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Menschenraub

BGH, Beschluss vom 10.05.2023 – 4 StR 515/22NStZ 2023, 677

Sachverhalt

A verschafft sich unter einem Vorwand Zutritt zu dem Wohnhaus der O. Als O für A ersichtlich bemerkt, dass sie getäuscht wird, fesselt A sie mit Klebeband an einen Stuhl, um sie dazu zu bringen, ihm aus Sorge um ihr Wohl das Versteck des Tresorschlüssels zu nennen. Mit diesem will er den ihm bekannten Tresor öffnen und das darin befindliche Bargeld entwenden. Unter dem Eindruck der Fesselung und des Gesamtgeschehens erklärt O sich bereit, das Versteck des Tresorschlüssels zu nennen. Der Tresor lässt sich mit dem Schlüssel aber nicht öffnen, weil O ihn unbemerkt nach der letzten Benutzung verbogen hat. A sieht keine andere Möglichkeit, an das Bargeld zu gelangen. Er sperrt O in ein Badezimmer ihres Hauses ein und verlässt das Haus.

Strafbarkeit von A?      


Skizze

Gutachten

A. Strafbarkeit gem. §§ 253, 255, 250 I Nr. 1 b) StGB

A könnte sich der schweren räuberischen Erpressung gem. §§ 253, 255, 250 I Nr. 1 b) StGB schuldig gemacht haben, indem er O an den Stuhl fesselte, um sie dazu zu bringen, ihm den Aufbewahrungsort des Tresorschlüssels zu zeigen. 

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand

a) Qualifiziertes Nötigungsmittel

Als qualifiziertes Nötigungsmittel kommen sowohl Gewalt als auch Drohung in Betracht. Gewalt ist die nicht unerhebliche körperliche Kraftentfaltung, die bei dem Opfer einen körperlich wirkenden Zwang erzielt und der Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstands dient. Indem A die O fesselt, entfaltet er körperliche Kraft, die sich unmittelbar bei O physisch äußert und ihre Fortbewegung und Verteidigung hindert. Es kann an dieser Stelle dahinstehen, ob auf die Fesselung noch eine konkludente Drohung mit weiterer Gewaltanwendung folgt. Ein qualifiziertes Nötigungsmittel liegt vor.

Anmerkung: Zur Unterscheidung der Fesselungsgewalt von der konkludenten Drohung
Die Unterscheidung der Fesselungsgewalt von konkludenter Drohung wird erst im Rahmen von § 239a I StGB relevant.

b) Nötigungserfolg (Vermögensverschiebung)

Sodann müsste durch das qualifizierte Nötigungsmittel ein Nötigungserfolg eingetreten sein. Ob das jedes Handeln, Dulden oder Unterlassen sein kann, das letztlich zu einem Vermögensschaden führt oder eine Vermögensverschiebung darstellt, ist umstritten. Da die Rechtsprechung davon ausgeht, dass es sich bei dem Raub um eine Qualifikation der räuberischen Erpressung handelt, fordert sie keine Vermögensverschiebung. Sowohl der Raub als auch die räuberische Erpressung seien demnach Fremdschädigungsdelikte. Die überwiegende Literatur hingegen will die Strukturähnlichkeit von räuberischer Erpressung und Betrug anerkennen, behandelt beide als Selbstschädigungsdelikte und erfordert demnach eine Vermögensverfügung. In der Folge stehen Raub und räuberische Erpressung in einem Exklusivitätsverhältnis.

Eine Stellungnahme könnte hier dahinstehen, falls beide Ansichten die Abgrenzungsfrage im Ergebnis gleich beantworten. Die Rechtsprechung will es dafür auf das äußere Erscheinungsbild ankommen lassen: Nimmt der Täter, so handelt es sich um einen Raub; übergibt das Opfer, geht es um eine räuberische Erpressung. In der Literatur wird hingegen überwiegend – nämlich ausgehend von dem Erfordernis einer Vermögensverfügung – darauf abgestellt, ob das Opfer aus seiner Perspektive noch Schlüsselperson für die Erlangung der Sache durch den Täter ist. Wenn nämlich dem Opfer aus seiner Sicht ohnehin keine Möglichkeit verbleibt, handelt es sich um einen Raub; die Erlangung der Sache ist nicht mehr von der Willensbildung des Opfers abhängig. Unabhängig davon, ob man auf den Erhalt des Tresorschlüssels oder den des Tresorinhalts abstellt, ist nach dem äußeren Erscheinungsbild von einem Raub auszugehen. Der A nimmt sich nämlich den Tresorschlüssel. Nach der Literaturauffassung hingegen ist dadurch, dass der Schlüssel in der Wohnung versteckt ist, der A davon abhängig, dass die O den Aufenthaltsort preisgibt. Sie bleibt also Schlüsselperson für die Erlangung der Sache. Da beide Ansichten zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen, ist eine Stellungnahme notwendig.

