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Reisende Eltern, hungerndes Kind

BGH, Beschluss vom 17.01.2023 – 2 StR 459/21 NJW 2023, 2209 

Sachverhalt

Mutter M und Vater V richten ihren gemeinsamen Alltag nach der Geburt des Kindes K nicht nach dessen Bedürfnissen aus. Als sich nach einem halben Jahr zusätzlich die finanzielle Situation von M und V verschlechtert, entscheiden sie gemeinsam, ihre verbleibenden Mittel in Reisen und Ausflüge, nicht hingegen in notwendige Babynahrung zu investieren. K entwickelt dramatische Symptome einer Mangelernährung (starkes Untergewicht, Hungerdarm) und schwebt zwischenzeitlich in Lebensgefahr. Dass Ks Symptome auf die Mangelernährung zurückzuführen sind, erkennen M und V; dass es zu einer Lebensgefahr kommen kann, erkennen sie und nehmen es jedenfalls billigend Kauf.

Strafbarkeit von M und V?      


Skizze


Gutachten

A. Strafbarkeit von M und V gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 4, Nr. 5, 13 I, 25 II StGB

M und V könnten sich der gefährlichen Körperverletzung gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 4, Nr. 5, 13 I, 25 II StGB schuldig machen, indem sie K nicht mit der notwendigen Babynahrung füttern und K daraufhin an einer Mangelernährung leidet.

I. Tatbestand

1. Objektiver Tatbestand
a) Grunddelikt

Zunächst müsste der Taterfolg des Grunddelikts erfüllt sein. Bei K tritt eine Gesundheitsschädigung ein, weil sich eine fortentwickelnde Mangelernährung mit entsprechender Symptomatik (Untergewicht und Hungerdarm) einstellt. Darin liegt auch die Verschlechterung des körperlichen Wohlbefindens, das eine körperliche Misshandlung voraussetzt. Der Taterfolg der Körperverletzung ist daher erfüllt. 

M und V versorgen K nicht angemessen mit Babynahrung, obwohl sie dazu die physisch-reale Möglichkeit hätten. Die angemessene Ernährung des K ist auch nicht hinzuzudenken, ohne dass die Symptomatik der Mangelernährung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele. Außerdem wirken M und V gerade nicht auf das Risiko der Mangelernährung abwendend ein, indem sie eine angemessene Versorgung vornehmen. Die sog. Quasi-Kausalität und die objektive Zurechnung sind zu bejahen. 

Da sich M und V zur mangelhaften Versorgung zugunsten anderer Annehmlichkeiten des Lebens verabreden, liegt ein gemeinsamer Tatplan vor. Beide unterlassen eine angemessene Versorgung absprachegemäß zeitgleich, weshalb auch eine gemeinsame Tatausführung zu bejahen ist. M und V unterlassen folglich mittäterschaftlich. 

Eine Pflicht zur angemessenen Versorgung des K ergibt sich aus der elterlichen Fürsorgepflicht (§ 1626 BGB). Sowohl M als auch V sind jeweils Beschützergaranten des K. 

Vernetztes Lernen: Kommt es für eine Beschützergarantenstellung aus familiärer Verbundenheit auf die gesetzliche Verbundenheit oder auf die tatsächlich ausgestaltete Beziehung an?
Zum Verhältnis von formeller und materieller Rechtspflichtenlehre vgl. den Fall „Der rücksichtslose Sohn“.
b) Qualifikation
aa) § 224 I Nr. 4 StGB

Fraglich ist, ob M und V die Körperverletzung gemeinschaftlich i.S.v. § 224 I Nr. 4 StGB begehen. Die Frage, ob eine mittäterschaftliche Begehung erforderlich ist, kann hier offen bleiben, weil V und K mittäterschaftlich zusammenwirken. 

