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Handeln ist Silber, Unterlassen ist Gold? 

BGH, Beschluss vom 29.11.2023 – 6 StR 191/23NJW 2024, 1050

Sachverhalt

A ist Inhaberin eines Tiefbauunternehmens, für dessen Betrieb sie besondere, kostspielige Fahrzeuge nutzt. Jeglicher Bemühungen zum Trotz gerät das Tiefbauunternehmen in eine wirtschaftliche Schieflage, weshalb A sich gezwungen sieht, ein Darlehen bei ihrer Hausbank, der B-AG, aufzunehmen. Zur Absicherung dieses Darlehns übereignet A einen ihrer Tieflader an die B-AG. Jedoch ist A schon nach kurzer Zeit nicht mehr imstande, die Darlehenszinsen zu begleichen, weshalb die B-AG mit Schreiben vom 20.05.2019 nach der Sicherungsabrede rechtmäßigerweise die Herausgabe des Tiefladers fordert. Alle Anstrengungen der A, über den Verbleib des Tiefladers in ihrem Besitz zu verhandeln, bleiben erfolglos. 

Am 27.05.2019 wird schließlich das Insolvenzverfahren über das Vermögen der A eröffnet. Hierbei lässt A den Insolvenzverwalter in Unwissen über ihren Besitz an dem im Sicherungseigentum der B-AG stehenden Tieflader. Auch auf das Herausgabeverlangen der B-AG reagiert sie nicht mehr. Erst durch einen für die B-AG tätigen „Sichersteller“ gelingt es ein knappes Jahr später (am 20.03.2020) den Tieflader in den Besitz der B-AG zu bringen.

Strafbarkeit der A gem. § 246 I StGB?

Skizze


Gutachten

A könnte sich gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht haben, indem sie den Tieflader nicht an die B-AG herausgab und auch den Insolvenzverwalter nicht über ihren Besitz informierte.

A. Tatbestand

I. Objektiver Tatbestand

1. Fremde bewegliche Sache

Bei dem Tieflader müsste es sich um eine fremde bewegliche Sache handeln. Fremd wäre der Tieflader für die A dann, wenn er nicht in ihrem Alleineigentum steht, wobei für die Beurteilung der Eigentumsverhältnisse die zivilrechtlichen Vorschriften über den Erwerb und den Verlust von Eigentum maßgeblich sind.[1]Wessels/Hillenkamp/Schuhr, Strafrecht BT Teil 2, 45. Auflage 2022, § 2 Rn. 84. Ursprünglich stand der Tieflader im Eigentum der A. Dieses Eigentum verlor die A jedoch an die B-AG, als sie den Tieflader zur Sicherung des Darlehens nach Maßgabe der §§ 929, 930 BGB an die B-AG übereignete. Dass A den Tieflader weiterhin besaß und nutzen durfte, ändert an den Eigentumsverhältnissen nichts, da dies lediglich Ausfluss des zwischen A und der B-AG gleichsam vereinbarten Besitzmittlungsverhältnisses nach § 868 BGB war.[2]Vieweg/Lorz, Sachenrecht, 9. Auflage 2022, § 12 Rn. 1, ff.. Mithin stand der Tieflader nicht im Alleineigentum der A und war ihr damit fremd i.S.d. § 246 StGB.

2. Sich oder einem Dritten zueignen

Weiterhin müsste sich A den Tieflader zugeeignet haben. 

Vernetztes Lernen: Wie ist das Merkmal der „Zueignung“ in Para. 242 StGB und Para. 246 StGB charakterisiert?

In Abgrenzung zum Diebstahl (§ 242 StGB) ist die Zueignung bei der Unterschlagung ein objektives Tatbestandsmerkmal. Anders als bei § 242 StGB, wo die Zueignung lediglich rein subjektiv i.S.e. Absicht vorliegen muss, benötigen wir bei der Prüfung des § 246 StGB einen äußerlichen Erkennungsakt, um eine Zueignung feststellen zu können. Die Zueignung muss sich bei der Unterschlagung also „äußerlich manifestieren“.[3]Schmidt, Strafrecht BT Teil II, 23. Auflage 2023, Rn. 271.
Weil die Zueignung bei der Unterschlagung eben ein objektives Tatbestandsmerkmal ist, muss sich natürlich auch der Vorsatz des Unterschlagungstäters auf die Zueignung beziehen. Anders als bei § 242 StGB – bei dem wir die Zueignung nun mal lediglich im subjektiven Tatbestand prüfen – genügt jedoch sowohl für die Aneignungs- als auch für die Enteignungskomponente ein dolus eventualis.[4]Schmidt, Strafrecht BT Teil II, 23. Auflage 2023, Rn. 273.