Für die Rechtsprechung könnte zunächst sprechen, dass sich das Merkmal der Vermögensverfügung und damit der Grund dafür, auf die innere Willensrichtung des Opfers abzustellen, nicht dem Wortlaut entnehmen lässt. Dem ist jedoch zu erwidern, dass auch dem § 263 StGB das Merkmal der Vermögensverschiebung nicht zu entnehmen ist, ihre Zugehörigkeit zum tatbestandlichen Programm derweil aber unbestritten bleibt. Die Rechtsprechung argumentiert weiter, dass durch die Forderung der Vermögensverschiebung Strafbarkeitslücken entstehen, wenn etwa eine Zueignungsabsicht zu verneinen ist und zum Zwecke der Gebrauchsanmaßung einer Sache vis absoluta eingesetzt wird. Das aber ist ein kriminalpolitisches Anliegen und kann nicht über die dogmatischen, insbesondere systematischen Schwächen hinwegtäuschen, will man von einem lex specialis-lex generalis-Verhältnis von § 249 StGB zu §§ 253, 255 StGB ausgehen: Erstens ist es unüblich – und ansonsten nur nach dem kritikwürdigen Rechtsprechungsverständnis von §§ 211 f. StGB bekannt –, dass das Grunddelikt hinter der Qualifikation verortet werden soll. Ebenso ist es zweitens fragwürdig, dass das Grunddelikt auf die Qualifikation verweist. Daraus ergibt sich drittens, dass es nicht überzeugt, dass Grunddelikt und Qualifikation den gleichen Strafrahmen haben sollen. Es ist daher vorzugswürdig, mit der überwiegenden Literatur von einem Exklusivitätsverhältnis und damit zusammenhängend von einer Abgrenzung nach der inneren Willensrichtung auszugehen.[1]Zum Gesamten vgl. Schladitz, JA 2022, 89; Bode, JA 2017, 110. Danach liegt hier eine Vermögensverschiebung vor, weil nach der Vorstellung der O ihre Mitwirkung unerlässlich ist, um an den Tresorschlüssel zu gelangen.

c) Vermögensschaden

Es müsste auch ein Vermögensschaden eingetreten sein. Der Schaden ist durch einen Vergleich des Vermögens vor der Verfügung und nach der Verfügung im Wege der Gesamtsaldierung zu ermitteln. Letztlich liegt in der Übergabe des Schlüssels jedoch noch kein Vermögensschaden, weil nicht zu befürchten stand und von A nicht geplant war, dass er den Schlüssel mitnehmen würde. Da der Schlüssel den Tresor nicht öffnen kann, fehlt es letztlich an einem Vermögensschaden.[2]Anders anscheinend Bosch, JURA 2023, 1481.

2. Zwischenergebnis

Der objektive Tatbestand ist nicht erfüllt.

II. Ergebnis

A hat sich nicht gem. §§ 253, 255, 250 I Nr. 1 b) StGB strafbar gemacht.

B. Strafbarkeit gem. §§ 253, 255, 250 I Nr. 1 b), 22, 23 I StGB

A könnte sich durch gleiches Verhalten des versuchten schweren räuberischen Diebstahls gem. §§ 253, 255, 250 I Nr. 1 b), 22, 23 I StGB schuldig gemacht haben.

I. Vorprüfung

Mangels Eintritt des Vermögensschadens ist das Delikt nicht vollendet. Da es sich bei §§ 253, 255, 250 StGB um ein Verbrechen mit einer Mindestfreiheitsstrafe von nicht unter einem Jahr (sonst Vergehen) handelt (§ 12 I StGB), ist der Versuch strafbar.