Deutlich problematischer ist die Frage, ob einer Verwirklichung der Nr. 4 die Entsprechungsklausel des § 13 I Hs. 2 StGB entgegensteht. Nach herrschender Auffassung kommt der Entsprechungsklausel die Funktion einer sog. Modalitätenäquivalenz zu.[1]Überblick über den unergiebigen Streitstand zu Bedeutung der Entsprechungsklausel bei Satzger, Jura 2011, 749 ff. Während die Garantenstellung als Bewirkensäquivalenz verstanden werden kann, sie also fragt, wann eine Zuständigkeit für das Erfolgsunrecht vorliegt, geht es hier um die Frage, wann die Art der Herbeiführung des Erfolges durch Unterlassen einem Begehen entspricht.[2]Satzger, Jura 2011, 749 ff. Da der Wortlaut als solcher keine weiteren Beschränkungen für Unterlassenskonstellationen vorsieht, ist ein Blick auf den Strafgrund der Nr. 4 geboten.

Vernetztes Lernen: Ist beim aktiven Zusammenwirken mehrerer eine Strafbarkeit nach Para. 224 I Nr. 4 StGB auch dann anzunehmen, wenn bei der Begehung der Körperverletzung (vermeintlich) ausgeschlossen ist, dass es zu erheblichen Verletzungen kommt? (Beispiel: A hält das Opfer fest, damit B dessen Haupthaar abschneiden kann.)
Bei Nr. 4 handelt es sich ebenso wie bei Nr. 3 um ein abstraktes Gefährdungsdelikt. Es bedarf – anders als bei Nr. 1 und Nr. 2 – daher keines Nachweises über eine konkrete spezielle Gefährlichkeit. Zum Teil wird dennoch vertreten, dass man in solchen Fällen eine restriktive Auslegung vornimmt.[3]Grünewald, in: LK-StGB, § 224 Rn. 29. Man mag hier an die (umstrittene) teleologische Reduktion von § 306a I StGB denken, bei der die Gefahr Menschen zu verletzen etwa dann nahezu ausgeschlossen ist, wenn das Tatobjekt nur aus einem, mit einem schweifenden Blick voll erfassbaren Raum besteht. Die Reduktion wird dort von einer starken Auffassung mit der Begründung vertreten, dass im konkreten Fall die Gefahr von Personenverletzungen ausgeschlossen ist und der hohe Strafrahmen daher nicht mit dem Schuldprinzip zu vereinbaren ist [4]Dazu Seitz/Nussbaum, JuS 2019, 1060, 1062. Der Vergleich zeigt dabei die Schwierigkeiten einer Übertragung: Es ist doch gerade auch eine gruppendynamische Gefahr, dass A und B sich nicht mit dem unfreiwilligen Haarschnitt begnügen, auch wenn die gemeinsame Absprache eben nur diesen betrifft. Eine teleologische Reduktion des abstrakten Gefährdungsdelikts kann auf diesem Wege daher nicht überzeugen.
Etwas anderes ist es, wenn die Zusammenwirkung mehrerer die Gefährlichkeit verringert. So in dem Falle, dass ein chirurgisches Team eine Operation gemeinsam vornimmt.[5]Nussbaum, JR 2023, 57, 62. Zum Vergleich mit der hypothetisch qualifikationslosen Körperverletzung als Methode der teleologischen Reduktion des § 224 StGB siehe „Die Zahnextraktionszange“.

