG nachgeholt werden.

c) Materielle Rechtmäßigkeit

Die Beschränkung müsste materiell rechtmäßig sein.

aa) Versammlung unter freiem Himmel

Bei der angemeldeten Versammlung handelt es sich um eine Zusammenkunft von Personen zur gemeinschaftlichen, auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung und Kundgebung. Damit liegt eine Versammlung i.S.d. § 1 VersammlG vor, die zudem unter freiem Himmel stattfand.

bb) Unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung

Die Voraussetzung für den Erlass von Beschränkungen ist, dass nach den zum Zeitpunkt der Entscheidung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist, § 15 I VersammlG.

Die öffentliche Sicherheit umfasst die Unverletzlichkeit der Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und Rechtsgüter Einzelner und den Bestand des Staates und dessen Einrichtungen.[7]Kingreen/Poscher, POR, 11. Aufl. 2020, § 7 Rn. 2. Eine unmittelbare Gefahr setzt eine konkrete Sachlage voraus, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Güter führt.[8]OVG Lüneburg, DVBl. 2021, 123, 124.

Hier könnte der Ausspruch „From the River to the Sea“ als Erkennungszeichen der Hamas nach § 20 I Nr. 5 VereinsG verboten sein und eine Verletzung durch die Versammlungsteilnehmer:innen drohen.

(1) Auslegung unter Berücksichtigung der Meinungsfreiheit

Das Verbot von Aussprüchen muss stets den Anforderungen des Schutzes der Meinungsfreiheit aus Art. 5 I GG gerecht werden. Die den Ausspruch verbietenden Vorschriften sind deshalb dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass der Inhalt von Meinungsäußerungen, der im Rahmen des Art. 5 I S. 1 GG nicht unterbunden werden darf, nicht zur Rechtfertigung von Maßnahmen herangezogen werden kann, die das Grundrecht der Versammlungsfreiheit des Art. 8 I GG beschränken.[9]BVerfG, Beschl. vom 19.12.2007 – 1 BvR 2793/04; OVG BW Rn. 35.

Begrenzungen der Meinungsäußerungen können, soweit sie nicht dem Schutze der Jugend oder dem Recht der persönlichen Ehre dienen, nur im Rahmen der allgemeinen Gesetze i.S.d. Art. 5 II GG erlassen werden. Dies sind Gesetze, die sich nicht gegen die Meinungsfreiheit an sich oder gegen die Äußerung einer bestimmten Meinung richten, sondern die vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen.

Der Gesetzgeber hat Strafgesetze (namentlich §§ 86, 86a, 130 StGB) erlassen, deren Schutzgut der Schutz der demokratischen Pluralität und der Schutz vor gewaltsamen Organisationen sind. Er hat die Erfüllung jedoch an zusätzliche Anforderungen geknüpft. Ebenso hat er mit § 20 I Nr. 5 VereinsG eine Vorschrift geschaffen, deren Ziel es ist das Betätigungsverbot von verfassungsfeindlichen Organisationen durchzusetzen. § 20 I Nr. 5 VereinsG ist ein allgemeines Gesetz, deren Verletzung auch im Rahmen der Versammlungsfreiheit berücksichtigt werden kann.[10]Hessischer VGH Beschl. vom 22.03.2024 – 8 B 565/24 Rn. 19. Bei der Anwendung ist das die Meinungsfreiheit einschränkende Gesetz unter Berücksichtigung der Bedeutung für die Meinungsfreiheit auszulegen.

(2) Anwendung auf den Ausspruch

Hier liegen ausreichende Anhaltspunkte vor, dass an der Versammlung Beteiligte (wie auch der Versammlungsanmelder/-leiter A) den Ausspruch „From the River to the Sea“ verwenden könnten. Wenn darin ein Gesetzesverstoß liegt, würde dies eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen. Fraglich ist, ob durch den Ausspruch § 20 I S. 1 Nr. 5 VereinsG verletzt werden würde.

(a) Ausspruch als Erkennungszeichen

Das Bundesministerium des Inneren und für Heimat hat in einer Verbotsverfügung die Organisation Hamas verboten und darin auch festgelegt, dass der Ausspruch „From the River to the Sea“ ein Erkennungszeichen der Hamas sei.[11]Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat betreffend das Verbot der Vereinigung Hamas vom 02.11.2023, BAnz AT 02.11.2023 B10.

