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Selbstschädigung beim Ausparken
BGH Urteil vom 12.01.2021 – VI ZR 662/20 – BGH NJOZ 2021, 1224

Sachverhalt

B kehrt nach einem Arztbesuch auf den öffentlichen und für jedermann kostenfrei nutzbaren Parkplatz zurück, auf welchem er sein bei der V versichertes Fahrzeug zuvor geparkt hatte. B ist schon lange auf einen Rollstuhl angewiesen, weshalb sein Fahrzeug auch behindertengerecht umgebaut wurde. Als der B zu seinem Fahrzeug gelangt, stellt er fest, dass sein Fahrzeug von einem anderen so zugeparkt wurde, dass er mit seinem Rollstuhl nicht mehr an die Fahrertür herankommt. 

A, der kurz zuvor hinter dem B auf der anderen Seite des Parkplatzes parkte, sieht die Situation und entschließt sich dem B zu helfen. Er bietet diesem an, für ihn das Fahrzeug aus der Parklücke zufahren, da er selbst noch zur Fahrertür vordringen könne. Der B willigt ein, weist den A aber daraufhin, dass es sich um ein umgebautes Fahrzeug handele. Gas und Bremse seien mit der Hand zu bedienen. Der A winkt daraufhin ab und meint, dass er sich mit solchen Automatikfahrzeugen auskennen würde. Als A den Motor startet, den Rückwärtsgang einlegt und die Handbremse löst, fährt das Fahrzeug bereits los. A verliert die Kontrolle über das Fahrzeug und fährt in sein eigenes, hinter dem Fahrzeug des B geparktes, Auto.

A will nunmehr den Schaden von dem B und der V ersetzt haben.

B ist der Ansicht, dass A an dem Schaden selber schuld sei, schließlich habe er das Fahrzeug gefahren. A ist hingegen der Ansicht, dass es reiner Zufall sei, dass sein Fahrzeug hinter dem des B geparkt gewesen sei. Bei einem anderen Fahrzeug hätte B schließlich, zumindest anteilig, den Schaden auch ersetzen müssen. Außerdem habe der B sich mit der Annahme des Angebots des A dazu bereit erklärt, im Zweifel auch für einen Schaden zu haften.

Hat der A Ansprüche gegen B und V?


Skizze


Gutachten

A. Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG iVm § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG

A könnte einen gesamtschuldnerischen Anspruch gegen B und V aus §§ 7 Abs. 1 StVG iVm § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG haben.

Anmerkung: Anspruch gegen Pflichtversicherer
§ 115 Abs. 1 S. 1 VVG statuiert einen direkten Anspruch gegen den Versicherer des Schädigers. Der Geschädigte hat ein Wahlrecht, ob er seinen Ersatzanspruch „auch gegen den Versicherer“ geltend machen oder nur gegen den Ersatzverpflichteten (Schädiger) unmittelbar vorgehen will [1]Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Burmann, 26. Aufl. 2020, VVG § 115 Rn. 2. Dabei haften Schädiger und Versicherer als Gesamtschuldner, § 115 Abs. 1 S. 4 VVG. Der häufigste Klausurfall ist derjenige, bei dem zusätzlich neben dem Schädiger seine Kfz-Haftpflichtversicherung in Anspruch genommen wird. Hierfür ist verweist § 115 Abs. 1 S.1 Nr.1 VVF auf § 1 PflVG, nach welchem – verkürzt – ein Fahrzeughalter sein Fahrzeug gegen durch den Gebrauch des Fahrzeugs verursachte Personenschäden, Sachschäden und sonstigen Vermögensschäden versichern muss. 

Im Rahmen des § 115 VVG muss allerdings regelmäßig nicht viel beachtet werden. Wichtig ist, dass die in Anspruch genommene Versicherung die Haftpflichtversicherung des Halters ist und ein Anspruch gegen diesen besteht. Ansprüche gegen den Halter, also insbesondre § 7 StVG, werden inzident geprüft.

Anmerkung: Prüfungsreihenfolge
Eine Besonderheit ergibt sich hier bei der Prüfungsreihenfolge. Eigentlich sollten immer zunächst vertragliche Ansprüche geprüft werden. Der Sachverhalt ist vorliegend auch darauf ausgelegt, dass vertragliche Ansprüche zumindest in Frage kommen (dazu weiter unten). Allerdings können diese nur B bestehen, nicht aber gegen die V, denn § 115 VVG umfasst nicht Schadenersatzansprüche aus einem vertraglichen Verhältnis. Die Fallfrage zielt allerdings darauf ab, dass zunächst Ansprüche gegen B und V zu prüfen sind. Deshalb empfiehlt es sich, zunächst Ansprüche iRd § 115 VVG und damit deliktische Ansprüche zu prüfen.