Um das Vorliegen einer Gefährlichkeitssteigerung im Einzelfall zu beurteilen und entsprechende Anforderungen an das Zusammenwirken zu stellen, ist es notwendig, die zentralen Effekte zu benennen, die der Steigerung zugrunde liegen. Unstreitig sind das drei: Zunächst, dass durch das Handeln mehrerer mit stärkeren Verletzungen zu rechnen ist. Daneben tritt, dass durch die Anwesenheit mehrerer dem Opfer eine Übermacht gegenüber entsteht, und dessen Verteidigungs-, Flucht- und Ausweichmöglichkeiten verringert werden. Dieser zweite Grund lässt sich einmal in eine objektive, aber auch auf eine aus der Sicht des Opfers (dritte) subjektive Komponente trennen (Einschüchterung).[6]Vgl. nur BGH NJW 2023, 2209, Rn. 16. Zum Teil wird versucht, eine Entsprechung des absprachegemäßen Unterlassens nun durch einen vierten Effekt zu begründen: Die gemeinschaftliche Begehung durch Unterlassen sei gefährlicher, weil die Absprache des Unterlassens gruppendynamische Effekte hervorrufe. Die Wahrscheinlichkeit, dass einer der Garanten seiner Handlungspflicht nachkommt, sinke nämlich durch die gegenseitige Bindung.[7]BGH NJW 2023, 2060 Rn. 41; zustimmend Moslehi, HRRS 2023, 267, 269 f. Dem lässt sich jedoch entgegenhalten, dass es hier eher um die Begehungs- bzw. Unterlassungswahrscheinlichkeit geht, als um die durch Nr. 4 beim aktiven Tun in den Blick genommene abstrakte Gefahr intensiverer Verletzungen.[8] Kudlich, JA 2023, 694, 696. Außerdem spielen die zahlenmäßigen Verhältnisse im Lichte dieses Grundes eine deutlich geringere Rolle als beim aktiven Tun: Macht es dort erhebliche Unterschiede für die abstrakte Gefährlichkeit, ob fünf Beteiligte gemeinsam auf ein Opfer einschlagen oder den Tätern zehn Opfern gegenüberstehen, kann gleiches nicht stets für das Unterlassen gesagt werden.[9]Vgl. Kudlich, JA 2023, 694, 696.  So ist die Bindungskraft einer Absprache zum Unterlassen nicht im gleichen Maße von der Zahl der Beteiligten abhängig, wie es die Übermachts- und Einschüchterungseffekte sind. Es wäre hier also ohne Unterschied, ob fünf Säuglinge parallel nicht versorgt werden oder ob sich mit der gesamten Großfamilie zur Vernachlässigung verabredet wird. Es ist daher zweifelhaft, ob eine Modalitätenäquivalenz unter dem eigenen Effekt der gegenseitigen Bindung angenommen werden kann.

Anmerkung: 2. und 6. Strafsenat kommen zu gegensätzlichen Ergebnissen
Der gutachterlich dargestellte Streit basiert im Wesentlichen auf den diametral entgegengesetzten Entscheidungen des 2. und 6. Strafsenats. Der 2. Senat schließt eine Verwirklichung der Nr. 4 durch Unterlassen kategorisch aus, während der 6. Senat sie dann annehmen will, wenn sich die Garanten zum Unterlassen verabreden. Zu einer Vorlage an den Großen Strafsenat kam es durch den in Leipzig ansässigen 6. Senat wohl deshalb nicht, weil man von der Entscheidung aus Karlsruhe nichts wusste.[10]Moslehi, HRRS 2023, 267 Fn. 1. Auch im Schrifttum herrscht keine Einigkeit über die Frage[11]Wie der zweite Senat Wolters, in: SK-StGB, § 224 Rn. 35; Grünewald, in: LK-StGB, § 224 Rn. 33; Eschelbach, in: BeckOK-StGB, § 224 Rn. 39; Wengenroth, JA 2014, 428, 431; Wolters, in: SK-StGB, § … Continue reading, sodass hier alles mit einer schönen Argumentation in der Klausur vertretbar ist.

Daraus folgt jedoch nicht, dass eine Entsprechung nicht ggf. unter den für das aktive Tun identifizierten Effekten angenommen werden könnte, insbesondere dem Übermachts- und Einschüchterungseffekt. Es ist hier danach zu unterscheiden, ob eine Selbstbehauptung (Verteidigung oder Flucht) des Opfers prinzipiell möglich ist, diese potenziell durch anwesende Garanten vereitelt werden könnte und objektiv zu erwarten wäre und dass die Garanten in einer solchen Situation auch zu einem aktiven Tun übergehen würden.[12]In diese Richtung Eisele, JuS 2023, 883, 884; Eisele, JuS 2023, 881, 882. Eine solche Situation ist hier gerade nicht zu erkennen. K kann sich aus dem sich fortwährend intensivierenden Zustand der Mangelernährung nicht eigenständig befreien. Daher ist auch nach der hier vorgeschlagenen differenzierenden Lösung eine Modalitätenäquivalenz abzulehnen. Eine Qualifikation nach § 224 I Nr. 4 StGB liegt nicht vor.