Der Begriff des Kennzeichens ist nicht legal definiert. Die Strafvorschrift des § 20 I Nr. 5 VereinsG nimmt auf § 9 Abs. 2 Satz 1 VereinsG Bezug. Dort findet sich keine allgemein gültige gesetzliche Umschreibung dieses Tatbestandsmerkmals, beispielhaft werden dort insbesondere Fahnen, Abzeichen, Uniformstücke, Parolen und Grußformen als Kennzeichen genannt. Als Kennzeichen kommen optisch oder akustisch wahrnehmbare Symbole und Sinnesäußerungen in Betracht, durch die der Verein auf sich und seine Zwecke hinweist; intern sollen Kennzeichen den Zusammenhalt der Vereinsmitglieder stärken[12]vgl. BGH, Urteil vom 09.07.2015 – 3 StR 33/15, Rn. 13 m.w.N.. Ein Verein muss sich ein bestimmtes Symbol durch formale Widmung oder schlichte Übung derart zu Eigen gemacht haben, dass dieses auch als Kennzeichen erscheint.[13]ebd.; VGH BW Rn. 30

So können auch Sätze oder Satzteile als Parole und damit als Erkennungszeichen verwendet werden. Der Ausspruch „From the River to the Sea“ bzw. eine Variante des Ausspruchs findet sich in der Gründungscharta bzw. in der aktuellen Verfassung der Hamas [14]VGH Baden-Württemberg Beschl. vom 03.04.2024 – 12 S 1947/23 Rn. 9, OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.12.2023 – 15 B 1323/23; vgl. Steinberg, NVwZ 2024, 302, 304 mwN.. Damit scheint die Einordnung des Bundesministerium des Inneren als Erkennungszeichen jedenfalls nicht fehlerhaft.

Der Ausspruch stellt im Allgemeinen ein Erkennungszeichen der Hamas dar.

(b) Verwendung des Ausspruch als Erkennungszeichen der Hamas im Konkreten

Die Verwendung eines Ausspruchs, der auch als Erkennungszeichen eines verbotenen Vereins gilt, kann jedoch im Einzelfall ausnahmsweise nicht tatbestandsmäßig sein. So ist gemäß § 20 I S. 2 i.V.m. § 9 I S. 2 VereinsG die Verwendung eines Erkennungszeichens im Rahmen der dort benannten Zwecke erlaubt. Es erscheint insbesondere unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung der Versammlungs- und der Meinungsfreiheit geboten, Aussprüche nicht bereits wegen einer möglichen Verwendung in einem spezifischen Kontext allgemein zu verbieten, sondern lediglich dann, wenn der Kontext ebenfalls eine Verwendung als Erkennungszeichen einer verbotenen Organisation bzw. ihrer Ideologie nahelegt. Diese Auslegung findet auch in § 9 VereinsG Unterstützung, wonach die Verwendung von Aussprüchen von verbotenen Organisationen legal ist, wenn die Verwendung im Rahmen der staatsbürgerlichen Aufklärung, der Abwehr verfassungswidriger Bestrebungen und ähnlicher Zwecke erfolgt. Ähnliche Zwecke stellen solche Verhaltensweisen dar, bei denen der Schutzzweck der Norm (des § 20 I Nr. 5 VereinsG) offensichtlich nicht beeinträchtigt wird.[15]Hessicher VGH Beschl. vom 22.03.2024 – 8 B 565/24 Rn. 28.

So scheidet ein strafbares „Verwenden“ des Kennzeichens einer verbotenen Organisation aus, wenn der mit seinem Gebrauch verbundene Aussagegehalt nach den Gesamtumständen dem Schutzzweck der Norm eindeutig nicht zuwiderläuft. Bei der Prüfung sind die Anforderungen, die die Grundrechte, etwa der Meinungsfreiheit (Art. 5 I S. 1 GG), an eine verfassungskonforme Auslegung des Tatbestands stellen, in der Weise Rechnung zu tragen, dass der mit dem Gebrauch des Kennzeichens verbundene Aussagegehalt anhand aller maßgeblichen Umstände des Falles ermittelt wird.[16]VGH BW Rn. 35. Ergibt dies, dass der Schutzzweck der Norm in seinen oben dargestellten Ausprägungen eindeutig nicht berührt wird, so fehlt es an einem tatbestandlichen Verwenden des Kennzeichens, da dieses nicht als solches der verbotenen Organisation zur Schau gestellt wird. Sind die äußeren Umstände dagegen nicht eindeutig abgrenzbar, so ist der objektive Tatbestand der Norm erfüllt.[17]Vgl. BVerfG, Beschlüsse vom 3. November 1987 – 1 BvR 1257/84, 1 BvR 861/85, Rn. 39; vom 9. Juli 2020 – 1 BvR 2067/17,Rn. 42; und vom 1. Juni 2006 – 1 BvR 150/03, Rn. 17; BGH, … Continue reading

Fraglich ist, ob der Ausspruch im konkreten Sachverhalt als Erkennungszeichen der Hamas verwendet werden würde.