II. Tatbestand

1. Tatentschluss

Da A davon ausgeht, dass der abgepresste Schlüssel den Tresor öffnen würde, handelt er mit Tatentschluss nicht nur hinsichtlich des qualifizierten Nötigungsmittels, sondern auch hinsichtlich des Vermögensschadens. 

Es stellt sich jedoch die Frage, ob der Vermögensschaden nach der Vorstellung des A auf der Vermögensverfügung oder einer gesonderten Wegnahme beruht. Denn stellt man letztlich auf die Entnahme des Geldes aus dem Tresor als Vermögensschaden ab, so könnte man auch meinen, dass diese nicht unmittelbar auf der Nennung des Aufbewahrungsortes des Schlüssels beruht, sondern auf einer eigenständigen Entnahme durch den Täter. Diese Entnahme wäre nach seiner Vorstellung dann aufgrund der Schlüsselgewalt wohl nicht mehr von dem Willen des Opfers abhängig. Mit diesem Gedanken würde man das Geschehen als versuchten Raub, nicht als versuchte räuberische Erpressung einordnen. Es liegt hier aber ein anderes nahe, nämlich dass nach der Vorstellung des A dem Erhalt des Schlüssels selbst schon ein eigenständiger Vermögenswert zukommt, der – wie gezeigt – nach der vorzugswürdigen Ansicht durch Vermögensverfügung der O eintritt. Der eigenständige Vermögenswert ergibt sich nämlich aus der – nur nach der Vorstellung des A – unmittelbaren Verwendbarkeit, um an das Geld im Tresor zu gelangen. [3]Dazu Bosch, JURA 2023, 1481 m.w.N. aus der widersprüchlichen Rechtsprechung.

Daneben hat A einen Tatentschluss bzgl. des Qualifikationstatbestandes gem. § 250 I b) StGB, indem er vorhatte, die O mit Klebeband an den Stuhl zu fesseln und so potenziellen Widerstand zu überwinden.

2. Unmittelbares Ansetzen

Indem A die O fesselt und sich den Aufenthaltsort des Schlüssels sagen lässt, hat er die Schwelle zum „Jetzt-gehts-los“ überschritten und nach seiner Vorstellung wären keine weiteren wesentlichen Zwischenschritte bis zur Vollendung der Tat notwendig gewesen. Er hat unmittelbar angesetzt.

III. Rechtswidrigkeit und Schuld

A handelt rechtswidrig und schuldhaft.

IV. Rücktritt

A tritt nicht strafbefreiend vom Versuch zurück, da der Versuch fehlgeschlagen ist, A also aus seiner Sicht mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr an die Gegenstände im Tresor gelangen konnte. 

V. Ergebnis

A hat sich gem. §§ 253, 255, 250 I Nr. 1 b), 22, 23 I StGB schuldig gemacht. 

C. Strafbarkeit gem. § 239a I 1. Var. StGB

A könnte sich durch gleiches Verhalten zusätzlich des erpresserischen Menschenraubes gem. § 239a I 1. Var. StGB strafbar gemacht haben.

Vernetztes Lernen: Wo liegen die Unterschiede zwischen Para. 239a StGB und Para. 239b StGB?
Beide Tatbestände sind größtenteils parallel aufgebaut und haben einen identischen Strafrahmen. Der zentrale Unterschied besteht darin, dass es bei § 239a StGB um die Bemächtigung bzw. Entführung zur Begehung einer Erpressung geht und bei § 239b StGB um die Bemächtigung bzw. Entführung zu jedem möglichen Nötigungsziel. Für § 239a StGB genügt hingegen jedes § 253 StGB unterfallende Nötigungsmittel, während § 239b StGB hinsichtlich des Nötigungsmittels besonders eng ist: „um ihn oder einen Dritten durch die Drohung mit dem Tod oder einer schweren Körperverletzung (§ 226 StGB) des Opfers oder mit dessen Freiheitsentziehung von über einer Woche Dauer […] zu nötigen“. § 239a StGB ist also hinsichtlich des Nötigungsmittels relativ weiter und hinsichtlich des Nötigungsziels enger als § 239b StGB.