Anmerkung: Beispiel für das gemeinsame Unterlassen und die Bejahung einer Entsprechung unter dem Übermachts- und Einschüchterungseffekt
Beim Zusammenwirken zweier unterlassender Garanten ist es tendenziell schwierig, einen Fall zu konstruieren, bei dem die Gefährlichkeit des Unterlassens durch die Anwesenheit und Eingriffsbereitschaft mehrerer gesteigert ist. Denkbar ist folgende Konstellation: Das Opfer fällt in eine Grube mit giftigem Müll und zwei Garanten – seien es Beschützergaranten oder verkehrssicherungspflichtige Überwachergaranten – freuen sich über diese Situation. Wenn nun das Opfer Kletterversuche unterlässt, weil ihm die Garanten zu verstehen geben, dass sie ihn bei dem Versuch zurückstoßen würden, dann kann durchaus das gemeinsame Agieren einen Einschüchterungs- und Übermachtseffekt haben. Wie zuvor erwähnt: Unsere Konstellation der Mangelversorgung ist davon denkbar weit entfernt.
bb) § 224 I Nr. 5 StGB

Der Qualifikationstatbestand der Nr. 5 ist zu bejahen, da K zwischenzeitlich in konkreter Lebensgefahr schwebte.

Anmerkung: Abstrakte vs. konkrete Lebensgefahr
Auf den klassischen Streitstand, ob eine abstrakte Lebensgefährlichkeit der Körperverletzung für die Bejahung von Nr. 5 ausreicht, kommt es hier nicht an, da K zwischenzeitlich in konkreter Lebensgefahr schwebt. Beide Auffassungen stehen in einem inklusiven Verhältnis. Vgl. zum Streitstand das vernetzte Lernen im Fall „Faustschlag im Straßenverkehr“.
2. Subjektiver Tatbestand

M und V wissen sicher um die fortlaufende Verschlechterung des Gesundheitszustandes des Säuglings und um die tatsächlichen Gründe ihrer Obhutsverpflichtung. Sie handeln daher mit dolus directus 2. Grades. Hinsichtlich der konkreten Lebensgefahr liegt Eventualvorsatz vor.

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

M und V handeln rechtswidrig und schuldhaft.

III. Ergebnis

M und V sind gem. §§ 223 I, 224 I Nr. 5, 25 II, 13 I StGB schuldig.

B. Strafbarkeit von M und V gem. §§ 225 I Nr. 1, Nr. 2, III Nr. 1, 25 II StGB

M und V könnten sich zudem durch gleiches Verhalten der mittäterschaftlichen Misshandlung von Schutzbefohlenen gem. §§ 225 I Nr. 1, Nr. 2, III Nr. 1, 25 II StGB schuldig machen.

I. Tatbestand

1. Grundtatbestand

K ist zunächst taugliches Tatopfer, weil es der Fürsorge und Obhut von M und V untersteht (Nr. 1) und ihrem Hausstand angehört (Nr. 2). Innerhalb ihres Tatplans und der gemeinsamen Tatausführung (§ 25 II StGB) vernachlässigen sie ihre Pflicht, für K zu sorgen, wodurch K an der Gesundheit geschädigt wird. Diese Vernachlässigung müsste zudem böswillig erfolgt sein. Böswillig handelt derjenige, der seine Pflichten aus besonders verwerflichen Motiven – z.B. Eigensucht oder Hass – vernachlässigt.[13]Eisele, JuS 2023, 881. M und V unterlassen die angemessene Versorgung des K, um sich aus gesparten Mitteln Reisen und Ausflüge zu finanzieren. Darin liegen besonders eigensüchtige Motive, die eine Böswilligkeit begründen. Hinsichtlich der böswilligen Vernachlässigung und Gesundheitsschädigung handeln M und V mit dolus directus 2. Grades. 