Zunächst begründet die regelmäßige Verwendung des Ausspruchs als Erkennungszeichen der Hamas eine dahingehende Vermutung. Dafür spricht, wie bereits zuvor, dass eine Variante des Ausspruchs in der Gründungscharta bzw. in der aktuellen Verfassung der Hamas zu finden ist[18]VGH Baden-Württemberg Beschl. vom 03.04.2024 – 12 S 1947/23 Rn. 9, OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 02.12.2023 – 15 B 1323/23; vgl. Steinberg, NVwZ 2024, 302, 304 mwN. und damit ein enger Zusammenhang zwischen dem Ausspruch und der verbotenen Organisation der Hamas besteht.[19]So auch die Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern und für Heimat betreffend das Verbot der Vereinigung Hamas vom 02.11.2023, BAnz AT 02.11.2023 B10.

Es ist nicht entscheidend, ob die Parole bereits vor der Gründung der Hamas verwendet wurde, wenn durch den Ausspruch jedenfalls ein ausreichender Bezug begründet werden kann.[20]Das VGH Baden-Württemberg Beschl. vom 03.04.2024 – 12 S 1947/23 Rn. 9, das OVG NRW Beschl. vom 02.12.2023 – 15 B 1323/23 und das OVG Bremen Beschl. v. 30.04.2024 – 1 B 163/24 halten es … Continue reading

Gegen eine Gleichsetzung des Ausspruchs mit der Hamas spricht jedoch, dass auch andere Organisationen den Ausspruch verwenden und dieser auch mit anderen politischen Wegen der Umsetzung der formulierten politischen Forderung verbunden verstanden werden kann.

Denn schließlich ist fraglich, ob im konkreten Fall mit dem Ausspruch ein gewaltsames Vorgehen zur Erreichung des politischen Ziels gemeint ist. Zwar kann man argumentieren, dass insbesondere nach den terroristischen Angriffen vom 07.10.2023 der Ausspruch einen gewaltsamen Kontext hatte.[21]so VGH Baden-Württemberg Beschl. vom 03.04.2024 – 12 S 1947/23 Rn. 11 und sich möglicherweise als Billigung von Straftaten darstellte. Personen, die den Ausspruch äußern, könnten so sich dieses Kontextes ausreichend bewusst sein und könnten durch die Verwendung ihre Unterstützung für das gewaltsame Vorgehen der Hamas zum Ausdruck bringen wollen.

Andererseits könnte man aber auch darauf abstellen, dass der Slogan selbst keinen notwendigerweise gewaltsamen Bezug hat. Insbesondere unter einer möglichst die Reichweite der Meinungsfreiheit schützenden Auslegung, beschreibt der Ausspruch zunächst nur einen politischen Zustand (ein Land vom Mittelmeer bis zum Jordan), aber nicht den Weg dahin. Dieses Ziel könnte in Form einer Zwei-Staaten-Lösung oder einer gleichberechtigten Ein-Staaten-Lösung durch völkerrechtliche Verträge oder aber des bewaffneten Kampfes liegen. Der Umgang mit der Situation ist eine politisch höchst umstrittene Frage, deren Lösung einer fortlaufenden politischen Auseinandersetzung bedarf.[22]Hessischer VGH Beschl. vom 22.03.2024 – 8 B 565/24 Rn. 28.

Es erscheint deshalb überzeugend, die konkrete Verknüpfung zur Hamas nicht bereits notwendigerweise aus der Verwendung des Ausspruchs zu folgern.

Fraglich ist, ob im Konkreten ausreichende Anhaltspunkte gegen eine Verwendung als Erkennungszeichen der Hamas bestehen.

Anmerkung: Weitergehender: der Hessische VGH

Der Hessische VGH (Beschl. vom 22.03.2024 – 8 B 565/24) geht in Rn. 26 so weit, dass eine das Bild der Versammlung prägende Bezugnahme auf die Hamas notwendig ist, um ein Verbot angesichts der Bedeutung von Art. 5 und Art. 8 I GG als notwendig zu rechtfertigen.