Zueignung meint dabei, dass aus Sicht eines objektiven Beobachters aus dem Verhalten des Täters dessen Wille hervorgeht, sich oder einem Dritten Eigenbesitz an der Sache zu verschaffen (Aneignung) und dem Eigentümer den ihm zustehenden Besitz auf Dauer vorzuenthalten (Enteignung), sich der Zueignungswille des Täters also (äußerlich) manifestiert.[5]Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT Teil 2, 12. Auflage 2023, § 6 Rn. 8.

Fraglich ist jedoch, welche Qualität das Täterverhalten haben muss, damit es eine solche Manifestation des Zueignungswillens darstellen kann. 

a. Qualität des Täterverhalts nach Manifestationstheorien

Abstellen ließe sich darauf, dass bereits jedes Täterverhalten (auch ein „neutrales“) eine Manifestation seines Willens darstelle, soweit der Täter (subjektiv) nur mit dem erforderlichen Zueignungsvorsatz handele (sog. weite Manifestationstheorie). Ein solches Verständnis des Manifestationskriteriums würde jedoch dazu führen, dass der objektive Tatbestand vom subjektiven Tatbestand ausgehend interpretiert werden müsste, da ein objektiver Beobachter nur dann aus einem neutralen Verhalten auf einen Zueignungswillen des Täters schließen kann, wenn er den tatsächlichen Willen des Täters kennt. Wegen dieses Verstoßes gegen die sich aus dem Tatprinzip ergebende Trennung von objektivem und subjektiven Tatbestand, sowie die auf eine solche Weise äußerst schwere Differenzierbarkeit von Versuch und Vollendung und zuletzt der Gefahr einer Strafbarkeit auch solchen Verhaltens, das die Eigentümerinteressen erkennbar nicht beeinträchtigt, scheint es vorzugswürdiger ein Täterverhalten zu fordern, das schon äußerlich den eindeutigen Schluss auf einen Zueignungswillen des Täters (als einzig mögliche Interpretation) zulässt (sog. enge Manifestationstheorie).[6]Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT Teil 2, 12. Auflage 2023, § 6 Rn. 15, 16. Mithin müsste der Umstand, dass A den im (Sicherungs-)Eigentum der B-AG stehenden Tieflader weder dem rechtmäßigen Herausgabeverlangen entsprechend an die B-AG herausgegeben noch den Insolvenzverwalter über ihren Besitz in Kenntnis gesetzt hat, für einen objektiven Beobachter den eindeutigen Schluss auf ihren Zueignungswillen zugelassen haben. Vorliegend enthält der Sachverhalt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass A den Tieflader auf eine Art und Weise behandelte (bzw. nutzte), die keinen anderen als den Schluss zuließe, dass sie das Sicherungseigentum nicht mehr achte, sondern stattdessen ihren Fremd- in Eigenbesitz umwandeln wolle. Das bloße „für-sich-behalten“ i.S.e. Unterlassens der Rückgabe sowie Verschweigen des Besitzes allein genügt nicht für eine solche Interpretation, da daneben noch weitere Motive als nur die Zueignung denkbar wären. Vielmehr wäre es notwendig, dass mit dem „für-sich-behalten“ weitere Umstände einhergehen, die zu einem Wertverlust der Sache führen (bspw. der Verbrauch oder Verkauf).[7]Vgl. BGH Beschl. v. 29.11.2023 – 6 StR 191/23 – NJW 2024, 1050, Rn. 13 und dort verwiesen auf BGHSt 34, 309 (311 f.), NJW 1987, 2242 m.w.N.; auch statt vieler Wessels/Hillenkamp/Schuhr, … Continue reading