2. Qualifikation

Zudem besteht für K aufgrund der Mangelernährung eine konkrete Lebensgefahr, die M und V jedenfalls mit dolus evantualis verursachen. Daher ist die Qualifikation des § 225 III Nr. 1 StGB erfüllt.

II. Rechtswidrigkeit und Schuld

M und V handeln rechtswidrig und schuldhaft.

III. Ergebnis

M und V haben sich gem. §§ 225 I Nr. 1, Nr. 2, III Nr. 1, 25 II StGB schuldig gemacht.

C. Konkurrenzen und Gesamtergebnis

Die Verwirklichung des § 224 I Nr. 5 StGB tritt hinter der Qualifikation des § 225 III Nr. 1 StGB zurück. § 223 StGB wird von § 225 I StGB in der Variante des echten Unterlassens verdrängt, weil hier eine Gesundheitsschädigung vorausgesetzt wird. M und V haben sich gem. §§ 225 I Nr. 1, Nr. 2, III Nr. 1, 25 II StGB strafbar gemacht.

Vernetztes Lernen: Wie gestaltet sich die Konkurrenz zwischen Para. 223 I, 224 I Nr. 4 StGB und Para. 225 StGB (ansonsten)?
Wird § 225 I StGB in der Tatmodalität des Quälens oder Misshandelns angenommen, ist § 223 StGB aus Klarstellungsgründen in Idealkonkurrenz stehenzulassen, weil dort § 225 StGB auch Fälle des seelischen Quälens oder Misshandelns erfasst, die keinen für § 223 StGB vorausgesetzten Krankheitswert besitzen.
Hätten wir mit der anderen Auffassung § 224 I Nr. 4 StGB bejaht, dann wäre diese Qualifikation neben §§ 225 I Nr. 1, Nr. 2, III Nr. 1, 25 II StGB getreten.

Zusatzfragen

1. Wann spricht man im Strafverfahren jeweils vom Beschuldigten, Angeschuldigten und Angeklagten?
Die Bezeichnung hängt entscheidend von der Phase des Strafverfahrens ab:
Im Ermittlungsverfahren: Beschuldigter.
Im Zwischenverfahren: Angeschuldigter (§ 157 StPO).
Im Hauptverfahren: Angeklagter (§ 157 StPO).
2. Welche Möglichkeiten der Einstellung des Strafverfahrens gibt es?
Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch das Gericht können zum einen mangels hinreichenden Tatverdachtes (§ 170 II StPO) und zum anderen aus Opportunitätsgründen einstellen (§§ 153 ff. StPO). Das sind die für die Klausuren zentralen Möglichkeiten. Daneben lassen sich noch weitere Einstellungsmöglichkeiten finden[14]Aufzählung nach Heinrich/Reinbacher, Examinatorium Strafprozessrecht, 3. Auflage 2021, Problem 34: § 153b StPO (Fälle, in denen das Gericht von Strafe absehen könnte), § 153c StPO (Auslandstaten), § 153d StPO (Staatschutzdelikte wegen überwiegender öff. Interessen), § 153e StPO (Staatsschutzdelikte wegen tätiger Reue), § 153f StPO (Straftaten nach dem VStGB), § 154c StPO (bei Nötigungs- und Erpressungsopfern), § 154d StPO (bei zivil- oder verwaltungsrechtlichen Vorfragen), § 31 BtMG (Kronzeugen), § 31a BtMG (Drogenbesitz zum Eigenverbrauch), § 37 BtMG (bei Durchführung einer Drogentherapie).