I. Pflichtversicherung, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG iVm § 1 PflVG

Dazu müsste die V Pflichtversicherer des B iSd § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG sein. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG umfasst Pflichtversicherungen iSd § 1 PflVG und damit die Kfz-Haftpflichtversicherung. Als Halter schloss der B eine solche bei der V ab, mithin handelt es sich bei dieser um die Pflichtversicherung nach § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG.

II. Schadensersatzanspruch, § 7 Abs. 1 StVG  

Fraglich ist aber, ob auch ein unmittelbarer Schadensersatzanspruch des A gegen B vorliegt. Ein solcher könnte sich hier aus § 7 Abs. 1 StVG ergeben. 

Anmerkung: Prüfungsreihenfolge
Neben § 7 StVG kommt natürlich auch immer § 823 BGB in Frage. Allerdings ist immer zunächst § 7 StVG zu prüfen, denn hierbei handelt es sich um eine Gefährdungshaftung, das heißt, dass ein Verschulden nicht vorliegen muss. Eine solche Gefährdungshaftung ist immer vor einer Verschuldenshaftung (Regelfall) zu prüfen. Generell ist zwischen § 7 StVG und § 823 BGB noch der § 18 StVG zu prüfen, der in diesem Falle aber nicht einschlägig ist. Dieser normiert die Haftung des Fahrzeugführers. Hier ist ein Verschulden zwar notwendig, allerdings wird dieses vermutet.

Zusammenfassend:
Gefährdungshaftung > Haftung aus vermuteten Verschulden > Verschuldenshaftung

1. B als Halter des Kfz

B war unzweifelhaft zum Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses Halter des bei der V versicherten Fahrzeuges.

2. Rechtsverletzung

Es müsste aber auch eine Rechtsverletzung vorgelegen haben. Eine taugliches Recht nach § 7 Abs. 1 StVG verletzt, wer einen Menschen tötet, den Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt. Das Fahrzeug des B prallte gegen das Fahrzeug des A. Dieses wurde dabei in seiner Substanz beschädigt. Mithin liegt die Beschädigung einer Sache vor und damit eine taugliche Rechtsverletzung iSd § 7 Abs. 1 StVG.

3. Bei Betrieb

Die Rechtsverletzung müsste auch bei Betrieb des Kraftfahrzeuges des B entstanden sein. Das ist der Fall, wenn das Fahrzeug einerseits in Betrieb genommen wurde und andererseits sich auch die betriebsspezifische Gefahr des Fahrzeuges realisiert hat. 

Wann ein Fahrzeug in Betrieb ist, wird unterschiedlich beurteilt. Zum einen wird die verkehrstechnische Auffassung vertreten. Demnach ist ein Fahrzeug in Betrieb, wenn es sich im öffentlichen Verkehrsbereich bewegt, aber auch dann, wenn es in verkehrsbeeinflussender Weise ruht [2]BGH NZV 2014, 207; NJW 2010, 3713; NJW-RR 2008, 764; NZV 1995, 19; Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Burmann, 26. Aufl. 2020, StVG § 7 Rn. 7.

Zum anderen wird die maschinentechnische Auffassung vertreten [3]zuletzt BGH, NJW 1975, 1886 (1886 f.. Demnach ist ein Fahrzeug in Betrieb, wenn es sich mittels eigener Motorkraft fortbewegt. 

Da sich das Fahrzeug im öffentlichen Verkehrsbereich befand und zugleich sich durch eigene Motorkraft fortbewegte, war es nach beiden Auffassungen in Betrieb. Eine Stellungnahme bedarf es nicht.