Anmerkung: Streitstand um den objektiven Tatbestand des Para. 246 StGB

Bis hier hin ist die Argumentation bekannt und entspricht der ständigen Rechtsprechung des BGH [8]vgl. RGSt 73, 253 (254); BGHSt 1, 262 (264), BeckRS 1951, 31399738; BGHSt 34, 309 (311f.), NJW 1987, 2242; BGH NStZ-RR 2006, 377; BGHSt 24, 115 (119), NJW 1971, 900.. Die vom 6. Strafsenat vorgenommene neue Auslegung des Zueignungskriteriums entfernt sich jedoch von den Manifestationstheorien.
Für einen kurzen Überblick über die verschiedenen, in der Literatur vertretenen Auffassungen zum objektiven Tatbestand des § 246 StGB vgl. das „Vernetzte Lernen“ im Dienststiefel-Fall.

b. Qualität des Täterverhalts nach Verständnis des 6. Strafsenats

Ausgehend vom Wortlaut des § 246 StGB, der davon spricht, dass eine Unterschlagung begeht, wer sich oder einem Dritten eine Sache rechtswidrig zueignet (die Unterschlagung also als Erfolgsdelikt ausgestaltet ist) ließe sich jedoch gegen ein solches Abstellen auf die Manifestationstheorie anbringen, dass der Gesetzgeber vorgesehen zu haben scheint, dass eine Zueignung tatsächlich stattgefunden haben muss.[9]BGH Beschl. v. 29.11.2023 – 6 StR 191/23NJW 2024, 1050, Rn. 6. Unterstützen ließe sich eine solche Lesart durch den gesetzessystematischen Vergleich des Zueignungskriteriums in § 242 StGB und § 246 StGB: § 242 StGB fordert die Absicht zur Zueignung, wohingegen § 246 StGB die (strafrechtsautonom verstandene) Zueignung als solche voraussetzt.[10]BGH Beschl. v. 29.11.2023 – 6 StR 191/23NJW 2024, 1050, Rn. 8. Da § 246 StGB neben dem Tatbestandsmerkmal der Zueignung kein weiteres Merkmal enthält, um das von ihm pönalisierte Unrecht zu präzisieren, ließe sich aus teleologischer Sicht weiter anbringen, dass eine Begrenzung des Strafrechts als ultima ratio nur dann möglich wäre, wenn das Tatbestandsmerkmal der Zueignung auf eine Art verstanden würde, die eine Strafbarkeit wegen Unterschlagung in jedem Fall zum Schutz des Eigentums erforderlich macht.[11] BGH Beschl. v. 29.11.2023 – 6 StR 191/23NJW 2024, 1050, Rn. 9. Eine Zueignung i.S.d. § 246 StGB müsste demnach mindestens voraussetzen, dass die Befugnisse des Eigentümers (also sein Nutzungs- oder Ausschlussrecht aus § 903 BGB) beeinträchtigt werden.[12]BGH Beschl. v. 29.11.2023 – 6 StR 191/23NJW 2024, 1050, Rn. 9. Der Manifestationsakt als solcher ließe sich entsprechend lediglich als Beweiszeichen für den subjektiven Tatbestand werten.[13]BGH Beschl. v. 29.11.2023 – 6 StR 191/23NJW 2024, 1050, Rn. 10. Soweit eine endgültige Enteignung nicht festzustellen ist, ließe sich hingegen auf den Versuch der Unterschlagung zurückkommen.[14]Vgl. BGH Beschl. v. 29.11.2023 – 6 StR 191/23NJW 2024, 1050, Rn. 10.

Vorliegend beeinträchtigte A die Eigentümerbefugnisse der B-AG durch das bloße Unterlassen der geschuldeten Rückgabe des Tiefladers nicht weitgehender als bereits durch die im Rahmen des Sicherungsvertrages erfolgte Gebrauchsüberlassung (Besitzmittlungsverhältnis). Es sind keine weiteren Anhaltspunkte ersichtlich, aus denen hervorgeht, dass A den Tieflader in einer Weise gebraucht hätte, die seinen Wert erheblich beeinflusst hätten, wodurch A sich den Tieflader oder seinen Sachwert zumindest vorübergehend in ihr Vermögen einverleibt hätte und dadurch die B-AG als Berechtigte insoweit von ihren Nutzungsmöglichkeiten ausgeschlossen hätte.[15]BGH Beschl. v. 29.11.2023 – 6 StR 191/23NJW 2024, 1050, Rn. 12. Mangels Zueignungserfolg wäre eine Zueignung des Tiefladers durch die A also auch nach einem solchen Verständnis der Qualität des Täterverhaltens zu verneinen. A hat sich den Tieflader nicht zugeeignet. 