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand: Sich-Bemächtigen

Zunächst müsste A sich der O bemächtigt haben. Von einem Sich-Bemächtigen kann gesprochen werden, wenn die Verfügungsgewalt über den Körper eines anderen erlangt wird, der dadurch an einer freien Bestimmung über sich selbst gehindert wird.[4]Rengier, BT I, § 24 Rn. 7. Durch die Fesselung der O an den Stuhl erlangt die A die Verfügungsgewalt über den Körper der O.

Vernetztes Lernen: Wieso ist es für den Para. 239a StGB relevant, welcher Auffassung man bei der Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung folgt?
§ 239a StGB setzt im subjektiven Tatbestand eine Erpressungsabsicht voraus. Hält man es nun mit der Rechtsprechung und sieht in §§ 253, 255 StGB den Grundtatbestand des § 249 StGB, so hat der Bezug von § 239a StGB auf § 253 StGB keinerlei einschränkende Bedeutung. Die Rechtsprechung nimmt nämlich konsequenterweise an, dass in jeder Raubabsicht eine Erpressungsabsicht steckt. Geht man hingegen mit der überwiegenden Literatur von einem Exklusivitätsverhältnis aus, so ist die Abgrenzungsfrage von besonderer Bedeutung. Geht nämlich das Opfer davon aus, nicht mehr Schlüsselperson der Ingewahrsamnahme des Gegenstandes zu sein, so liegt ein Raub vor. Es geht also letztlich um die Vorstellung des Täters von der Vorstellung des Opfers über die eigene Rolle im Geschehen.

2. Subjektiver Tatbestand

a) Vorsatz

A handelt auch vorsätzlich hinsichtlich des Sich-Bemächtigens.

b) Erpressungsabsicht

Fraglich ist, ob auch eine Erpressungsabsicht als besonderes subjektives Merkmal (sog. überschießende Innentendenz) zu bejahen ist. Erforderlich ist ausgehend vom Wortlaut zunächst einmal, dass der Täter die Absicht hat, die Sorge des Opfers um sein Wohl (Zwei-Personen-Konstellation) oder die Sorge eines Dritten um das Wohl des Opfers (Drei-Personen-Konstellation) zu einer Erpressung (§ 253 StGB) auszunutzen. A fesselt die O gerade, um Sorge um ihr eigenes Wohl auszulösen und sie dazu zu bringen, ihr das Versteck des Tresorschlüssels zu nennen.

Vernetztes Lernen: Wieso ist die Frage nach der Unmittelbarkeit der Vermögensminderung durch den Erhalt des Schlüssels in der Vorstellung des A für Para. 239a StGB relevant, wenn man der überwiegenden Literatur folgt?
Da von Beginn an nicht geplant war, den Schlüssel mitzunehmen, kommt es darauf an, ob nach der Vorstellung des A der Vermögensschaden durch Wegnahme oder Vermögensverfügung erhalten wird. Wenn man davon ausgeht, dass die geplante Nötigung allein die Wegnahme ermöglichen soll, dann wäre § 239a StGB nicht anwendbar. Denn § 239a StGB erfasst nach der überwiegenden Literatur nur die Erpressungs-, nicht die Raubabsicht. Deshalb ist für die herrschende Literatur entscheidend, ob man – wie hier – davon ausgeht, dass der Erhalt eines (passenden) Tresorschlüssels eine eigenständige Vermögensposition ist, die durch Vermögensverfügung erhalten wird.

Gleichwohl ist zu beachten, dass § 239a StGB im Zwei-Personen-Verhältnis restriktiv auszulegen ist. Gründe dafür bestehen in der erheblichen Strafandrohung, der frühen Vollendung, sodass Rücktrittshandlungen im Hinblick auf § 255 StGB ins Leere laufen würden, und starken Überschneidungen mit den §§ 253, 255 StGB im Generellen, wenn es um Zwei-Personen-Verhältnisse geht.[5]Rengier, BT I, § 24 Rn. 17; vgl. insbesondere BGHSt 40, 350 (Großer Senat); sowie Kudlich/Schütz, NStZ 2023, 678. Um den Unterschied zur (räuberischen) Erpressung hervorzuheben, wird der Charakter als sog. unvollkommenes zweiaktiges Delikt betont: Der Täterwille muss dahingehen, die durch die Bemächtigung geschaffene Zwangslage für einen zweiten Nötigungsakt auszunutzen (sog. Ausnutzungsbewusstsein). Das ist gerade nicht der Fall, wenn die Bemächtigung keine eigenständige Bedeutung erlangt, weil Bemächtigungs- und Nötigungshandlung in einem Akt zusammenfallen. Eine eigenständige Bedeutung lässt sich andererseits vor allem dort annehmen, wo sich die Bemächtigungssituation stabilisiert hat.[6]Rengier, BT I, § 24 Rn. 18 ff.