Bei der Einstellung aus Opportunitätsgründen lassen sich im Wesentlichen drei unterscheiden:
a) § 153 StPO wegen geringer Schuld und mangelndes öffentlichen Interesses

Im Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft (Abs. 1): Bei Vergehen (§ 12 II StGB) kann eingestellt werden, wenn die Schuld im Vergleich zu Vergehen gleicher Art geringer ist und ein öffentliches Verfolgungsinteresse fehlt (Strafzwecke: General- oder spezialpräventive Gründe bzw. Schuldausgleich machen eine Fortführung nicht notwendig). Grundsätzlich ist die Zustimmung des Gerichts (§ 153 I 1 StPO; Ausnahme: S. 2), nicht aber die des Beschuldigten erforderlich. Zu Privatklagedelikten vgl. § 376 StPO.

Nach Klageerhebung durch das Gericht (Abs. 2): Voraussetzungen wie Abs. 1, aber hier mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und grundsätzlich des Angeschuldigten (da Abs. 2 ab (!) dem Zwischenverfahren und danach im Hauptverfahren greift, wird hier statt beider nur die Bezeichnung „Angeschuldigter“ verwendet).

b) § 153a StPO wegen geringer Schuld und bei Gegenleistung entfallendes öffentlichen Interesses

Im Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft (Abs. 1): Wie § 153 StPO, aber hier neben geringer Schuld auch mittlere Kriminalität, öffentliches Interesse wird durch Erfüllung von Auflagen und Weisungen beseitigt (Abs. 1 S. 2: bspw. Wiedergutmachung des Schadens, Geldspende, sozialer Trainingskurs etc.) und Zustimmung des Beschuldigten ist notwendig.

Nach Klageerhebung durch das Gericht (Abs. 2): Voraussetzungen wie Abs. 1.

c) §§ 154 f. StPO aus Gründen der Verfahrensökonomie
Nach beiden Vorschriften kann entweder vor Klageerhebung durch die Staatsanwaltschaft oder nach Klageerhebung durch das Gericht auf Antrag (§ 154 II StPO) oder mit Zustimmung (§ 154a II StPO) der Staatsanwaltschaft eingestellt oder die Verfolgung beschränkt werden, wenn Taten oder Teile der Tat neben der Verfolgung anderer Delikte nicht ins Gewicht fallen. Der entscheidende Unterschied liegt darin, ob es sich um eine oder mehrere prozessuale Taten (vgl. § 264 StPO) handelt. Sind es mehrere, so kann die Verfolgung einzelner nach § 154 StPO eingestellt werden. Handelt es sich aber um eine Tat im prozessualen Sinne, ist das nicht möglich und die Verfolgung kann nur innerhalb dieser Tat beschränkt werden (§ 154a StPO).


Zusammenfassung

1. Der Anwendungsbereich des § 224 I Nr. 4 StGB in Grenzfällen lässt sich am besten durch die Benennung der Effekte abstecken, die hinter der typischerweise abstrakt gefährlicheren gemeinschaftlichen Begehung durch mehrere stehen: Zunächst, dass durch das Handeln mehrerer mit stärkeren Verletzungen zu rechnen ist. Daneben tritt, dass durch die Anwesenheit mehrerer eine Übermacht dem Opfer gegenüber entsteht und dessen Verteidigungs-, Flucht- und Ausweichmöglichkeiten verringert werden. Dieser zweite Grund lässt sich einmal in eine objektive, aber auch in eine aus der Sicht des Opfers subjektive (dritte) Komponente trennen (Einschüchterung).

2. Eine Verwirklichung der Nr. 4 durch zwei absprachegemäß unterlassende Garanten lässt sich nur selten auf diese drei Effekte gründen. Ob es sodann überzeugt, eine extensive Auslegung mit einem vierten Effekt zu begründen, nämlich der gegenseitigen Bindung an die Unterlassensabrede als gruppendynamischer Prozess, ist mit Blick auf die Entsprechungsklausel des § 13 I Hs. 2 StGB zweifelhaft.

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