Anmerkung: Auseinandersetzung mit der Entscheidungsbegründung

Um die Kritik an der Entscheidung des 6. Strafsenats verstehen zu können, ist es wichtig, sich zunächst noch einmal zu vergegenwärtigen, was „Zueignung“ ganz grundsätzlich bedeutet: Zueignung bedeutet ganz grundsätzlich, dass eine Sache unter dauerhaftem Ausschluss der Nutzungsmöglichkeit des Berechtigten entweder selbst oder der in ihr verkörperte Wert zumindest vorübergehend dem Tätervermögen einverleibt wird.[16]Hohmann/MüKo-StGB, 4. Auflage 2021, § 246 Rn. 18.
Nun ist zentrale Stellschraube des 6. Strafsenats folgendes Verständnis: Bei § 242 StGB ist die Zueignung ein subjektives Element, weshalb hier eine Absicht zur Zueignung gefordert wird. Bei § 246 StGB ist die Zueignung hingegen – und hier nun die Stellschraube – ein objektives Element, weshalb eine tatsächliche Zueignung (und damit auch eine endgültige Enteignung) zu fordern sei.[17]Vgl. BGH Beschl. v. 29.11.2023 – 6 StR 191/23NJW 2024, 1050, Rn. 8. Eine endgültige – wohl strafrechtsautonom verstandene – Enteignung läge dann bei dem Verbrauch, der Verarbeitung, der Entwertung und der Übereignung der Sache vor.[18]Vgl. BGH Beschl. v. 29.11.2023 – 6 StR 191/23NJW 2024, 1050, Rn. 12.
Dieses Verständnis basiert wohl auf der Grundannahme des 6. Strafsenats, dass die von den Eigentumsdelikten pönalisierte Verletzung fremden Eigentums eine faktische Beeinträchtigung der Position des Eigentümers fordere (die Eigentumsdelikte also nicht das „Eigentum“ im rechtlich verstandenen Sinne schützen, sondern die hinter ihm liegende Möglichkeit, mit der Sache nach Belieben zu verfahren).[19]Krit. und m.w.N. Lichtenhäler, FD-StrafR 2024, 806422. Was bedeutet, dass nur dort eine Zueignung (also eine Verletzung i.S.d. Eigentumsdelikte) stattfinden kann, wo die faktische Nutzungsmöglichkeit des Eigentümers auch bzw. noch berührt werden kann, was wiederum bspw. die strafrechtliche Bewertung der Fundunterschlagung[20]Vgl. zur Fundunterschlagung: Schmidt, Strafrecht BT Teil II, 23. Auflage 2023, Rn. 277. vor neue Herausforderungen stellen würde (wenn wir davon ausgehen, der Eigentümer der gefundenen Sache hat keine Ahnung, wo er die Sache verloren hat, weshalb er sein Eigentum schon vor der Handlung des Täters schon rein „faktisch“ überhaupt nicht mehr nutzen konnte).[21]Lichtenhäler, FD-StrafR 2024, 806422.