Vernetztes Lernen: Bei Betrieb – Stellungnahme
Eigentlich hat der Streit heute kaum noch mehr Relevanz. Der BGH hat sich von der durch ihn früher vertretenen maschinentechnischen Auffassung abgewandt und vertritt heute nunmehr auch die verkehrstechnische Auffassung. Dennoch wird von Kandidaten im ersten Examen häufig erwartet, dass sie dieses Problem zumindest kennen, wenngleich sich selten entschieden werden muss. Sollte dies doch mal der Fall sein, in etwa dann, wenn das Fahrzeug im Verkehr ruhend steht, kann für die verkehrstechnische Auffassung der Sinn und Zweck der Norm angeführt werden. Regelmäßig wird auch von einem Fahrzeug, dessen Motor nicht gestartet wurde, eine erhöhte Gefahr allein dadurch ausgehen, dass es auch parkend den Verkehr beeinflusst. Für die maschinentechnische Auffassung spricht wohl der Wortlaut „Betrieb“, der zumindest vordergründig suggeriert, dass der Motor auch gestartet sein müsste. 

Indem der Schaden auch unmittelbar durch das Fahrzeug selbst entstanden ist, hat sich auch die betriebsspezifische Gefahr verwirklicht.

4. Ausschluss der Haftung, § 8 Nr. 2 StVG

Allerdings könnte der Anspruch nach § 7 Abs. 1 StVG aufgrund des § 8 Nr. 2 StVG ausgeschlossen sein. Demnach ist der Anspruch nach § 7 Abs. 1 StVG dann ausgeschlossen, wenn der Verletzte bei dem Betrieb des Fahrzeugs selbst tätig war. 

a) Bei Betrieb selbst tätig

Daher müsste der A als Verletzter zunächst selbst bei Betrieb des Fahrzeugs des B tätig gewesen sein. Umfasster Personenkreis nach § 8 Nr. 2 StVG sind dabei diejenigen, die durch die unmittelbare Beziehung ihrer Tätigkeit zum Betrieb des Kraftfahrzeugs den von ihm ausgehenden besonderen Gefahren stärker ausgesetzt sind als die Allgemeinheit [4]Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 26. Aufl. 2020, StVG § 8 Rn. 7, auch wenn sie nur aus Gefälligkeit beim Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig geworden sind [5]BGH NJOZ 2021, 1224 Rn. 7; NJW 2010, 1662 Rn. 23 mwN; NJW 1954, 393. Als Ausnahmevorschrift zum § 7 Abs. 1 StVG ist der § 8 Nr. 2 StVG eng auszulegen [6]BGH NJOZ 2021, 1224 Rn. 7; NJW 2011, 292

Dennoch bediente A hier selbst die wesentlichen Einrichtungen des Fahrzeugs, die für dessen Fortbewegung bestimmt sind. Er hatte damit auch die tatsächliche Gewalt über das Steuer inne, mithin war er Fahrzeugführer. Das er die dies auf Weisung des B war, ist dabei unerheblich [7]BGH NJOZ 2021, 1224 Rn. 7 Mithin war A bei Betrieb des Fahrzeuges des B selbst tätig.

b) umfasster Schaden

Fraglich ist aber, ob der Schaden am eigenen Fahrzeug des A auch vom § 8 Nr. 2 StVG umfasst ist. Dies wird unterschiedlich beurteilt.

Eine Ansicht vertritt die Auffassung, dass der § 8 Nr. 2 StVG lediglich Personenschäden umfasst. Ist der Eigentümer einer Sache zwar bei Betrieb selbst tätig, wird aber sein Eigentum und nicht er selbst geschädigt, so sei der insoweit eng auszulegen § 8 Nr. 2 StVG nicht einschlägig und die Haftung des Halters nach § 7 Abs. 1 StVG würde greifen. Demnach wäre auch hier der § 8 Nr. 2 StVG nicht einschlägig, denn es liegt lediglich ein Schaden am Eigentum des A vor. Der Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 StVG wäre weiterhin eröffnet.

Eine andere Ansicht tritt dem entgegen. Demnach sei iRd § 8 Nr. 2 StVG nicht nach Rechtsgütern zu differenzieren. Vielmehr seien neben Personenschäden auch das Eigentum desjenigen umfasst, der sich der besonderen Gefahr des Kraftfahrzeuges aussetzt, in dem er bei dessen Betrieb selbst tätig ist [8]BGH NJOZ 2021, 1224 Rn. 11; OLG Hamm NZV 1997, 42; OLG Nürnberg VersR 2004, 905 = BeckRS 2008, 18777; Kaufmann in Geigel, Haftpflichtprozess, 28. Aufl., Kap. 25 Rn. 290; Kunschert NZV 1989, 61 [62] … Continue reading.  Der § 8 Nr. 2 StVG würde den Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 StVG daher hier schließen.