Anmerkung: Faustformel als Kontrollfrage
Teile der Literatur schlagen als hilfreiche Faustformel vor, zu fragen, ob die Bemächtigungslage bestehen bleibt, wenn man sich den (angestrebten) Erpressungsakt hinwegdenkt. Ist dies zu bejahen, fallen das Sich-Bemächtigen und die beabsichtigte erpresserische Nötigung in zwei Akte auseinander.[7]Rengier, BT I, § 24 Rn. 21 m.w.N.; vgl. auch Renzikowski, in: MüKo-StGB, § 239a Rn. 52.

Vorliegend könnte man nun versucht sein, davon auszugehen, dass es die Fesselung ist, die sowohl die Bemächtigung als auch die Erpressungshandlung darstellen soll.[8]So BGH NStZ 2023, 677. Schließlich hat die O sich bereit erklärt, unter dem Eindruck der Fesselung den Tresorschlüssel herauszugeben. Näher liegt es jedoch, dass es nicht die Gewalteinwirkung der Fesselung als solcher ist, die O letztlich bewegt, sondern die konkludente Drohung, weitere Gewalt anzuwenden, die dann auf der Bemächtigungslage aufbaut.[9]So auch Kudlich/Schütz, NStZ 2023, 678. Denn nicht nur die Fesselung, sondern auch andere nicht weiter benannte Umstände der Gesamtsituation bewegen letztlich die O zur Nennung des Verstecks. 

Anmerkung: Anwendung der Faustformel
Wendet man die oben dargestellte Faustformel an, dann zeigt sich auch vorliegend, dass es maßgeblich auf die Benennung des Erpressungsmittels ankommt. Sieht man tatsächlich in der Gewalteinwirkung durch die Fesselung das Erpressungsmittel, kann es nicht hinweggedacht werden, ohne dass auch die Bemächtigungssituation entfällt. Versteht man allerdings die konkludente Drohung mit weiterer Gewalt als bei lebensnaher Sachverhaltsauslegung naheliegenderes Erpressungsmittel, so ließe sich dies hinwegdenken, ohne dass die Fesselung entfiele.

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

A handelt rechtswidrig und schuldhaft.

III. Ergebnis

A hat sich gem. § 239a I 1. Var. StGB schuldig gemacht.

D. Strafbarkeit gem. § 239 StGB durch Fesselung

Durch die Fesselung der O macht sich A der Freiheitsberaubung gem. § 239 StGB schuldig. 

E. Strafbarkeit gem. § 239 StGB durch Einsperren in das Badezimmer

Indem A die O ins Badezimmer einsperrt und das Haus verlässt, macht er sich der Freiheitsberaubung gem. § 239 I StGB schuldig.

F. Konkurrenzen und Gesamtergebnis

Die versuchte schwere räuberische Erpressung gem. §§ 253, 255, 250 I Nr. 1 b), 22, 23 I StGB steht in Idealkonkurrenz zum erpresserischen Menschenraub gem. § 239a I Var. 1 StGB. Die Freiheitsberaubung durch Fesselung tritt dahinter zurück. Die Freiheitsberaubung durch Einsperren in das Badezimmer steht wiederum in Idealkonkurrenz. A hat sich des erpresserischen Menschenraubes gem. § 239a I Var. 1 StGB in Tateinheit (§ 52 StGB) mit versuchter schwerer räuberischer Erpressung gem. §§ 253, 255, 250 I Nr. 1 b), 22, 23 I StGB und einer Freiheitsberaubung gem. § 239 I StGB strafbar gemacht.