Anmerkung: Kritik an der Entscheidung

So umfangreich die Entscheidungsbegründung des 6. Strafsenats auch ist, so kritisch ist ihre Resonanz in der Literatur.[22]Zustimmend: Anmerkung Hoven in NJW 2024, 1050; Jahn, JuS 2024, 568; Kritisch: Jäger, JA 2024, 515; Lichtenhäler, FD-StrafR 2024, 806422. Jeweils m.w.N.
Vor allem dem Verweis des 6. Strafsenats auf die Versuchsstrafbarkeit, soweit sich kein Zueignungserfolg feststellen ließe, werden wesentliche Argumente entgegengehalten: Da ein so verstandener Unterschlagungsversuch einen Tatentschluss hinsichtlich der endgültigen Enteignung fordert, wäre derjenige, der bspw. die verlorengeglaubte Sache eines anderen nimmt und nutzt, jedoch plant, sie in einigen Wochen/Monaten/Jahren zurückzugeben, mangels Enteignungsvorsatzes keines Unterschlagungsversuches strafbar (solange man davon ausgeht, die Sache würde nicht maßgeblich entwertet werden).[23]Jäger, JA 2024, 515 (517). Weiterhin ließe sich in diesem Kontext problematisieren, wann der Täter überhaupt zur Tatbestandsverwirklichung unmittelbar angesetzt haben soll, da sich doch (zumindest) immer die (Schutz-) Behauptung aufstellen lassen würde, die Sache hätte zurückgegeben werden sollen.[24]Jäger, JA 2024, 515 (517). Zuletzt ließe sich auch fragen (soweit das vorgenannte Problem aufgelöst würde), ob durch ein solches Verständnis der Enteignunsgkomponente nicht eine „unendliche“ Rücktrittsmöglichkeit geschaffen würde, da der Täter die Sache hypothetisch jederzeit (noch) an den Eigentümer zurückgeben könnte.[25]Jäger, JA 2024, 515 (518). Das Verständnis des 6. Strafsenats könnte also, anders als in der Entscheidung selbst postuliert[26]BGH Beschl. v. 29.11.2023 – 6 StR 191/23NJW 2024, 1050, Rn. 10., dazu führen, dass die Versuchsstrafbarkeit der Unterschlagung (zumindest in der Praxis – Stichwort: Schutzbehauptung) nur noch in wenigen Fällen anzunehmen wäre.[27]Jäger, JA 2024, 515 (518). Hingegen ließe sich mit der engen Manifestationstheorie dort ein Versuch annehmen, wo das Täterverhalten bereits von einem Zueignungswillen (Anmaßung fremden Eigentums) begleitet würde, sich dieser Wille in der Handlung aber noch nicht hinreichend deutlich manifestiert hat.[28]Lichtenhäler, FD-StrafR 2024, 806422.
Neben dieser Kritik zum Verweis auf die Versuchsstrafbarkeit ließe sich mit Blick auf einen Strafrahmenvergleich der § 242 StGB und § 246 StGB ganz generell fragen, ob ein Verständnis, das für § 246 StGB eine endgültige Enteignung fordere, nicht zu Wertungswidersprüchen führen würde: derjenige, der eine Sache unter Zueignungsabsicht wegnimmt (§ 242 StGB) würde höher bestraft als derjenige, der einen endgültigen Zueignungserfolg geriert (§ 246 StGB).[29] Jäger, JA 2024, 515 (518).

II. Zwischenergebnis

Mangels Zueignung ist der objektive Tatbestand nicht erfüllt.

B. Ergebnis

A hat sich nicht gem. § 246 Abs. 1 StGB strafbar gemacht, indem sie den Tieflader nicht an die B-AG herausgab und auch den Insolvenzverwalter nicht über ihren Besitz informierte.

Anmerkung: Welche Bedeutung hat dieser Beschluss?

Der 6. Strafsenat hat mit diesem Beschluss einen neuen Akzent in der Rechtsprechung zu § 246 StGB gesetzt. Die Urteilsbegründung orientiert sich fast „lehrbuchartig“ am bekannten Auslegungskanon und geht auf diese Weise auf viele in diesem Kontext in der Literatur diskutierte Punkte ein.
Aber: Dadurch, dass der zugrundeliegende Sachverhalt – wie auch unser Fall – allerdings selbst dann nicht zu einer Strafbarkeit nach § 246 StGB führt, wenn man (wie die Vorinstanz[30]LG Neuruppin, 13 KLs 8/21, 12.12.2022.) der Manifestationstheorie folgen würde, war es für den 6. Strafsenat nicht notwendig, ein Anfrageverfahren zum Großen Senat (§ 132 III 1 GVG) einzuleiten (diese sog. Divergenzvorlage dient der Einheitlichkeit der Rechtsprechung). Deshalb bleibt bis auf Weiteres erstmal unklar, ob sich die übrigen Senate dieser neuen Auslegung anschließen, oder an der alten Rechtsprechungslinie (Manifestationstheorie) festhalten werden.[31]Jahn, JuS 2024, 568 (568).
In der Examensklausur sollte also zunächst weiterhin der engen Manifestationstheorie gefolgt werden, auch wenn es auf keinen Fall schädlich ist, sich für die Argumentationsstruktur des 6. Strafsenats zu sensibilisieren.


Zusatzfragen

Kann sich ein Dieb durch den Weiterverkauf einer gestohlenen Sache wegen Unterschlagung strafbar machen?