Der A hat die Versammlung mit dem Titel „Frieden für Palästina, Frieden für Israel“ angemeldet, woraus ausreichend erkennbar wird, dass das Existenzrecht Israels nicht in Frage gestellt werden soll, sondern es sich um eine Demonstration mit Bezug zum aktuellen Konflikt handelt. Er hat außerdem erklärt, dass Personen, die das Existenzrecht Israels in Frage stellen würden, von der Demonstration ausgeschlossen werden würden. Damit erfolgt eine klare Abgrenzung von der Ideologie der Hamas. Anhaltspunkte für eine Betätigung für die Hamas oder ähnliches sind nicht erkennbar. Auch stellt der A seine eigenen politischen Vorstellungen bei der Verwendung des Ausspruchs in den Vordergrund.

Mithin bestehen ausreichend Anhaltspunkte, um im konkreten Fall keine Verwendung des Ausspruchs als Erkennungszeichen der Hamas anzunehmen.

Anmerkung: Andere Ansicht

Hier ist eine andere Ansicht gut vertretbar. Während das OVG NRW und der VGH Baden-Württemberg relativ unproblematisch zu dem Ergebnis kommen, dass die Verwendung des Ausspruchs einen ausreichend konkreten Bezug als Erkennungszeichen der Hamas aufweisen, hat dies der Hessische VGH abgelehnt. Wenn, so wie im konkreten Sachverhalt angelegt, Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Ausspruch nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Hamas steht, sollte dies jedenfalls thematisiert werden.

cc) Zwischenergebnis materielle Rechtmäßigkeit

Damit fehlt es für eine Beschränkung bereits an einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit.  Die Beschränkung ist bereits nicht materiell rechtmäßig.

Anmerkung: Lösung nach der anderen Ansicht

Kommt man zu dem Ergebnis, dass der Ausspruch als Erkennungszeichen der Hamas eine Verletzung des § 20 I Nr. 5 VereinsG darstellt, kann man die Gefahr für die öffentliche Sicherheit annehmen und müsste dann im nächsten Schritt prüfen, ob die gewählte Rechtsfolge ermessensfehlerfrei gewählt und auferlegt wurde. Hierbei könnte man insbesondere im Rahmen einer Grundrechtsprüfung oder im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung nochmals die besondere Bedeutung der Versammlungsfreiheit für die demokratische Auseinandersetzung mit politischen Themen in die Abwägung mit einstellen. Es ist aber mit dem VGH Baden-Württemberg und dem VGH NRW sowie dem OVG Bremen überzeugend argumentierbar, dass keine Ermessensfehler vorliegen.

2. Ergebnis Erfolgsaussichten in der Hauptsache

Damit hätte nach der summarischen Prüfung ein Vorgehen in der Hauptsache Aussicht auf Erfolg. Regelmäßig überwiegt in dem Fall das private Aussetzungsinteresse das staatliche Vollziehungsinteresse. Hier bestehen keine darüber hinausgehenden Anhaltspunkte, dass die Interessenabwägung anders ausfallen sollte. Insbesondere bleibt es der Polizei bei der Demonstrationsbegleitung unbenommen Straftaten zu verfolgen und Personen von der Demonstration auszuschließen.

III. Ergebnis Begründetheit

Der Antrag ist begründet. Die aufschiebende Wirkung einer Anfechtungsklage in der Hauptsache ist wiederherzustellen.

C. Ergebnis

Das Vorgehen des A hat Aussicht auf Erfolg.

Zusatzfragen

1. Unter welchen Voraussetzungen können gegenüber Zweckveranlassern versammlungsrechtliche Maßnahmen ergriffen werden?

Adressat einer versammlungsrechtlichen Maßnahme können regelmäßig nur Störer (Verhaltens- / Zustandsstörer) sein. Besteht jedoch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, weil andere Personen als die Veranstalter:innen (bzw. die Leiter:innen) einer Versammlung als Reaktion auf die Versammlung mit einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung drohen, stellt sich die Frage, ob die Veranlasser dieser Gefahr mit einer polizeirechtlichen Maßnahme belegt werden können.