Zusatzfragen

1. Macht es für den Raubtatbestand einen Unterschied, ob der Täter das Opfer bewusstlos schlägt, dann das Bargeld in dessen Hosentasche entdeckt und mitnimmt oder ob der Täter das Opfer fesselt und nach Fesselung das Geld entdeckt und mitnimmt?
Schlägt der Täter das Opfer bewusstlos, bevor er Kenntnis von dem Geld nimmt, fehlt es an einem finalen Zusammenhang zwischen Gewalt und Wegnahme. Die Gewalt wird nicht eingesetzt, um die Wegnahme zu ermöglichen. Ähnlich ist es auf den ersten Blick bei der Fesselung: Das aktive Fesseln dient nicht dem Zweck, die Wegnahme zu ermöglichen. Hier ließe sich sodann problematisieren, ob die fortwirkende Unterlassung des Entfesselns ebenfalls Gewalt ist. Die Garantenpflicht zur Entfesselung besteht aufgrund des pflichtwidrigen Vorverhalten des Fesselns (Ingerenz). Größtenteils wird hier vertreten, dass eine Raubgewalt durch Unterlassen nicht möglich ist. Diese Ansicht stützt sich im Wesentlichen auf zwei Argumente: Zum einen sei derjenige privilegiert, der vis absoluta einsetzt (bspw. das Bewusstlosschlagen). Zum anderen wird sich auf die Entsprechungsklausel aus § 13 I StGB gestützt und behauptet, dass Gewalt durch Unterlassen nicht mit einer aktiven Gewalteinwirkung zu vergleichen sei. Beide Argumente können jedoch nicht überzeugen: Ersteres übersieht, dass es für den besonders gewalttätigen Täter andere Tatbestände gibt, die das besonders intensive Verletzungsverhalten erfassen (vgl. § 224 I Nr. 5, 226, 227 StGB). Das zweite Argument bewegt sich auf dem brüchigen Fundament des Restriktionspotenzials der Entsprechungsklausel, ohne genau erklären zu können, warum Gewalt etwa bei § 240 StGB durch Unterlassen begangen werden könne. Es dürfte vorzugswürdig sein, mit einer vermittelnden Ansicht Raubgewalt durch Unterlassen für möglich zu halten und gleichzeitig streng nach der Finalität zu fragen. Denn wer mit dem Finalzusammenhang Ernst machen will, wird fragen müssen, ob die unterlassene Entfesselung tatsächlich der Wegnahme oder eher sonstigen Gründen dient. Wenn – was näher liegen dürfte – eine Entfesselung ohnehin nicht oder deutlich später geplant war, dann dürfte eine Finalität durch die Kenntnisnahme des Wegnahmegutes nicht hergestellt werden.[10]Zum Gesamten und der vermittelnden Lösung Walter, NStZ 2005, 240 ff.
2. Konkurrenzverhältnis von Freiheitsberaubung und Nötigung
Die Freiheitsberaubung verdrängt als lex specialis die Nötigung dann, wenn sich der Nötigungszweck in der Duldung der Freiheitsberaubung erschöpft. Andersherum kann auch die Nötigung die Freiheitsberaubung verdrängen, wenn sie sich darin erschöpft, das gewählte Nötigungsmittel zu sein.[11]Vgl. BGH BeckRS 2017, 130280; Eisele, in: Schönke/Schröder, § 240 Rn. 41; Fischer, § 239 Rn. 18, Schluckebier, in: S/S/W, § 239 Rn. 16; Rengier, BT II, § 22 Rn. 27.

Zusammenfassung

1. Bei der Abgrenzung von Raub und räuberischer Erpressung ist es vorzugswürdig von einem Exklusivitätsverhältnis der Tatbestände auszugehen, für §§ 253, 255 StGB eine Vermögensverfügung zu fordern und davon ausgehend nach der inneren Willensrichtung des Opfers abzugrenzen. 

2. Die Frage nach dem Verhältnis von §§ 253, 255 StGB ist für den Anwendungsbereich von § 239a StGB von Bedeutung, weil Anknüpfungspunkt die Erpressung und nicht der Raub ist.

3. Im Zwei-Personen-Verhältnis ist eine restriktive Auslegung der Erpressungsabsicht i.R.v. § 239a I Var. 1 StGB geboten. Es ist die (unvollkommene) Zweiaktigkeit zu betonen und zu fragen, ob der Bemächtigung gegenüber der geplanten Erpressungshandlung eine eigenständige Bedeutung zukommt. Das wird regelmäßig dann der Fall sein, wenn sich die Bemächtigungssituation stabilisiert hat.

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