Beide Ansichten kommen zu einem unterschiedlichen Ergebnis. Für die erst genannte Ansicht spricht zunächst der Sinn und Zweck des Gesetzes. Denn derjenige, der sich freiwillig und bewusst in einen Gefahrenbereich begibt, hat ein geringeres Schutzbedürfnis – in seiner Konsequenz bedeutet dies, dass es dann nicht mehr gerechtfertigt ist, dass ihm die Gunst der Gefährdungshaftung zu Gute kommt [9]Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 26. Aufl. 2020, StVG § 8 Rn. 7. Gerade an dieser unmittelbaren und speziellen Beziehung, also dem sich freiwillig dem Gefahrenbereich aussetzen, fehlt es aber, wenn der Kraftfahrzeugführer bei einem Verkehrsunfall eine mehr oder weniger zufällig in den Gefahrenkreis des von ihm gelenkten Kfz geratene eigene Sache beschädigt [10]Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 26. Aufl. 2020, StVG § 8 Rn. 7; Greger NZV 1988, 108; Greger in Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Aufl., § 19 Rn. 10; König in … Continue reading.

Hiergegen spricht jedoch maßgeblich, dass der Eintritt des Fahrzeuges in den Gefahrenbereich gerade selten zufällig ist. Hierzu bedarf es einer Einzellfallbetrachtung. Der A hat das Fahrzeug des B  für diesen aus der Parklücke gefahren und hat durch das Manövrieren sein von ihm selbst auf demselben Parkplatz abgestelltes eigenes Fahrzeug bewusst der Betriebsgefahr des von ihm selbst geführten Kraftfahrzeugs ausgesetzt [11]OLG Nürnberg VersR 2004, 905. Insoweit macht es hier keinen Unterschied, ob sich die beschädigte Sache innerhalb oder außerhalb des vom A geführten Fahrzeugs befand [12]BGH NJOZ 2021, 1224 Rn. 11. Unabhängig also der Frage, ob das Fahrzeug des Geschädigten zufällig mit der Gefahrenquelle in Berührung kommt, liegt der Fall hier schon anders, denn der A entschied sich bewusst mit dem Ausparken dafür, dass auch sein eigenes Fahrzeug in den Gefahrenbereich gezogen wird. Mithin ist der der Anwendungsbereich des § 8 Nr. 2 StVG eröffnet und damit die Anwendung des § 7 Abs. 1 StVG ausgeschlossen.

III. Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB

Daneben käme aber auch ein Anspruch des A gegen B aus § 823 Abs. 1 BGB in Frage.

1. Rechtsgutsverletzung 

Eine Rechtsgutsverletzung liegt in der Form der Beschädigung des Eigentums des A vor.

2. Verletzungshandlung

Allerdings bedarf es auch einer Verletzungshandlung des B. In Frage kommt hier allenfalls eine pflichtwidrige unterlassene Aufklärung respektive Einweisung in die Eigenarten eines Rollstuhlfahrer-gerechten Fahrzeuges. Nicht jedes Unterlassen stellt allerdings eine taugliche Verletzungshandlung iSd § 823 Abs.1 BGB dar. Vielmehr bedarf es der Pflicht zur Vornahme der Handlung, damit ein Unterlassen eine Verletzungshandlung darstellt. Eine solche Pflicht könnte sich hier aus einer möglichen Verkehrssicherungspflicht ergeben. Eine Verkehrssicherungspflicht besteht insbesondere dann, wenn durch den Schädiger eine Gefahrenlage geschaffen oder unterhalten wird [13]BeckOK BGB/Förster, 60. Ed. 1.11.2021, BGB § 823 Rn. 102. Eine solche Gefahrenlage besteht hier darin, dass B ein Auto mit besonderer, vom Normalfall abweichender, Fahreinrichtung unterhält und den A willentlich mit dieser konfrontiert.

Die Reichweite der hieraus resultierenden Verkehrssicherungspflicht beschränkt sich auf  geeignete Maßnahmen, welche wiederum nach dem Maßstab eines umsichtigen und gewissenhaften Angehörigen des betroffenen Verkehrskreises zu bestimmen sind [14]BeckOK BGB/Förster, 60. Ed. 1.11.2021, BGB § 823 Rn. 102; BGH NJW 2013, 48. Hieraus ergibt sich, dass B den A – sofern der A unkundig ist –  zumindest über die Besonderheiten des Fahrzeuges hätte aufklären müssen. Genau dies nahm B jedoch auch vor. Er wies den A daraufhin, dass es sich bei dem Fahrzeug um ein besonderes für Rollstuhlfahrer geeignetes Fahrzeug handele, bei welchem Gas und Bremse mit der Hand bedient werden müssten. A wies daraufhin, dass er sich mit solchen Fahrzeugen auskennen würde. B durfte daher davon ausgehen, dass dies der Wahrheit entspräche und musste keine genaueren Aufklärungen vornehmen. Mithin kam er seiner Verkehrssicherungspflicht nach.