Dazu werden verschiedene Theorien vertreten. Eine Ansicht meint, dass Maßnahmen gegen die Zweckveranlasser ergriffen werden können, wenn diese bewusst die Reaktion der anderen auslösen wollen oder zwangsläufig billigend in Kauf nehmen (subjektive Theorie des Zweckveranlassers). Diese Theorie wird besonders deshalb kritisiert, weil dem Gefahrenabwehrrecht subjektive Kategorien fremd sind, weil diese die Gefahrenabwehr erschweren.

Die andere Ansicht meint, dass Maßnahmen gegen die Zweckveranlasser nur möglich sind, wenn das gefahrträchtige Verhalten objektiv die befürchtete Störung als zwangsläufige Folge hervorruft. Dabei muss jedoch zwischen der Anlassgeberin (z.B. Veranstalterin von Großsportereignissen) und der Zweckveranlasserin unterschieden werden. Zur Abgrenzung kann darauf abgestellt werden, ob die drohende Gefahr naheliegende und typische Folge des Geschehens respektive der Veranstaltung ist. Eine typische und naheliegende Folge der Veranstaltung ist die Gefahr gerade nicht, wenn aufgrund eines ausreichenden Sicherheits- und Verhütungskonzepts die Gefahrenquellen minimiert und aus der Sphäre des Veranstalters ausgeschlossen werden.

Lehnt man nach diesen Theorien das Vorliegen der Voraussetzungen des Zweckveranlassers ab, können Maßnahmen nur nach den gesteigerten Anforderungen gegen Nichtstörer (regelmäßig „gegenwärtige erhebliche Gefahr“) ergriffen werden.

Siehe dazu ausführlich: https://examensgerecht.de/anlassgeber-oder-zweckveranlasser-verbot-eines-festivals/#b_Storer

2. Sind die Anforderungen des Par. 14 VersammlG (Anmeldung mindestens 48 Stunden vor Beginn der Versammlung) mit 8 GG vereinbar?

Art. 8 I GG bestimmt, dass alle Deutschen das Recht haben sich OHNE Anmeldung oder Erlaubnis zu versammeln. Art. 8 II GG bestimmt, dass dies für Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden kann.

Das nach § 14 VersammlG bestehende Erfordernis eine Versammlung unter freiem Himmel anzumelden ist jedoch deshalb eine verfassungskonforme Ausgestaltung des Art. 8 GG, weil mit der Durchführung von Versammlungen unter freiem Himmel Gefahren für die Rechtsgüter Dritter und die Funktionsfähigkeit der staatlichen Einrichtungen verbunden sein können.

Dies kann jedoch dann nicht gelten, wenn eine Versammlung nicht 48 Stunden vorher angemeldet werden kann, ohne den Zweck der Versammlung zu gefährden. Deshalb bestehen für Eil- und Spontanversammlungen ausnahmen. Während Eilversammlungen so früh wie möglich (aber eben nicht innerhalb der 48 Stunden) angemeldet werden müssen, können Spontanversammlungen auch ohne Anmeldung durchgeführt werden.


Zusammenfassung

1. Wenn auf Demonstrationen Aussprüche verwendet werden, die auch  als Erkennungszeichen von verbotenen Vereinen verwendet werden, kann neben einer Strafbarkeit nach §§ 86, 86a, 111, 130, 140 StGB auch eine Strafbarkeit nach § 20 I Nr. 5 VereinsG in Betracht kommen.

2. Die Verwendung eines Ausspruchs, der auch als Erkennungszeichen eines verbotenen Vereins gilt, kann jedoch im Einzelfall ausnahmsweise nicht tatbestandsmäßig sein. So ist gemäß § 20 I S. 2 i.V.m. § 9 I S. 2 VereinsG die Verwendung eines Erkennungszeichens im Rahmen der dort nicht enumerativ benannten Zwecke erlaubt.

3. Die einen Ausspruch verbietenden Vorschriften sind dahingehend verfassungskonform auszulegen, dass der Inhalt von Meinungsäußerungen, der im Rahmen des Art. 5 I S. 1 GG nicht unterbunden werden darf, nicht zur Rechtfertigung von Maßnahmen herangezogen werden kann, die das Grundrecht der Versammlungsfreiheit des Art. 8 I GG beschränken.

4. Insbesondere unter Berücksichtigung der besonderen Bedeutung der Versammlungs- und der Meinungsfreiheit ist es geboten, Aussprüche bereits wegen einer möglichen Verwendung in einem spezifischen Kontext allgemein zu verbieten, sondern lediglich dann, wenn der Kontext ebenfalls eine Verwendung als Erkennungszeichen einer verbotenen Organisation bzw. ihrer Ideologie nahelegt.

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