Fall: D stielt der Fotografin F drei Spiegelreflexkameras und verkauft sie anschließend weiter an Hobbyfotograf H.
Hinter diesem kleinen Fall steht das Problem der sog. wiederholten Zueignung. Wenn wir den Weiterverkauf als solchen isoliert betrachten, können wir in ihm sehr wohl einen Zueignungsakt entdecken. Da sich D die Kameras allerdings durch den vorangegangenen Diebstahl bereits schon einmal zugeeignet hat, ist umstritten, ob in diesem weiteren (zweiten) Zueignungsakt ein Zueignungsakt i.S.e. tatbestandsmäßigen Unterschlagung gesehen werden kann.
Nach der sog. Tatbestandslösung sei es schon rein begrifflich nicht möglich, dass sich der Täter, der sich eine Sache durch ein vorangegangenes Eigentums- oder Vermögensdelikt zugeeignet hat, die Sache ein weiteres Mal (durch einen weiteren Manifestationsakt) zueignet. Bereits mit der schuldhaften ersten Zueignung hätte sich der Täter (selbst oder einem Dritten) die Verfügungsgewalt eines Eigentümers über das Tatobjekt verschafft bzw. eine solche angemaßt, weshalb die spätere Nutzung lediglich eine Konkretisierung dieses vorangegangenen Zustandes darstelle und nicht etwa eine erneute Anmaßung. Anders sei dies nur zu bewerten, soweit der Täter die mit der Zueignung beanspruchte Verfügungsgewalt aufgegeben (bzw. auf einen Dritten übertragen) hätte und die Sache später wieder erlangt und sie erneut in Eigenbesitz nimmt.
Ausgehend von der Tatbestandslösung könnte sich D in unserem Fall durch den Weiterverkauf also nicht wegen Unterschlagung strafbar machen.
Nach der sog. Konkurrenzlösung soll eine solche wiederholte Zueignung hingegen möglich sein und erst auf Konkurrenzebene als mitbestrafte Nachtat behandelt und ausgesondert werden (Ausnahme: die erste Unterschlagung ist bspw. wegen Unzurechnungsfähigkeit straflos). Hinter der Konkurrenzlösung steht vornehmlich die Möglichkeit, auf diese Weise den Teilnehmer einer Handlung, die sich nur auf die spätere Zueignung bezieht, nach § 246 StGB zu bestrafen. Allerdings kennt das Gesetz für eben jene Unterstützungshandlungen die §§ 257, 259 StGB. Vor allem lässt sich gegen die Konkurrenzlösung aber anbringen, dass eine Verjährung der Tat praktisch ausgeschlossen wird, weit mit jeder erneuten Zueignungshandlung, die den Unterschlagungstatbestand verwirklicht, die Verjährungsfrist erneut zu laufen beginnt.[32]Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT Teil 2, 12. Auflage 2023, § 6 Rn. 39-41.

Kann der Täter eine Sache durch Verkauf unterschlagen, die weder in seinem noch im Besitz des Dritten steht?

Fall: D verkauft H die drei Spiegelreflexkameras der F, die F zu diesem Zeitpunkt zur Dokumentation ihrer Safari in Afrika benutzt, unter der wahrheitswidrigen Behauptung, die Kameras stünden in seinem Eigentum.
Da die Rechtslage der F als Eigentümerin der Kameras durch den Verkauf von D an H überhaupt nicht tangiert wird, scheitert die Strafbarkeit nach § 246 StGB schon an der für die Zueignung notwendigen Änderung der Besitzlage.
In einer solchen Konstellation müssen wir allerdings immer noch an eine mögliche Strafbarkeit des D nach § 263 StGB gegenüber und zu Lasten des H denken.[33]Kindhäuser/Böse, Strafrecht BT Teil 2, 12. Auflage 2023, § 6 Rn. 28.

Zusammenfassung

  1. Für die Annahme einer Zueignung i.S.d. § 246 StGB reicht es (in Abweichung zur ständigen Rechtsprechung) nicht aus, dass sich der Zueignungswille des Täters nach außen hin manifestiert (Manifestationstheorie).
  2. Für eine Strafbarkeit nach § 246 StGB ist ein tatsächlicher Zueignungserfolg erforderlich.

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