Anmerkung: Mitverschulden
Sowohl im Rahmen des § 7 Abs. 1 StVG als auch § 823 Abs. 1 BGB lässt sich ein anderes Ergebnis vertreten. Dann sollte aber beachtet werden, dass ggf. ein Mitverschulden des A nach § 254 BGB bzw.  § 9 StVG in Frage kommt. Schließlich unterhält der A als Fahrer nicht nur eine eigene Gefahrenquelle, sondern ist ihm auch offensichtlich einen Fehler bei der Bedienung des Fahrzeuges unterlaufen.

IV. Zwischenergebnis

Weder ein Anspruch aus § 7 Abs. 1 StVG noch § 823 Abs. 1 BGB kommt in Frage. Folglich besteht auch kein gesamtschuldnerischer Anspruch gegen B und V aus § 115 VVG.

B. Anspruch aus, §§ 670, 662 BGB

In Frage kommt aber auch ein Anspruch auf Aufwendungsersatz aus §§ 670, 662 BGB gegen B allein.

I. Aufwendungen

Dafür müsste es sich bei dem Schaden an dem Fahrzeug des A allerdings überhaupt um taugliche Aufwendungen iSd §§ 670 BGB handeln. Aufwendungen sind zunächst freiwillige Vermögensopfer im Interesse eines anderen [15]BGH NJW 1973, 46; NJW 1989, 2816 (2818); NJW-RR 2016, 1385 Rn. 17; 2016, 1387 Rn. 17; BeckOK BGB/Detlev Fischer, 60. Ed. 1.11.2021, BGB § 670 Rn. 5. Ein Schaden wie hier ist aber gerade nicht freiwillig. Dennoch ist es allgemein anerkannt, dass der der Auftraggeber dem Beauftragten diejenigen Schäden wie Aufwendungen zu ersetzen hat, die auf einer mit der Besorgung des Geschäfts verbundenen Gefahr beruhen und von beiden Parteien von vornherein in Rechnung gezogen werden mussten [16]RGZ 98, 195 (200); BGH NJW 1961, 359; NJW 1963, 390; VersR 1957, 388 (390); NJW 1960, 1568 (1569); OLG Celle NJW 1965, 2348 (2350. Bei dem Rangieren eines Fahrzeugs und einen nachfolgenden Parkrempler handelt es sich um einen Schaden, welche sich aus der fahrzeugspezifischen Gefahr ergibt und mit den die Parteien rechnen konnten. 

Anmerkung: Prüfungsreihenfolge
Normalerweise würde man wohl als erstes das Vorliegen eines Auftragsverhältnisses nach § 662 BGB prüfen. Wie aber später ersichtlich wird, scheitert der Anspruch bereits an eben diesen. Der Prüfungspunkt der Aufwendungen birgt aber auch ein kleines Problem, welches man sich abschneiden würde, würde man das Auftragsverhältnis als erstes prüfen. Stellt man also in der Klausur fest, dass noch genug Zeit für diese kleine Zwischenroute besteht, sollte sie auch genommen werden.

II. Auftragsverhältnis

Allerdings müsste auch zwischen A und B ein Auftrag iSd § 662 BGB zustande gekommen sein. Hierzu müsste zwischen A und B ein Vertrag geschlossen worden sein. Dies bedarf eines Auftrags und einer Annahme, also zwei aufeinander bezogene Willenserklärungen. Eine Willenserklärung seinerseits bedarf eines Rechtsbindungswillens. Liegt ein solcher Rechtsbindungswille nicht vor, kann regelmäßig in Abgrenzung von einem bloßen Gefälligkeitsverhältnis ausgegangen werden [17]NJOZ 2021, 1224 Rn. 14.

Ob bei einer Partei ein Rechtsbindungswille vorhanden ist, ist danach zu beurteilen, ob die andere Partei unter den gegebenen Umständen nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte auf einen solchen Willen schließen musste. Dies ist anhand objektiver Kriterien aufgrund der Erklärungen und des Verhaltens der Parteien zu ermitteln, wobei vor allem die wirtschaftliche sowie die rechtliche Bedeutung der Angelegenheit, insbes. für den Begünstigten, und die Interessenlage der Parteien heranzuziehen sind [18]BeckOK BGB/Detlev Fischer, 60. Ed. 1.11.2021, BGB § 662 Rn. 3.

Ein Bindungswille wird deshalb in der Regel beim so genannten Gefälligkeitshandeln des täglichen Lebens, bei Zusagen im gesellschaftlichen Bereich oder bei Vorgängen, die diesen ähnlich sind, zu verneinen sein [19]BGH NJOZ 2021, 1224; NJW 2015, 2880 Rn. 8 mwN; NJW 2009, 1141 Rn. 7; NJW 1971, 1404 Rn. 20.

Das Angebot des A, das Fahrzeug des B für diesen aus der Parklücke zu fahren, erfolgte zwar im Interesse des B, um ihm ohne weiteres Zuwarten den Einstieg auf der Fahrerseite zu ermöglichen, die für ihn als Rollstuhlfahrer aufgrund eines daneben geparkten Fahrzeugs gerade nicht zugänglich war. Wesentliche Interessen wirtschaftlicher Art waren aufseiten des B jedoch nicht betroffen. Zwar überließ er dem A die tatsächliche Gewalt über einen Gegenstand von nicht unerheblichem Wert. Dies sollte jedoch nur kurzfristig, unter Anleitung und im Beisein des B sowie in einer überschaubaren, nicht besonders gefahrgeneigten Verkehrssituation erfolgen. Eine dringende Notsituation ist hier auch nicht ersichtlich. Der A selbst hatte an der von ihm angebotenen Hilfeleistung ersichtlich auch kein eigenes rechtliches oder wirtschaftliches Interesse [20]BGH NJOZ 2021, 1224 Rn. 16, 17. Es mangelt daher an einem Rechtsbindungswillen der Parteien. Ein Auftragsverhältnis liegt nicht vor. 

C. Ergebnis

A hat weder einen Anspruch gegen B und V aus § 7 Abs. 1 StVG iVm § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, noch aus § 823 Abs. 1 BGB iVm § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG und auch nicht gegen B aus §§ 670, 662 BGB

Zusatzfrage für Referendare

Wie kann ein Relationsaufbau bei einem Verkehrsunfall aussehen?
A und B hatten einen Verkehrsunfall. A verklagt den B und dessen Versicherung die BV nun auf Schadensersatz. B beantragt die Klage abzuweisen und erhebt Widerklage gegen die Versicherung des A, die AV. Wie könnte der Aufbau einer Relation aussehen?

A. Sachbericht in der Form eines Tatbestandes

B. Gutachten
  • I. Prozessstation
    • 1. Zulässigkeit der Klage
    • 2. Zulässigkeit der Widerklage
  • II. Klage
    • 1. Schlüssigkeit (Klägerstation)
    • 2. Erheblichkeit (Beklagtenstation)
      • a) Haftung des Beklagten –> erhebliches Gegenvorbringen gegen § 7 Abs. 1 StVG? insb. §§ 7 Abs. 2, 17 Abs.3?
      • b) Haftung des Klägers –> erhebliches Vorbringen für § 7 Abs. 1 oder Gegenvorbringen gegen § 7 Abs. 2 17 Abs. 3?
      • c) Abwägung nach § 17 Abs. 1 StVG –> Erhebliches Vorbingen insb. StVO Verstöße des Kläger
    • 3. Beweisstation
  • III. Widerklage
  • IV. Entscheidungsstation
  • V. Tenorierungsstation

Zusammenfassung:

1. Ein Anspruch nach § 7 Abs. 1 StVG ist regelmäßig gem. § 8 Nr. 2 StVG ausgeschlossen, wenn der Geschädigte zugleich Fahrer des schädigenden Fahrzeuges ist. Der Kraftfahrzeugführer bringt sein eigenes Fahrzeug regelmäßig gerade nicht mehr oder weniger zufällig in den Gefahrenkreis des von ihm gelenkten Kfz.

2. Beim Ausparken des Fahrzeuges eines Anderen aus einer Parklücke handelt es sich regelmäßig um eine bloße Gefälligkeit des täglichen Lebens, denn es fehlt idR an einem Rechtsbindungswillen.



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